Als das Wegwerf-Buch Karriere machte
Wolfgang Balk im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 08.07.2011
Billig und auf schlechtem Papier gedruckt: Das Taschenbuch hatte im Nachkriegsdeutschland einen schlechten Ruf. Das änderte sich rasant, als der dtv-Verlag ab 1961 hochrangige Autoren als "Billig-Bücher" druckte. Verlagschef Wolfgang Balk erinnert daran, wie das Taschenbuch das literarische Leben in Deutschland beflügelte.
Stephan Karkowsky: Ein gutes Buch muss gebunden sein und schwer, gern mit Leinen- oder Ledereinband, Prägeschrift auf den festen Buchdeckeln und natürlich teures Papier. Weltliteratur und Poesie brauchen schließlich eine standesgemäße Verpackung. Das war lange Zeit die geltende Meinung, bis elf deutsche Hardcover-Verlage vor 50 Jahren gemeinsam den Deutschen Taschenbuch Verlag gründeten. dtv-Chef Wolfgang Balk wollen wir nun persönlich gratulieren zum Jubiläum. Guten Morgen, Herr Balk!
Wolfgang Balk: Schönen guten Morgen!
Karkowsky: Herr Balk, meine ersten Taschenbücher waren tatsächlich von dtv, nämlich "Wanderer, kommst du nach Spa" von Böll, und der "Blaumilchkanal" von Ephraim Kishon. Wie war das denn bei Ihnen?
Balk: Also, meine ersten Taschenbücher habe ich tatsächlich vor dtv gekauft, und da gab es schon den Rowohlt Verlag oder selbst der Goldmann Verlag, der hinten mit Leinen gebunden zum Beispiel eine Aristophanes-Ausgabe herausbrachte oder die Ilias, das ist längst vorbei. Und als ich die ersten dtv-Bücher entdeckt habe in den Buchhandlungen – es gab damals ja noch diese Drehständer, Sie können sich vielleicht erinnern, ich weiß nicht, wie alt Sie sind …
Karkowsky: Die gibt es, glaube ich, in manchen Flughäfen immer noch.
Balk: … die gibt es manchmal noch, aber die sind seltener geworden –, und da blickten mir auf einmal diese weißen Bücher entgegen, und ich war begeistert von diesem Design, das alles in den Schatten stellte, was bisher an Taschenbüchern auf dem deutschen Markt war. Und allein die Ästhetik gefiel mir so, dass ich dann zu dtv-Büchern griff, und die ersten waren ja von Heinrich Böll oder auch von Romano Guardini, es war ein grandioses Programm, ein kulturbeflissenes Programm, kann man sagen. Die Bücher waren so schön, dass man danach griff.
Karkowsky: Das ist interessant, es ging mir ganz genau so! Ich kam als junger Leser gerade aus meiner Comic-Phase raus und war als Konsument von Disneys lustigen Taschenbüchern ja ohnehin ans Format gewöhnt, und mir gefielen diese Zeichnungen auch außergewöhnlich gut – und die stammten 30 Jahre lang, diese Coverzeichnungen, alle vom selben Grafiker. Wer war dieser Mann namens Celestino Piatti?
Balk: Celestino Piatti war Schweizer, inzwischen ist er verstorben, und der war in der Tat ein genialer Grafiker, man kann auch sagen, Typograph. Der wurde entdeckt von einem der Gesellschafter – auch ein Schweizer Verleger, nämlich Bruno Mariacher –, der hatte den vorgeschlagen, der kannte den schon von Plakaten her zum Beispiel.
Er war ein großer Plakatkünstler, der auch für das Theater gearbeitet hat. Und der hat sich dann hingesetzt und tatsächlich einen typographischen Entwurf entwickelt für dtv – sehr einfach, aber sehr einprägsam –, erfand dann eine Groteskschrift, das ist eine serifenlose Schrift, die hat er voll fett sozusagen auf die Umschläge rechtsbündig platziert, und dazu hat er dann zu den Inhalten immer bestimmte Zeichnungen gemacht.
Aber ausschlaggebend war dieser weiße Fonds und die rechtsbündige, fette Groteskschrift, die haben den Charakter des Taschenbuchs bei dtv über Jahre bestimmt.
Karkowsky: Dieser Grafiker, Piatti, war von Anfang an dabei, geholt hatte ihn der Gründungsverleger Heinz Friedrich. Der war zuvor Mitbegründer der Gruppe 47 gewesen und ja ursprünglich ein Radiokollege. Er war …
Balk: Ja, der wurde von Radio Bremen – der war Journalist – wurde er geholt, der hatte allerdings schon mal beim S. Fischer Verlag gearbeitet, und …
Karkowsky: … wie Sie auch …
Balk: … wie ich auch, ja, das sagen Sie richtig – der hat mit Celestino Piatti dann zusammen den Verlag über Jahre bestimmt.
