Als Radio noch Zauberei war

Moderation: Joachim Scholl · 07.03.2013
In der Frühzeit des Radios war das Medium nach verbreiteten Vorstellungen noch stark mit Mystizismus und Spiritualität verbunden. Ein Gespräch mit dem Medientheoretiker Wolfgang Hagen über die okkulten Anfänge des Hörfunks, Ätherphysik und Gedankenübertragung.
Joachim Scholl: Im Studio ist jetzt der Medientheoretiker Wolfgang Hagen von der Universität Lüneburg. Schönen guten Tag!

Wolfgang Hagen: Hallo!

Scholl: In unseren heutigen Ohren, Herr Hagen, klingt es ja ziemlich schräg, dass diesen technischen Geistesriesen und epochalen Naturwissenschaftlern, von denen wir gerade gehört haben, so viel Spiritistisches im Kopf herumschwebte. Das waren in jener Epoche zwischen 1890 und 1920 aber keine bizarren Einzelfälle, wie man heute weiß, sondern entsprach einem gewissen Zeitgeist, nicht wahr?

Hagen: Absolut, also das ist ja auch die Zeit, in der sozusagen das, was wir heute ganz normal machen, so wie Yoga und solche Dinge, diese Alters-Spiritismen, die werden da ja erfunden. Also die Blavatsky, die ganz große Madame, die die theosophische Gesellschaft 1875 erfindet, die hat eine Riesenanhängerschaft in Deutschland, wo natürlich auch einige Physiker dabei sind, und unter anderem der Herr Rudolf Steiner, der sich dann von ihr trennt und die Anthroposophen gründet. Also das Ganze ist um die Jahrhundertwende, vielleicht ein Vierteljahrhundert vor der Jahrhundertwende 1900 ein Schmelztiegel, in dem sozusagen noch einmal die gesamte Abendländische mystizistische Geschichte säkularisiert und zugleich auch wieder spiritisiert wird und eine unglaubliche Kraft entfaltet.

Scholl: Von jenem Äther, diesem Fluidum, ist schon in der Antike die Rede. Es gibt ihn definitiv nicht, oder?

Hagen: Also es gibt ihn im ontologischen Sinne nicht. Und da fangen wir schon an – das ist eigentlich mehr ein Problem, wie man Wissenschaft betreibt, wenn man über den Äther redet. Der Äther, der spaltet sozusagen sofort diejenigen, die in irgendeiner Form wissenschaftlich damit umgehen wollen, und da war eben Einstein 1905 der Meinung, dass zumindest für die spezielle Relativitätstheorie der Äther nicht nötig ist. In der allgemeinen Relativitätstheorie kann dieser Äther durchaus wieder stattfinden. Und wenn wir heute bei den speziellen Physikern der Astronomie nachdenken, was eigentlich ein Big Bang wäre, dann wäre es ja nicht verwunderlich, dass das vielleicht ein ganz kleiner Ätherkern war, der da explodierte.

Scholl: Als Begriff hat sich der Äther jedenfalls bis heute erhalten, auch sozusagen ja als Medium, als Fluidum, und natürlich müssen es die ersten Radiohörer als blanke Zauberei empfunden haben, dass da plötzlich Stimmen und Töne aus einem kleinen Kasten kommen. Wie verbreitet waren solche Empfindungen, magische Vorstellungen in dieser Frühzeit des Radios? Weiß man darüber etwas?

Hagen: Ja, absolut, das konnte ja nur mit Magie einhergehen. Und heute denkt man nicht mehr an Magie, weil man sich sozusagen so gewöhnt hat an dieses Medium. Aber in Wirklichkeit ist das ja immer noch ein Skandal, dass sozusagen eine veritable Stimme in mein Schlafzimmer eindringt, ohne dass ich überhaupt gefragt habe, wieso, und was sie da tut und was sie in mir auslöst, dass sind alles natürlich Momente des Unbewussten und des Unklaren darin, die man in den Anfängen des Radios, auch wegen der besonderen Klanglichkeit dieses Mittelwellen- und Kurzwellen- und Langwellenradios, was es da gab, noch mit Zischen und anderen Umgebungsgeräuschen verbunden doch sehr, irgendwie fremd, jenseitig fand. Und außerdem war es ja nicht klar, ob der Mars nicht doch bewohnt ist.

