Als deutsche Pastorin in New York

Brücken bauen in einem gespaltenen Land

06:23 Minuten
Pastorin Miriam Gross im schwarzen Talar in ihrer Kirche
Beten in Big Apple: Pastorin Miriam Groß leitet die deutschsprachige Gemeinde Saint Pauls in Manhattan. © Deutschlandradio / Klaus Martin Höfer
Von Klaus Martin Höfer · 01.11.2020
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Miriam Groß ist Auslandspfarrerin der deutschen Kirchengemeinde in Manhattan. Sie erfährt in den USA ein vollkommen anderes Gemeindeleben als in Deutschland. Durch die Coronakrise haben die Gegensätze noch zugenommen.
"Jetzt bin ich gerade aus White Plains gekommen, das ist 42 Kilometer weit weg mit der U-Bahn", sagt Pastorin Miriam Groß. "Von Haustür zu Haustür eindreiviertel Stunden, das ist ein ganz normaler Weg zur Arbeit in New York, manches sogar noch viel weiter."

Von der Inselkirche nach Manhattan

Miriam Groß war schon Pfarrerin in München und Auslandspfarrerin auf einer schottischen Insel. Das Pfarrhaus war jedes Mal nebenan. Im Ortsteil Chelsea von Manhattan ist das anders.
"Dieses Pfarrhaus wurde in den achtziger Jahrenverkauft", erzählt Groß. "Da war zum einen Chelsea kein so guter Lebensort. Wie viele, denke ich, auch wissen, gab es viele Drogen, Prostitution, es ist ein ganz schwieriger Stadtteil gewesen. Und dann hatte sich die Gemeinde auch aufgrund finanzieller Engpässe dazu entschieden, das Haus zu verkaufen."

Kluft zwischen Arm und Reich wird tiefer

Mittlerweile ist Chelsea stark gentrifiziert. Wer dort wohnt, hat ein gutes Einkommen. Neue Wolkenkratzer und die "High Line", ein beliebter, auf einer ehemaligen Hochbahntrasse eingerichteter Park und Weg, sind in der Nähe.
Blick durch die Äste eines Baums auf eine Kirchenfassade mit gotischen Glasfenstern und einer grünen Kirchturmspitze
Eine deutsche Gemeinde mitten in Manhattan: Fenster und Turm der St. Pauls-Kirche im Stadtteil Chelsea© Deutschlandradio / Klaus Martin Höfer
Doch die Pandemie hat die Stimmung im Stadtteil verändert. Selbst lange etablierte Restaurants und Geschäfte haben schließen müssen, in den Eingängen haben sich Obdachlose einen Schlafplatz für die Nacht eingerichtet. In einem Interview, das wir nach meinem Besuch vor zehn Monaten übers Internet geführt haben, erklärt Miriam Groß:
"Das schöne, aufsteigende Chelsea ist nun einer der Orte, an dem die Kluft zwischen Arm und Reich besonders sichtbar geworden ist. Und das schmerzt mich sehr. Die kleinen Initiativen und Suppenküchen versuchen, was sie können. Doch die Pandemie schränkt deren Arbeit ein. Manchen ist sie sogar unmöglich."

Suppenküche mit Sicherheitsabstand

"In der kleinen jüdischen Tafel, in der ich regelmäßig arbeite, müssen wir neben allen Sicherheitsvorkehrungen sehr darauf achten, dass wir sogenannte Ansteckungsketten unterbrechen. Wir wollen das Risiko für unsere Klienten möglichst gering halten. In diesem Fall sind es zumeist undokumentierte Immigranten, die keine Krankenversicherung zahlen und überwiegend durch die Pandemie von Arbeitslosigkeit bedroht oder betroffen sind."
An einer Säule in der St. Pauls-Kirche erinnert eine Tafel mit goldenenen Lettern an den 1919 verstorbenen Pastor Leo Koenig, einen früheren Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde.
Verdienter Hirte: Eine Gedenktafel erinnert an einen früheren Pfarrer der Gemeinde.© Deutschlandradio / Klaus Martin Höfer
Von den etwa 200 Gemeindemitgliedern leben die meisten im Umkreis von New York, in New Jersey oder in Connecticut. Bereits vor der Coronakrise hat die Gemeinde digital per Videokonferenz Absprachen getroffen, zum Beispiel im Gemeindekirchenrat. Und auch mit den Konfirmanden verabredete Miriam Groß oft Onlinetreffen. Dann kam der Pandemie-Lockdown, und alle Veranstaltungen in der Kirche wurden untersagt, auch die Gottesdienste.
Dadurch leiden die Einnahmen, denn um den jährlichen Etat zu stemmen, war auch schon vor Corona die Fantasie der Pastorin gefragt. Dass die Gemeinden in den USA anders strukturiert sind, erfuhr Miriam Groß gleich nach ihrer Ankunft.
"Ich denke, der wohl größte Überraschungsmoment war die finanzielle Konstitution der Gemeinde", sagt Groß. "Wir sind eine sogenannte selbstfinanzierte Gemeinde, die nur einen sehr kleinen und sehr übersichtlichen Zuschuss von der EKD bekommt und sich zu den größten Teilen selbst finanziert. Das heißt, Fundraising ist ein Riesenthema, und auch das Akquirieren von Geld ist damit um einiges dringlicher als in Deutschland."