Karkowsky: Was genau haben sich diese elf Verlage von der Gründung eines gemeinsamen Taschenbuchverlages erhofft?
Balk: Na ja, also, das Taschenbuch war ja nun ein ganz junges Projekt, sozusagen, kam über Amerika in der Nachkriegszeit nach Deutschland. Die ersten Taschenbücher, kann man sagen, waren keine Bücher, sondern das waren quasi Zeitungen, die über Rotationsmaschinen laufen, deswegen …
Karkowsky: … Rowohlt Rotations Romane …
Balk: … Rowohlt Rotations Romane, also Hemingway und so weiter wurde dem deutschen Publikum gewissermaßen auf Zeitungspapier in Zeitungsformat präsentiert. Aber die Taschenbücher führten natürlich schnell – man kann das schon so sagen – zu einer Demokratisierung der Bücher. Die waren ja im Preisverhältnis im Gegensatz zur heutigen Zeit sehr viel günstiger als Hardcover. Ein Hardcover kostete im Durchschnitt 20 D-Mark, ein Taschenbuch in der Anfangszeit etwa eine Mark 90 oder wenn's hoch kam zwei Mark 90.
Karkowsky: Sie hören zum 50-jährigen Jubiläum des Deutschen Taschenbuchverlages Wolfgang Balk, den dtv-Geschäftsführer. Herr Balk, warum gründete denn nicht einfach jeder Verlag eine eigene Taschenbuchabteilung?
Balk: Na ja, es war so, es gab schon die relativ großen Taschenbuchverlage – eben Rowohlt, Ullstein, Goldmann –, und die Verlage hatten schon eine gewisse Marketingerfahrung zusammen, nämlich über die Bücher der 19.
Das wäre jetzt zu kompliziert, das zu erklären. Aber es war so, die Verlage schlossen sich zusammen, das waren damals 19, und hatten jeweils ein Buch aus ihrem Programm in einem Monat besonders gemeinsam präsentiert. Also, es war da schon ein gewisser Zusammenschluss. Und die einzelnen Verlage – das kann man schon so sagen – fühlten sich zu klein, um jeweils selbstständig Taschenbuchverlage zu gründen, weil sie doch nicht so viel Bücher pro Halbjahr produzierten, dass sich das dann gelohnt hätte.
Und die hatten ja schon vorher an die bestehenden Taschenbuchverlage Lizenzen gegeben, wollten aber jetzt die eigenen Rechte selbst vermarkten und schlossen sich zusammen – ein ziemlich einmaliger Vorgang in der Verlagsgeschichte. Es gibt eigentlich so gut wie nichts Vergleichbares, dass sich wirklich konkurrierende Unternehmen quasi zusammenschließen.
Karkowsky: Und Sie mussten ja dann erst einmal das schlechte Image des Taschenbuches beseitigen. Was war das denn eigentlich? War das Dünkel, oder was war das, was dem Taschenbuch als …
Balk: Ja, das war Bildungsdünkel. Das muss man ganz deutlich sagen! Ich habe das erlebt, mein Vater war selbst Buchhändler, der stand auch dem Taschenbuch natürlich kritisch gegenüber. Und man muss zugeben, die ersten Taschenbücher, die waren auch auf relativ schlechtem, holzhaltigem Papier gedruckt, soviel Buchstaben wie möglich auf eine Seite.
Also, es war ein sehr eingeschränktes Lesevergnügen –, aber damit wurde den Leuten, also vor allem auch jungen Leuten die Literatur zugänglich gemacht, die ja sozusagen durch die Nazizeit von Deutschland abgeschnitten war. Ob das Kafka oder Marcel Proust war, wer auch immer, das kannten die Leute gar nicht. Und da hat das Taschenbuch dafür gesorgt, dass hier sozusagen das literarische Leben in die Bundesrepublik kam.
Karkowsky: Konnte denn der Gründungsverleger Heinz Friedrich, schon 1961 ein anspruchsvolles Programm machen? Denn das allererste Buch – Heinrich Bölls "Irisches Tagebuch" – ist ja eher ein politisch unverfänglicher poetischer Reisebericht.