Scholl: Und dieser Gedanke der Telepathie, also der Übertragung von Gedanken über die Radiowellen, also auch durch diesen ominösen Äther wiederum, daran wurde tatsächlich technisch-wissenschaftlich gearbeitet?

Hagen: Ja, daran wurde geforscht in der Society for Psychical Research, in die unbedingt Sigmund Freud eintreten wollte, die haben ihn aber nicht aufgenommen. Da wurde tatsächlich nach der Theorie, dass der Elektromagnetismus als Strom in einem Kabel ja nichts anderes ist als eine Ladung an der Außenseite der Kabel, vielleicht also auch unsere Gedanken nichts wären als Ladungen an der Außenseite unseres Kopfes. Und wenn das so wäre, dann wären Sie ja dazu in der Lage, als besonders sensitiver Empfangsmoderator meine Ströme außerhalb des Kopfes zu empfangen, wenn wir nur nahe genug zueinander kommen und Sie ungefähr auf der selben Wellenlänge denken, wie wir heute ja immer noch sagen. Und also können Sie meine Gedanken empfangen, ohne dass ich irgendein Wort sage. Das war theoretisch verbunden mit der Theorie des Elektromagnetismus bei Oliver Lodge, und er hat ungefähr 100 oder mindestens 100 Experimente schriftlich dokumentiert, in denen im Nahbereich Gedankenübertragung nachweislich wurde.

Scholl: Ach, tatsächlich?

Hagen: Ja.

Scholl: Das heißt, wirklich nachweislich im Sinne von – es hat stattgefunden?

Hagen: Also sofern man seinen Aufzeichnungen glaubt, ja.

Scholl: Wie wurden denn solche Forschungen damals in dieser Zeit reflektiert und von der Öffentlichkeit bewertet? War das sozusagen richtig solide Wissenschaft, die da betrieben wurde?

Hagen: Also es gibt eine Ätherphysik, die bis in den Nationalsozialismus hinein Furore gemacht hat. Der Nationalsozialismus mit seiner arischen Physik hat es ganz besonders auf diese hochvergeistigte Ontologie des Äthers abgesehen, während die Amerikaner, diese schnöden Materialisten, an so etwas wie einer ontologischen Seinsbestimmung der Physik völlig uninteressiert waren und mit quantenmechanischen Formeln, mit Unschärferelationen und anderen hochmathematischen Kalkulationen die Atombombe gebaut haben. Mit dem Äther als ontologischer Vorstellung kann man gar keine Atombombe bauen.

Scholl: Wenn wir an diese, wenn man so will, spiritistischen Anfänge des Radios denken, dann kommt uns das natürlich wie graue Vorzeit vor. Wie ist es denn heute, Herr Hagen, ist alle Magie gänzlich verflogen im technisch völlig rationalen Computerzeitalter, das sich inzwischen ja auch das Radio unter den digitalen Nagel gerissen hat?

Hagen: Das kommt drauf an, wie man das sieht. Ich glaube, dass keine Epoche so spiritisiert war wie die unsere. Es gibt Religionswissenschaftler, die sagen, wenn man mal die Kirchen wegnimmt und die traditionellen Religionen, hat es noch nie so viel Religiosität in der Menschheitsgeschichte gegeben wie jetzt gerade, weil fast jeder irgendeine Art von Privatreligion betreibt, und zwar durchaus eine, die ihre Traditionen pflegt und die ihre Wurzeln hat. Innerhalb des öffentlichen, innerhalb des wissenschaftlichen, innerhalb des epistemologischen Diskurses ist das natürlich Baba. Ein bisschen bei den Filmwissenschaftlern ist es wieder en vogue gekommen, weil da C. G. Jung, weniger Freud als C. G. Jung, also ein wirklich spiritistisch reflektierender Psychologe sehr Furore gemacht hat, seitdem Lucas mit seinen Drehbüchern Erfolg hat. Und "Star Trek" [gemeint ist offenbar "Star Wars" – d. Red.], das ist ja nichts anderes als ein archetypisches Muster spiritistischer Art, das C. G. Jung formalisiert hat. Aber ansonsten würde ich sagen, man spricht nicht drüber, aber man tut es.

Scholl: Die spiritistisch okkulten Anfänge des Radios – das war der Medientheoretiker und Historiker Wolfgang Hagen. Danke für Ihren Besuch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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