Als die Kirche im Aufbruch war

Der frühere Wiener Weihbischof Helmut Krätzl blickte als Stenograf hinter die Kulissen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 – 65). In seinem Buch "Das Konzil – ein Sprung vorwärts" attestiert er der katholischen Kirche von heute weit weniger Reformwillen als der damaligen.
Helmut Krätzl ist einer der großen alten Männer des liberalen Katholizismus in Österreich. Vor einem halben Jahrhundert hatte er eine ganz besondere Aufgabe: Der Geistliche war ab 1962 Stenograf auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das die katholische Kirche reformierte. Nun hat er ein Buch geschrieben: "Das Konzil – ein Sprung vorwärts".
Dabei staunt man, wie groß - dem Buchtitel entsprechend - der "Sprung vorwärts" damals tatsächlich war, wie modern vor einem halben Jahrhundert in der Kirche gedacht wurde. Mächtig war damals der Reformstau. Erst kurz zuvor war der 77-jährige Guiseppe Roncalli als Papst Johannes XXIII. gewählt worden, da berief er zum Schrecken der Kurie ein Konzil ein, ein kirchliches Großereignis, das mit einem Schlag das Antlitz der katholischen Kirche veränderte.
An der Liturgiereform wird jenes neue Selbstverständnis am deutlichsten sichtbar, das versuchte, an die Wurzeln zu gehen und all den über Jahrhunderte angesammelten Ballast abzuwerfen, wie es die Mehrheit der Konzilsväter wollte: Aus einer Priesterliturgie in lateinischer Sprache wurde die Feier des ganzen Gottesvolkes in der sogenannten Volkssprache.
Aber schon die neue Ehe-Lehre, die den Eltern die Verantwortung für die Kinderzahl zusprach, wurde später durch die Enzyklika "Humanae Vitae" von Papst Paul VI. wieder eingeschränkt. Somit folgte dem mutigen Sprung vorwärts in den vergangenen 50 Jahren vielfach wieder eine Rückwärtsbewegung, wie sich dem Buch entnehmen lässt.
"Eine negative Interpretation des Konzils, wie sie auch heute vermehrt geäußert wird, mag aus derselben Angst kommen, die damals die Kurie erfasste: Erneuerung der Kirche könnte ihre Position schwächen, könnte Machtverlust bedeuten."
Vieles liest sich in den Konzilstexten revolutionär: Etwa das allgemeine Priestertum der Christen, das ihnen in der Taufe geschenkt werde, ihre Mitverantwortung in der Kirche. Die Kollegialität der Bischöfe mit dem Papst bei der Leitung der Kirche. Krätzl spricht von Potenzialen des Konzils, die ein halbes Jahrhundert später noch immer nicht ausgeschöpft seien.
"Insgesamt, glaube ich, wäre es ganz wichtig, dass die Kirche jetzt wieder diesen Mut hat von Johannes XXIII., vom Konzil, sich den Aufgaben der Welt zu stellen. Wir sind, glaube ich, momentan in einer Situation, wo durch den Mitgliederschwund und durch die Säkularisierung der Gesellschaft die Kirche sich eher in die Sakristeien zurückzieht, als dass sie sich offen dem Diskurs draußen in der Welt stellt. Mit eigener Meinung, nicht anpasslerisch, aber doch auch auf einer gleichen Augenhöhe und Respekt vor den vielen Kräften in der Gesellschaft, vor allem auch mit der Naturwissenschaft."
Fast listig zitiert Krätzl immer wieder aus den Konzilskommentaren eines anderen Zeitzeugen: Josef Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. So riet dieser etwa damals im Umgang mit verheirateten Geschiedenen zu einem barmherzigen Umgang und erwartete eine baldige Lösung, die es allerdings selbst während seines Papsttums nicht gab. Auch in der Ökumene bleibt nach den von Krätzl zitierten Konzilstexten der Eindruck nicht aus, dass man da schon einmal weiter war.
"Gerade die Annäherung in der Frage der Eucharistie und des Abendmahles sollte endlich auch zu offiziellem gemeinsamem Tun führen. Die Ökumene wird sich 2017 besonders bewähren müssen, im Gedächtnis an das Lutherjahr."
Viele Fragen hat das Konzil angedacht, die noch nicht zu Ende gedacht sind. Dennoch lehnt Helmut Krätzl ein Drittes Vatikanum, wie mancherorts gefordert, ab.