Die Kirche als Filmkulisse

Vor Corona wurde einiges an Mitteln eingespielt, indem die Kirchenräume für Konzerte und andere Kulturveranstaltungen vermietet wurden, oder an Filmproduktionen.
Im Schaukasten am Eingang der deutschsprachigen Saint Pauls-Kirchengemeinde in New York ist der Hinweis auf ein Krippenspiel zu lesen sowie eine Mitteilung für Filmproduktionsfirmen, welche die Kirche als Drehort anmieten möchten.  
Im Schaukasten am Eingang der St. Pauls-Gemeinde findet sich auch eine Kontaktadresse für Filmteams.© Deutschlandradio / Klaus Martin Höfer
"'Marvelous Mrs. Maisel' kennen Sie vielleicht, die Sendung? Oder Sie kennen 'Blacklist'? Die haben hier auch gefilmt", erzählt Groß. "Es sind Orchester, die sich hier einmieten. Woody Allen hat hier gedreht. Es wird hier gut genutzt und frequentiert, was ja für uns finanziell ganz wichtig ist."

Seelsorgerin der New Yorker Polizei

Die Pandemie hat Miriam Groß jetzt allerdings erst einmal im wahrsten Sinn einen Strich durch die Rechnung gemacht. Umso mehr ist sie jetzt auf Spenden angewiesen, was ihre Arbeitsbelastung noch weiter erhöht. Zudem ist sie auch noch Seelsorgerin für die NYPD, die New Yorker Polizei:
"Das ist ein ganz spannendes Modell. Die NYPD hat vor vier Jahren ein sogenanntes Neighborhood Community Policing Project hervorgerufen, in dem, in Sektoren eingeteilt, jeweils sogenannte Neighborhood Community Officers tätig sind und gleichzeitig für jedes Precinct, also jede Polizeistation mindestens zwei clergy - das ist offen, also Geistliche von verschiedenen Glaubenseinrichtungen - für sie als offizielle Ansprechpartner vorhanden sind. Und da bin ich jetzt hier einer dieser Ansprechpartner. Das ist eine ganz spannende Sache. Aber ich bin da ganz klar für die Cops zuständig und nicht für die, ich würde mal sagen, die Klienten."
Männer und Frauen in warmer Kleidung spazieren über die "Chelsea Highline", einen begrünten Weg auf einer ehemaligen Hochbahntrasse, durch Manhattan, links von der Brüstung ist ein Backsteinhaus mit roten Feuertreppen aus Metall zu sehen.
Die "Highline" in Manhattan ist ein grüner Höhenweg im Großstadtdschungel.© Deutschlandradio / Klaus Martin Höfer
Was Miriam Groß genau mit den Polizisten in ihrem Viertel bespricht, bleibt unter Verschluss. In diesen angespannten Zeiten, wo landesweit Polizeigewalt und Ungerechtigkeiten gegenüber Schwarzen diskutiert werden, sehen sich Miriam Groß und ihre Gemeinde in einer sozialen Verantwortung.
"Gerade jetzt ist es wichtig, dass wir Gemeinsames suchen", sagt Groß. "Denn noch nie habe ich die USA derart gespalten und polarisiert erlebt. Da braucht es Brückenbauerinnen und Brückenbauer, die jenseits aller Unterschiede Gemeinsames suchen."
Und vielleicht kann gerade eine deutsche Pastorin mit ihrem anderen Blick auf das Land diese Brücken erkennen und ihren Teil dazu beitragen, dass die entzweiten Hälften der US-amerikanischen Gesellschaft wieder stärker zusammenfinden.
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