Als Schriftsteller im kulturellen Abseits
In ihrem Buch beschäftigt sich die US-amerikanische Germanistin Vivian Liska mit jüdischen Autoren, die sich außerhalb ihrer religiösen Gemeinschaft bewegten - und dadurch spezielle Formen literarischen Schreibens hervorgebracht haben.
Die US-amerikanische Germanistin Vivian Liska arbeitet in Antwerpen als Professorin für Neuere Deutsche Literatur und als Direktorin des Instituts für Jüdische Studien an der Universität Antwerpen. In ihrer jüngsten Studie untersucht sie an deutschsprachigen Autorinnen und Autoren des 20. Jahrhunderts, die sich "am Rande oder außerhalb" der jüdischen Gemeinschaft bewegten, die Frage: Inwieweit hat diese Randlage spezielle Formen literarischen Sprechens hervorgebracht?
Bereits im Buchtitel "Fremde Gemeinschaft" - abgeleitet vom englischen Begriff "uncommon communities" - verweist sie auf die Problematik des Anders- oder Fremdseins. Franz Kafkas Tagebucheintrag vom 8. Januar 1914 steht am Beginn ihrer Argumentation: "Was habe ich mit Juden gemeinsam? Ich habe kaum etwas mit mir gemeinsam und sollte mich ganz still, zufrieden damit, dass ich atmen kann, in einen Winkel stellen."
Die Autorin beginnt mit der These, dass sich in der Literatur ein anderes Bewusstsein von Gemeinschaft ausspricht; ein Bewusstsein jenseits politischer oder ideologischer Zwecke, das zwar enorme Anziehungskraft besitzt, aber auch Gefahren birgt. Deshalb greift Liska einerseits auf den Begriff der "provisorischen Gruppierungen" zurück, die in sich weder geschlossen sind, noch die Geste des Ausschlusses "anderer" praktizieren. Andererseits benutzt sie den Begriff des "Sprachrohrs", der eine Vermittlerfunktion beinhaltet.
Die Publikation gliedert sich in fünf Teile, denen jeweils Autoren zugeordnet sind, die ihre Thesen veranschaulichen sollen. So widmet sich Liska dem Verhältnis von "Gemeinschaft, Geschichte, Tradition" mit dem zionistischen Vordenker Theodor Herzl und der Dichterin Else Lasker-Schüler. Hier untersucht sie anhand der "Hebräischen Balladen" Lasker-Schülers etwa, wie diese mit ihren Frauenfiguren nicht nur die biblischen Erzählungen umschreibt, sondern damit auch ihr eigenes Bewusstsein als Jüdin thematisiert.
Liska diskutiert den Begriff der "Schicksalsgemeinschaft" mit den Autoren Walter Benjamin, Paul Celan und Nelly Sachs sowie den Aspekt des "kontroversen Gedenkens" mit Ingeborg Bachmann/Paul Celan, Ilse Aichinger und Robert Menasse. Schließlich kehrt sie mit drei Kafka-Lektüren von Celan, Aichinger und Hannah Arendt zum Ausgangspunkt zurück.
Was Vivian Liska insgesamt überzeugend herausarbeitet: das konfliktreiche Wechselspiel zwischen der Skepsis gegenüber festgeschriebener "kollektiver Identität" - und dem Sog, den kollektive Identität doch immer wieder auf die Tradition und Geschichte, auch auf das persönliche Schicksal des Einzelnen ausübt.
Besprochen von Carola Wiemers
Vivian Liska: Fremde Gemeinschaft. Deutsch-jüdische Literatur der Moderne
Manhattan Manuscripts, Band 6
Wallstein Verlag, Göttingen 2011
344 Seiten, 29,90 Euro
Bereits im Buchtitel "Fremde Gemeinschaft" - abgeleitet vom englischen Begriff "uncommon communities" - verweist sie auf die Problematik des Anders- oder Fremdseins. Franz Kafkas Tagebucheintrag vom 8. Januar 1914 steht am Beginn ihrer Argumentation: "Was habe ich mit Juden gemeinsam? Ich habe kaum etwas mit mir gemeinsam und sollte mich ganz still, zufrieden damit, dass ich atmen kann, in einen Winkel stellen."
Die Autorin beginnt mit der These, dass sich in der Literatur ein anderes Bewusstsein von Gemeinschaft ausspricht; ein Bewusstsein jenseits politischer oder ideologischer Zwecke, das zwar enorme Anziehungskraft besitzt, aber auch Gefahren birgt. Deshalb greift Liska einerseits auf den Begriff der "provisorischen Gruppierungen" zurück, die in sich weder geschlossen sind, noch die Geste des Ausschlusses "anderer" praktizieren. Andererseits benutzt sie den Begriff des "Sprachrohrs", der eine Vermittlerfunktion beinhaltet.
Die Publikation gliedert sich in fünf Teile, denen jeweils Autoren zugeordnet sind, die ihre Thesen veranschaulichen sollen. So widmet sich Liska dem Verhältnis von "Gemeinschaft, Geschichte, Tradition" mit dem zionistischen Vordenker Theodor Herzl und der Dichterin Else Lasker-Schüler. Hier untersucht sie anhand der "Hebräischen Balladen" Lasker-Schülers etwa, wie diese mit ihren Frauenfiguren nicht nur die biblischen Erzählungen umschreibt, sondern damit auch ihr eigenes Bewusstsein als Jüdin thematisiert.
Liska diskutiert den Begriff der "Schicksalsgemeinschaft" mit den Autoren Walter Benjamin, Paul Celan und Nelly Sachs sowie den Aspekt des "kontroversen Gedenkens" mit Ingeborg Bachmann/Paul Celan, Ilse Aichinger und Robert Menasse. Schließlich kehrt sie mit drei Kafka-Lektüren von Celan, Aichinger und Hannah Arendt zum Ausgangspunkt zurück.
Was Vivian Liska insgesamt überzeugend herausarbeitet: das konfliktreiche Wechselspiel zwischen der Skepsis gegenüber festgeschriebener "kollektiver Identität" - und dem Sog, den kollektive Identität doch immer wieder auf die Tradition und Geschichte, auch auf das persönliche Schicksal des Einzelnen ausübt.
Besprochen von Carola Wiemers
Vivian Liska: Fremde Gemeinschaft. Deutsch-jüdische Literatur der Moderne
Manhattan Manuscripts, Band 6
Wallstein Verlag, Göttingen 2011
344 Seiten, 29,90 Euro