Als "zionistischer Agent" im Stasi-Knast

Vorgestellt von Ayala Goldmann |
Mehr als 30 Jahre, nachdem Anatol Rosenbaum die DDR verlassen und nach West-Berlin übersiedeln konnte, sind seine Erinnerungen an eine Odyssee durch mehrere Stasi-Gefängnisse in Buchform erschienen. Darin schildert der heute 67-Jährige brutale Misshandlungen durch das Wachpersonal ebenso wie den Umstand, dass sein eigener Mut und Humor ihn immer wieder in Bedrängnis brachten.
"In der Nacht wird die Tür aufgerissen. Zwei bullige Wachtmeister zerren mich in den Gang und schließen mich mit Handschellen an ein großes Eisengitter. Ich hänge mit ausgestreckten Armen, wie an einem Kreuz. Meine Füße erreichen nicht den Boden. Sie jauchzen und schreien: ‚Du bist Jude, willst du auch ein König werden?’"

Rosenbaum: "Ich kann nur mich erinnern, dass ich gewimmert habe wie ein kleiner Junge und dass ich mir in die Hosen gemacht habe – ich habe das dann ‚Weinen durch die Blase’ genannt. Und dass ich nicht mehr ansprechbar war…"

…erinnert sich Anatol Rosenbaum. Die Misshandlung in der Festung Torgau sollte eine Strafe dafür sein, dass der Kinderarzt keine Verpflichtungserklärung der DDR-Staatssicherheit unterschreiben wollte. Eine Stunde hing Rosenbaum damals an dem Metallgitter, bevor ihn seine Peiniger befreiten. Im Gefängnis landete der Kinderarzt, nachdem er 1968 versucht hatte, aus der DDR zu fliehen. Ein Freund aus Israel hatte einen Kontakt zu einem Bürgermeister in Bayern hergestellt, der für den "Republikflüchtling" einen bundesdeutschen Pass drucken ließ. Doch ein Stasi-Spitzel verriet die Aktion, und Rosenbaum wurde als angeblicher "zionistischer Agent" verurteilt. Seine Odyssee durch mehrere Stasi-Gefängnisse, darunter Hohenschönhausen, Cottbus und Torgau, erzählt er in kurzen Sätzen, im Präsens, sachlich und mit grimmigem Humor.

""In den Gängen Ampeln wie im Straßenverkehr. Rot bedeutete sofort stehen zu bleiben, bei Grün durfte man passieren. Dies alles, um die Isolation perfekt zu machen; man soll keinen anderen Gefangenen zu Gesicht bekommen... Ich denke, die Ampeln sind sicher aus dem Westen, sonst würden sie doch nicht funktionieren, denn die Ampeln in Ost-Berlin fallen dauernd aus."

Rosenbaum: "Totale Stille, keine Zeitung, Ruhe, Ruhe, Ruhe, und dann acht Stunden Vernehmung, oder auch mal zwei Wochen keine Vernehmung. Und das macht mürbe."

Schon als Jugendlicher lehnte sich Anatol Rosenbaum gegen die DDR-Diktatur auf – zum Leidwesen seiner Eltern, die gläubige Kommunisten waren. Sein heftiges Temperament trug ihm beim Prozess ein Jahr Gefängnis zusätzlich ein – weil er die Richter als "rotlackierte Nazis" bezeichnete. Beim Lesen seines Buches fragt man sich, woher Rosenbaum eigentlich den Mut für seine frechen Sprüche nahm – wie etwa an dem Tag, als er heimlich versuchte, sich mit Erde aus dem Gefängnishof ein Schachspiel zu basteln.

"Voller Freude fülle ich mir Erde in die Tasche. Ich denke an meine schwarzen Figuren, die ich mit der Erde schwarz färben möchte. Nun will ich schnell nach oben in meine Zelle, und instinktiv fange ich an, zu provozieren. Ich rufe den Posten zu: ‚Na, heute schon was geschossen?’ Das reicht – Freigang sofort beendet."

Obwohl es von schweren Erfahrungen handelt, liest sich Rosenbaums Buch spannend und sogar leicht.

Rosenbaum: "Es gibt wirklich die Situation wider, wie es wirklich in diesen Gefängnissen der Staatssicherheit war, und es gibt auch wider das Schicksal der Gefangenen im Kommando X, der so genannten Spione des Bundesnachrichtendienstes.... Und die andere bleibende Erinnerung sind die Cottbusser Gefangenen, da waren die staatsfeindlichen Hetzer, die Zeugen Jehovas, die Freimauer, die Wehrdienstverweigerer, die Witzeerzähler und die Theologiestudenten, die einfach ihr Christentum leben wollten und ihr Christentum wahrhaftig genommen haben, und das sollten die Leser verinnerlichen, dass es auch solche Menschen gab, die der DDR die Stirn geboten haben.""

Zum Beispiel beschreibt Rosenbaum, wie die Gefangenen in Cottbus protestierten, als ein Mitgefangener brutal verprügelt wurde.

"Abends Kollektivstrafe, kein Abendbrot, keine Margarine, kein altes Brot und keine zwei Zipfel Wurst. Alle sind ein wenig bedrückt. Wir lassen uns alles nehmen, aber nicht unsere Gedanken. Bernd beginnt leise zu singen. Die zweite Strophe summen wir leise mit. Bei der dritten Strophe singen alle 16 Mann mit."

Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis wurde Anatol Rosenbaum 1975 unter Vermittlung des SPD-Politikers Herbert Wehner aus der DDR freigekauft und siedelte nach West-Berlin über. Jahrzehntelang sprach er nicht über seine Haftzeit – nicht einmal mit seiner Frau. Erst als er an Leukämie erkrankte, schrieb er seine Erlebnisse nieder. Den Blutkrebs führt Rosenbaum auf Röntgenbestrahlung während seiner Haftzeit durch die Stasi zurück. Er wäre nicht der erste DDR-Regimegegner, der an Leukämie erkrankte. Jürgen Fuchs und Rudolf Bahro starben daran. Rosenbaum aber überlebte - dank einer Knochenmarkspende aus Israel.
Heute ist er 67 Jahre alt.

Rosenbaum: "Das Buch habe ich nicht sofort geschrieben, sondern als die Wende kam und 1990 die Vereinigung, da war die DDR in aller Munde und das hat mich dann so sehr aufgewühlt, dass ich nachts angefangen habe zu schreien, zu träumen, und dann begann ich überhaupt erst mal darüber zu erzählen … es ist also ein emotionaler Erguss und keine schriftstellerische Arbeit, und ich bin glücklich, dass ich mich jetzt mit anderen Dingen beschäftigen werde, vielleicht ein anderes Buch zu schreiben."

Anatol Rosenbaum: Die DDR feiert Geburtstag, und ich werde Kartoffelschäler
Lichtig Verlag, Berlin 2006
"Die DDR feiert Geburtstag ..." (Coverausschnitt=
"Die DDR feiert Geburtstag ..." (Coverausschnitt=© Lichtig Verlag