Als Schiller unter die Räuber im Meer fiel

Von Udo Pollmer |
In Hawaii wurde vor wenigen Tagen ein neues Gesetz verabschiedet: Es untersagt den Verzehr von Haiflossen. Es ist das erste seiner Art. Damit sollen die Haibestände in den Weltmeeren besser geschützt werden. Doch was ist am Hai eigentlich so schmackhaft?
Eigentlich ist der Hai ein ganz normales Nahrungsmittel. Viele Kulturen schätzen ihn, insbesondere in Asien. Dort sind die Flossen – und fast nur sie – eine Spezialität, die der Suppe das gewisse Etwas geben. Angeblich geschmacklich, aber auch in Sachen Statussymbol. Wer sich Hai leisten kann, der zählt zur „Haigh-Society“. Der Schwerpunkt des Flossenhandels liegt folgerichtig in Hongkong, gefolgt von Singapur und Taiwan. Und nicht im Westen.

Seit man hier im Fernsehen gesehen hat, wie den Tieren mal schnell die Gliedmaßen abgeschnitten werden – für ein paar Teller Suppe – begleitet man den asiatischen Hang zum Hai mit großer Skepsis und Kritik. Zumal der Rest des Hais zurück ins Meer kommt – als Fischfutter.

Doch halt: Bevor wir anderen Völkern in die Suppe spucken, kehren wir zuerst lieber vor unserer eigenen Tür. Denn auch bei uns wird seit jeher Hai gespeist. Da aber die meisten Menschen Angst vor dem Haifisch haben, bekam er im Fischgeschäft zutraulichere Namen wie Schillerlocke. Ein klug gewähltes Wort! Da ist der arme Friedrich Schiller wohl unter die Räuber gefallen, als seine Haarpracht zum Namensgeber für geräucherte Bauchlappen von Dornhaien erkoren wurde.

Es sollte nicht beim Dornhai bleiben. Da ihm der Hundshai irgendwie ähnlich sieht, wurde er gleich als Dornhai mitverarbeitet. Und wenn die Schillerlocken abgetrennt sind, dann braucht natürlich auch der Rest des Tieres eine neue Identität. Seither heißt der enthäutete Rückenmuskel von Dorn- und Hundshai an der Fischtheke „Seeaal“, – klingt doch gleich viel besser. Die Briten haben den Dornhai übrigens als „Fish ‚n‘ chips“ verkauft, und damit die Dornhaibestände der Nordsee übel dezimiert.

Doch es tummeln sich noch mehr Haie in Europas Küchen. Beliebt war der „Seestör“, mit bürgerlichem Namen ein gewöhnlicher Heringshai. Der gut zwei Meter lange Fisch begleitete ebenso wie der Hundshai die Heringsschwärme als Futterquelle. Da wurde er halt nach dem Motto „mitgefangen, mitgehangen“ ebenfalls zur Spezialität. Gekocht schmeckt er ein wenig nach Kalbfleisch, und wenn man die dunklen Stränge aus dem Muskel herausschneidet, dann riecht er auch nicht mehr nach Ammoniak.

Vor dem Weltkrieg wurde der Heringshai in den Fischgeschäften meist als Thunfisch verkauft, weil sein Fleisch ein wenig rötlich war. Später übernahm diesen Part der Hammerhai. In den Fachgeschäften wurde er gern als „Schwertfisch“ feilgeboten. Aber in den Fischfabriken kam er schon mal in die Dosen mit dem Etikett „Thunfisch“.

Der Kunde im Supermarkt hat davon nichts gemerkt. Geschmacklich nicht und auch sonst nicht. Heute sorgen moderne analytische Verfahren zur sogenannten Tierartendifferenzierung für mehr Klarheit – für die, die es interessiert. In Asien und anderswo ist das gar nicht nötig, den Hai mit Dichterhaaren zu veredeln oder in Dosen zu tarnen. Die Menschen dort lieben ihre Haie, einfach weil sie richtig zubereitet ausgezeichnet schmecken.

Ganz besonders stolz sind die Isländer auf ihr Hákarl. Allein schon die Zubereitung lässt vielen Isländern das Wasser im Mund zusammenlaufen: Man nehme einen ausgenommenen, entgräteten Grönlandhai, und lege ihn – zumindest bei traditioneller Zubereitung – in eine Kuhle mit Sand und Kies, die mit Steinen bedeckt wird. Heute packt man ihn in simple Holzkisten oder Plastikwannen, in denen er nun sechs bis zwölf Wochen vor sich hingammelt.

Das Gestein sorgt mit seinem Gewicht dafür, dass die Körperflüssigkeiten ausgepresst werden. Nach der Fermentation wird der Hai in kleinere Stücke geschnitten und dann noch ein paar Monate luftgetrocknet, damit der Ammoniak verdunsten kann – am besten fernab menschlicher Behausungen. Dabei bildet sich an der Oberfläche eine braune Kruste, die vor dem Servieren entfernt werden muss. Der Geruch des speisefertigen Gammelhais wird von Fremden als infernalisch beschrieben, – aber für die Isländer ist es wie eine Droge.

Warum dieser Aufwand? Könnten die sich nicht genauso gut ein Haisteak auf den Grill legen? Leider nein, denn fangfrisch ist dieser Hai ziemlich giftig. Das liegt vor allem an seinem Gehalt an Harnsäure und Trimethylaminoxid. Manche Haie enthalten von diesen Giften wenig andere viel. Und genau das ist auch der Grund für das Abschneiden der Flossen in Asien: Die Flossen enthalten immer wenig Gift, egal von welcher Hai-Art. Deshalb werfen die aus einer Mischung aus Vorsicht und Bequemlichkeit den Rest-Hai einfach weg. Insofern zieht diesmal der Hinweis auf eine alte kulturelle Tradition nicht. Denn von Esskultur kann im Gegensatz zur isländischen Hai-Spezialität keine Rede sein. Mahlzeit!


Literatur::
Lebbin G: Fischhandelskunde und Fischwarenindustrie. Hartleben’s, Wien 1936
Kietzmann U et al: Seefisch als Lebensmittel. Parey, Berlin 1969
Wegner G et al: Räuber, Monster, Menschenfresser. Kosmos, Stuttgart 2007
Boisier P et al: Fatal mass posioning in Madagascar following ingestion of shark (Carcharhinus leucas) and epidemiological aspects and isolation of toxins. Toxicon 1995; 33: 1359-1364
Hopkins J: Strange Food – Skurrile Spezialitäten. Komet, Frechen o. J.