Balk: Na ja, es ist Literatur, kann man sagen, und also sehr schnell haben dann Autoren wie André Gide zum Beispiel Eingang in das Programm gefunden, und dann wurden auch die dtv-Atlanten begründet. Es war am Anfang ein anspruchsvolles literarisches Programm, das wir bis heute pflegen. Und dazu kamen dann auch noch Klassikerausgaben, die erste Goethe-Ausgabe – Gesamtausgabe, muss man sagen! – im Taschenbuch erschien im dtv. Also man hat nicht unbegründet den dtv als den Taschenbuchverlag für anspruchsvolle Leser apostrophiert.
Karkowsky: Ist das denn heute noch so? Sie selbst sind seit 1996 dabei, und ich denke mal, die Mechanismen des Buchmarktes haben sich verändert. Muss die dtv kommerzieller werden?
Balk: Also, kommerziell war das Büchermachen schon immer. Das darf man überhaupt nicht leugnen. Nur, es war leichter, in den 60er-, 70er-Jahren, Literatur zu verkaufen, weil wirklich Nachholbedarf bestand. Und heute – also, Heinz Friedrich sprach seinerzeit schon von einer gewissen Überproduktion, aber Verlage sind sozusagen Unternehmen. Und es gibt natürlich auch inzwischen viele Verlage, die hoch subventionierte Editionen veranstalten, schließlich müssen Löhne, Gehälter, Lektorate, der Druck, und so weiter, bezahlt werden, aber bei allen Verlagen, die sich um Literatur bemühen, sieht es doch so aus, dass ein kleiner Bruchteil der Bücher kostendeckend gemacht werden kann und der Rest eigentlich unterkalkuliert ist.
Karkowsky: Haben Sie denn noch einen Traum, was Sie bei dtv in der Ära des E-Books gerne veröffentlichen möchten? Also, ein Blick in die Zukunft?
Balk: Blick in die Zukunft: Ich hoffe, dass das gedruckte Buch weiterhin Bestand hat, und ich denke, dass da so viele Vorteile drin liegen, dass das durch das E-Book nicht zu sehr zurückgedrängt wird. Aber die Zahlen aus Amerika, die klingen natürlich bedrohlich.
Mein Traum besteht natürlich nach wie vor darin, Autoren zu entdecken und zu fördern, auch junge Dichterinnen und Dichter – wir haben das jetzt mit der Judith Zander zum Beispiel ganz gut geschafft – und auch Editionen von teilweise nicht mehr so bekannten Autoren und Autorinnen zu machen, wie jetzt Mascha Kaleko; da kommt bei uns zum ersten Mal eine Gesamtausgabe auch mit ihren Briefen heraus. Es macht nach wie vor viel Spaß, Neues zu entdecken – auch verlegerisch!
Karkowsky: 50 Jahre dtv. Am Sonntag startet die Jubiläumswoche im Literaturhaus München. Sie hörten dazu den Verlagsgeschäftsführer des Deutschen Taschenbuch Verlages, Wolfgang Balk. Danke für das Gespräch!
Balk: Ja, ich danke Ihnen sehr für Ihr Interesse.
Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Wolfgang Balk: Schönen guten Morgen!
Karkowsky: Herr Balk, meine ersten Taschenbücher waren tatsächlich von dtv, nämlich "Wanderer, kommst du nach Spa" von Böll, und der "Blaumilchkanal" von Ephraim Kishon. Wie war das denn bei Ihnen?
Balk: Also, meine ersten Taschenbücher habe ich tatsächlich vor dtv gekauft, und da gab es schon den Rowohlt Verlag oder selbst der Goldmann Verlag, der hinten mit Leinen gebunden zum Beispiel eine Aristophanes-Ausgabe herausbrachte oder die Ilias, das ist längst vorbei. Und als ich die ersten dtv-Bücher entdeckt habe in den Buchhandlungen – es gab damals ja noch diese Drehständer, Sie können sich vielleicht erinnern, ich weiß nicht, wie alt Sie sind …
Karkowsky: Die gibt es, glaube ich, in manchen Flughäfen immer noch.
Balk: … die gibt es manchmal noch, aber die sind seltener geworden –, und da blickten mir auf einmal diese weißen Bücher entgegen, und ich war begeistert von diesem Design, das alles in den Schatten stellte, was bisher an Taschenbüchern auf dem deutschen Markt war. Und allein die Ästhetik gefiel mir so, dass ich dann zu dtv-Büchern griff, und die ersten waren ja von Heinrich Böll oder auch von Romano Guardini, es war ein grandioses Programm, ein kulturbeflissenes Programm, kann man sagen. Die Bücher waren so schön, dass man danach griff.
