Als Audry Hepburn die "Edelnutte" spielte

20.10.2011
Schlüpfrig, freizügig - und in der Hauptrolle Audry Hepburn als Callgirl: Als "Frühstück bei Tiffany" 1961 in die Kinos kam, revolutionierte dies das Frauenbild in den USA. Der amerikanische Filmhistoriker Sam Wasson erzählt davon in einem ebenso kundigen wie unterhaltsamen Buch.
Eigentlich passten sie überhaupt nicht zusammen: Das Callgirl Holly Golightly aus dem Roman von Truman Capote und die mädchenhafte Audrey Hepburn, die ihren ersten Oscar für die Darstellung einer pflichtbewussten Prinzessin bekommen hatte - in William Wylers "Ein Herz und eine Krone". Als Truman Capote 1958 "Frühstück bei Tiffany" beendete, rechnete er mit einem Abdruck in der Zeitschrift "Harper's Bazaar", aber die lehnte ab. Zu schlüpfrig, zu freizügig, zu viele unaussprechliche Ausdrücke kamen in dieser Geschichte über eine junge unabhängige Frau vor, die ihren Lebensunterhalt mit Prostitution verdient. Der namenlose Erzähler ist ganz offensichtlich homosexuell.

Das war eine doppelte Grenzüberschreitung in den 1950er-Jahren, in denen strenge Frauenbilder herrschten: "An einem Ende stand Doris Day, am anderen Marilyn Monroe." Sex gab es im Kino nur angedeutet und nur für verheiratete Paare. Billy Wilder hatte sich mit Drehbuchautor Axelrod aus der Affäre gezogen, indem er etwa den Ehebruch in "Das verflixte siebte Jahr" als reine Wunschträume des Helden inszenierte. Mehr war nicht möglich gewesen, es herrschten strenge Zensurgesetze in Hollywood. Das und wie diese sich Ende der 60er änderten, als das Kino die Konkurrenz des Fernsehens zu spüren bekam, davon erzählt der amerikanische Filmhistoriker in seinem ebenso kundigen wie unterhaltsamen Buch über die rehäugige Audrey Hepburn und die Produktion dieses Films über eine "Edelnutte".

Capote hatte sich die Monroe in der Titelrolle gewünscht, die Produzenten besetzten nicht nur einen anderen - flachbrüstigen - Star, sie hielten sich auch sonst nur sehr ungefähr an die Vorlage: aus dem schwulen Erzähler wurde ein viriler Autor, der sich auch für Sex bezahlen lässt, und es musste ein Happy End geben. All das blieb der Geschichte auf wundersame Weise trotzdem treu. Der junge Regisseur Blake Edwards (keineswegs die erste Wahl in der Rolle), der Komponist Henri Mancini (der für diese Filmmusik den Oscar bekam, dabei hatte man auch ihn nicht gewollt), die beiden Produzenten und vor allem die Hauptdarstellerin revolutionierten – das ist die begründete These des Autors – mit diesem Film das Frauenbild im Kino.

Und im Leben. Denn eine selbständige junge Frau, die offenbar nicht heiraten will, die sich die Männer nimmt, wann und wie sie will, die darüber hinaus auch noch gut angezogen ist, obwohl sie keine Prinzessin und nicht reich ist, das machte den Frauen Mut zum Rollenwechsel. "Frühstück bei Tiffany" wurde zum Aufbruchsfilm, kurz danach kam die Frauenbewegung.

Sam Wesson erzählt von Hepburns Ehe mit Mel Ferrer und Capotes vielfältigen Beziehungen zu den reichen Damen der New Yorker Gesellschaft, von Drehbuchautor George Axelrod und der erfolgreichen Kostümbildnerin Edith Head. Er verknüpft deren Leben mit dem Film, schweift wunderbar ab und kommt kenntnisreich zurück zu den Details der Dreharbeiten von "Frühstück bei Tiffany".
Ein paar Fotos mehr würde man sich wünschen in diesem schön gemachten Band, der Film- und Gesellschaftsgeschichte klug miteinander verknüpft - und Lust macht auf das erneute Sehen des Films.

Besprochen von Manuela Reichart

Sam Wasson: Verlieben Sie sich nie in ein wildes Geschöpf, Audrey Hepburn und "Frühstück bei Tiffany"
Deutsch von Dörthe Kaiser
Lagerfeld Steidl Druckerei Verlag, Göttingen 2011
253 Seiten, 22 Euro