"Die Großwetterlage scheint so zu sein, dass eher die konservativen Kräfte, vor allem in Rom in der Kurie die Oberhand haben und auch im Streit über die Interpretation des Zweiten Vatikanums, jetzt 50 Jahre danach. Der läuft ja so, dass man eher den Eindruck hat, man betont, es ist alles aus der Kontinuität zu interpretieren. Das heißt, das Konzil hat eigentlich gar nichts Neues gebracht. Ich fürchte, dass ein drittes Vatikanum heute eher das Zweite Vatikanum korrigieren würde als die offenen Fragen weiterzudenken."
Dabei staunt man, wie groß - dem Buchtitel entsprechend - der "Sprung vorwärts" damals tatsächlich war, wie modern vor einem halben Jahrhundert in der Kirche gedacht wurde. Mächtig war damals der Reformstau. Erst kurz zuvor war der 77-jährige Guiseppe Roncalli als Papst Johannes XXIII. gewählt worden, da berief er zum Schrecken der Kurie ein Konzil ein, ein kirchliches Großereignis, das mit einem Schlag das Antlitz der katholischen Kirche veränderte.
An der Liturgiereform wird jenes neue Selbstverständnis am deutlichsten sichtbar, das versuchte, an die Wurzeln zu gehen und all den über Jahrhunderte angesammelten Ballast abzuwerfen, wie es die Mehrheit der Konzilsväter wollte: Aus einer Priesterliturgie in lateinischer Sprache wurde die Feier des ganzen Gottesvolkes in der sogenannten Volkssprache.
Aber schon die neue Ehe-Lehre, die den Eltern die Verantwortung für die Kinderzahl zusprach, wurde später durch die Enzyklika "Humanae Vitae" von Papst Paul VI. wieder eingeschränkt. Somit folgte dem mutigen Sprung vorwärts in den vergangenen 50 Jahren vielfach wieder eine Rückwärtsbewegung, wie sich dem Buch entnehmen lässt.
"Eine negative Interpretation des Konzils, wie sie auch heute vermehrt geäußert wird, mag aus derselben Angst kommen, die damals die Kurie erfasste: Erneuerung der Kirche könnte ihre Position schwächen, könnte Machtverlust bedeuten."
Vieles liest sich in den Konzilstexten revolutionär: Etwa das allgemeine Priestertum der Christen, das ihnen in der Taufe geschenkt werde, ihre Mitverantwortung in der Kirche. Die Kollegialität der Bischöfe mit dem Papst bei der Leitung der Kirche. Krätzl spricht von Potenzialen des Konzils, die ein halbes Jahrhundert später noch immer nicht ausgeschöpft seien.
"Insgesamt, glaube ich, wäre es ganz wichtig, dass die Kirche jetzt wieder diesen Mut hat von Johannes XXIII., vom Konzil, sich den Aufgaben der Welt zu stellen. Wir sind, glaube ich, momentan in einer Situation, wo durch den Mitgliederschwund und durch die Säkularisierung der Gesellschaft die Kirche sich eher in die Sakristeien zurückzieht, als dass sie sich offen dem Diskurs draußen in der Welt stellt. Mit eigener Meinung, nicht anpasslerisch, aber doch auch auf einer gleichen Augenhöhe und Respekt vor den vielen Kräften in der Gesellschaft, vor allem auch mit der Naturwissenschaft."
Fast listig zitiert Krätzl immer wieder aus den Konzilskommentaren eines anderen Zeitzeugen: Josef Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. So riet dieser etwa damals im Umgang mit verheirateten Geschiedenen zu einem barmherzigen Umgang und erwartete eine baldige Lösung, die es allerdings selbst während seines Papsttums nicht gab. Auch in der Ökumene bleibt nach den von Krätzl zitierten Konzilstexten der Eindruck nicht aus, dass man da schon einmal weiter war.
"Gerade die Annäherung in der Frage der Eucharistie und des Abendmahles sollte endlich auch zu offiziellem gemeinsamem Tun führen. Die Ökumene wird sich 2017 besonders bewähren müssen, im Gedächtnis an das Lutherjahr."
Viele Fragen hat das Konzil angedacht, die noch nicht zu Ende gedacht sind. Dennoch lehnt Helmut Krätzl ein Drittes Vatikanum, wie mancherorts gefordert, ab.
"Die Großwetterlage scheint so zu sein, dass eher die konservativen Kräfte, vor allem in Rom in der Kurie die Oberhand haben und auch im Streit über die Interpretation des Zweiten Vatikanums, jetzt 50 Jahre danach. Der läuft ja so, dass man eher den Eindruck hat, man betont, es ist alles aus der Kontinuität zu interpretieren. Das heißt, das Konzil hat eigentlich gar nichts Neues gebracht. Ich fürchte, dass ein drittes Vatikanum heute eher das Zweite Vatikanum korrigieren würde als die offenen Fragen weiterzudenken."