Karkowsky: Das ist interessant, es ging mir ganz genau so! Ich kam als junger Leser gerade aus meiner Comic-Phase raus und war als Konsument von Disneys lustigen Taschenbüchern ja ohnehin ans Format gewöhnt, und mir gefielen diese Zeichnungen auch außergewöhnlich gut – und die stammten 30 Jahre lang, diese Coverzeichnungen, alle vom selben Grafiker. Wer war dieser Mann namens Celestino Piatti?
Balk: Celestino Piatti war Schweizer, inzwischen ist er verstorben, und der war in der Tat ein genialer Grafiker, man kann auch sagen, Typograph. Der wurde entdeckt von einem der Gesellschafter – auch ein Schweizer Verleger, nämlich Bruno Mariacher –, der hatte den vorgeschlagen, der kannte den schon von Plakaten her zum Beispiel.
Er war ein großer Plakatkünstler, der auch für das Theater gearbeitet hat. Und der hat sich dann hingesetzt und tatsächlich einen typographischen Entwurf entwickelt für dtv – sehr einfach, aber sehr einprägsam –, erfand dann eine Groteskschrift, das ist eine serifenlose Schrift, die hat er voll fett sozusagen auf die Umschläge rechtsbündig platziert, und dazu hat er dann zu den Inhalten immer bestimmte Zeichnungen gemacht.
Aber ausschlaggebend war dieser weiße Fonds und die rechtsbündige, fette Groteskschrift, die haben den Charakter des Taschenbuchs bei dtv über Jahre bestimmt.
Karkowsky: Dieser Grafiker, Piatti, war von Anfang an dabei, geholt hatte ihn der Gründungsverleger Heinz Friedrich. Der war zuvor Mitbegründer der Gruppe 47 gewesen und ja ursprünglich ein Radiokollege. Er war …
Balk: Ja, der wurde von Radio Bremen – der war Journalist – wurde er geholt, der hatte allerdings schon mal beim S. Fischer Verlag gearbeitet, und …
Karkowsky: … wie Sie auch …
Balk: … wie ich auch, ja, das sagen Sie richtig – der hat mit Celestino Piatti dann zusammen den Verlag über Jahre bestimmt.
Karkowsky: Was genau haben sich diese elf Verlage von der Gründung eines gemeinsamen Taschenbuchverlages erhofft?
Balk: Na ja, also, das Taschenbuch war ja nun ein ganz junges Projekt, sozusagen, kam über Amerika in der Nachkriegszeit nach Deutschland. Die ersten Taschenbücher, kann man sagen, waren keine Bücher, sondern das waren quasi Zeitungen, die über Rotationsmaschinen laufen, deswegen …
Karkowsky: … Rowohlt Rotations Romane …
Balk: … Rowohlt Rotations Romane, also Hemingway und so weiter wurde dem deutschen Publikum gewissermaßen auf Zeitungspapier in Zeitungsformat präsentiert. Aber die Taschenbücher führten natürlich schnell – man kann das schon so sagen – zu einer Demokratisierung der Bücher. Die waren ja im Preisverhältnis im Gegensatz zur heutigen Zeit sehr viel günstiger als Hardcover. Ein Hardcover kostete im Durchschnitt 20 D-Mark, ein Taschenbuch in der Anfangszeit etwa eine Mark 90 oder wenn's hoch kam zwei Mark 90.
Karkowsky: Sie hören zum 50-jährigen Jubiläum des Deutschen Taschenbuchverlages Wolfgang Balk, den dtv-Geschäftsführer. Herr Balk, warum gründete denn nicht einfach jeder Verlag eine eigene Taschenbuchabteilung?
Balk: Na ja, es war so, es gab schon die relativ großen Taschenbuchverlage – eben Rowohlt, Ullstein, Goldmann –, und die Verlage hatten schon eine gewisse Marketingerfahrung zusammen, nämlich über die Bücher der 19.
Das wäre jetzt zu kompliziert, das zu erklären. Aber es war so, die Verlage schlossen sich zusammen, das waren damals 19, und hatten jeweils ein Buch aus ihrem Programm in einem Monat besonders gemeinsam präsentiert. Also, es war da schon ein gewisser Zusammenschluss. Und die einzelnen Verlage – das kann man schon so sagen – fühlten sich zu klein, um jeweils selbstständig Taschenbuchverlage zu gründen, weil sie doch nicht so viel Bücher pro Halbjahr produzierten, dass sich das dann gelohnt hätte.
Und die hatten ja schon vorher an die bestehenden Taschenbuchverlage Lizenzen gegeben, wollten aber jetzt die eigenen Rechte selbst vermarkten und schlossen sich zusammen – ein ziemlich einmaliger Vorgang in der Verlagsgeschichte. Es gibt eigentlich so gut wie nichts Vergleichbares, dass sich wirklich konkurrierende Unternehmen quasi zusammenschließen.
Karkowsky: Und Sie mussten ja dann erst einmal das schlechte Image des Taschenbuches beseitigen. Was war das denn eigentlich? War das Dünkel, oder was war das, was dem Taschenbuch als …
Balk: Ja, das war Bildungsdünkel. Das muss man ganz deutlich sagen! Ich habe das erlebt, mein Vater war selbst Buchhändler, der stand auch dem Taschenbuch natürlich kritisch gegenüber. Und man muss zugeben, die ersten Taschenbücher, die waren auch auf relativ schlechtem, holzhaltigem Papier gedruckt, soviel Buchstaben wie möglich auf eine Seite.
Also, es war ein sehr eingeschränktes Lesevergnügen –, aber damit wurde den Leuten, also vor allem auch jungen Leuten die Literatur zugänglich gemacht, die ja sozusagen durch die Nazizeit von Deutschland abgeschnitten war. Ob das Kafka oder Marcel Proust war, wer auch immer, das kannten die Leute gar nicht. Und da hat das Taschenbuch dafür gesorgt, dass hier sozusagen das literarische Leben in die Bundesrepublik kam.
Karkowsky: Konnte denn der Gründungsverleger Heinz Friedrich, schon 1961 ein anspruchsvolles Programm machen? Denn das allererste Buch – Heinrich Bölls "Irisches Tagebuch" – ist ja eher ein politisch unverfänglicher poetischer Reisebericht.
Balk: Na ja, es ist Literatur, kann man sagen, und also sehr schnell haben dann Autoren wie André Gide zum Beispiel Eingang in das Programm gefunden, und dann wurden auch die dtv-Atlanten begründet. Es war am Anfang ein anspruchsvolles literarisches Programm, das wir bis heute pflegen. Und dazu kamen dann auch noch Klassikerausgaben, die erste Goethe-Ausgabe – Gesamtausgabe, muss man sagen! – im Taschenbuch erschien im dtv. Also man hat nicht unbegründet den dtv als den Taschenbuchverlag für anspruchsvolle Leser apostrophiert.
Karkowsky: Ist das denn heute noch so? Sie selbst sind seit 1996 dabei, und ich denke mal, die Mechanismen des Buchmarktes haben sich verändert. Muss die dtv kommerzieller werden?
Balk: Also, kommerziell war das Büchermachen schon immer. Das darf man überhaupt nicht leugnen. Nur, es war leichter, in den 60er-, 70er-Jahren, Literatur zu verkaufen, weil wirklich Nachholbedarf bestand. Und heute – also, Heinz Friedrich sprach seinerzeit schon von einer gewissen Überproduktion, aber Verlage sind sozusagen Unternehmen. Und es gibt natürlich auch inzwischen viele Verlage, die hoch subventionierte Editionen veranstalten, schließlich müssen Löhne, Gehälter, Lektorate, der Druck, und so weiter, bezahlt werden, aber bei allen Verlagen, die sich um Literatur bemühen, sieht es doch so aus, dass ein kleiner Bruchteil der Bücher kostendeckend gemacht werden kann und der Rest eigentlich unterkalkuliert ist.
Karkowsky: Haben Sie denn noch einen Traum, was Sie bei dtv in der Ära des E-Books gerne veröffentlichen möchten? Also, ein Blick in die Zukunft?
Balk: Blick in die Zukunft: Ich hoffe, dass das gedruckte Buch weiterhin Bestand hat, und ich denke, dass da so viele Vorteile drin liegen, dass das durch das E-Book nicht zu sehr zurückgedrängt wird. Aber die Zahlen aus Amerika, die klingen natürlich bedrohlich.
Mein Traum besteht natürlich nach wie vor darin, Autoren zu entdecken und zu fördern, auch junge Dichterinnen und Dichter – wir haben das jetzt mit der Judith Zander zum Beispiel ganz gut geschafft – und auch Editionen von teilweise nicht mehr so bekannten Autoren und Autorinnen zu machen, wie jetzt Mascha Kaleko; da kommt bei uns zum ersten Mal eine Gesamtausgabe auch mit ihren Briefen heraus. Es macht nach wie vor viel Spaß, Neues zu entdecken – auch verlegerisch!
Karkowsky: 50 Jahre dtv. Am Sonntag startet die Jubiläumswoche im Literaturhaus München. Sie hörten dazu den Verlagsgeschäftsführer des Deutschen Taschenbuch Verlages, Wolfgang Balk. Danke für das Gespräch!
Balk: Ja, ich danke Ihnen sehr für Ihr Interesse.
Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.