Alltagsreliquien

Der Glaube der Ungläubigen

Julia Schleipfer im Gespräch mit Katrin Heise · 09.12.2013
Die Kunstwissenschaftlerin Julia Schleipfer will die Realität "gegen den Strich" bürsten: Deshalb habe sie Atheisten nach ihrem Glauben gefragt. Schutzbringende Plastikfische oder Familienfotos mit kultartiger Bedeutung gehören zu den Ergebnissen ihrer Recherche.
Katrin Heise: Wenn es auch kein Blutstropfen eines Papstes oder kein Haar eines Bischofs beispielsweise ist – so mancher von uns behauptet zwar von sich, an nichts zu glauben, kann sich aber von einer bestimmten Münze oder einer gepressten Blüte nicht trennen, von ihr geht doch irgendein Schutz aus. Das nennen wir mal Alltagsreliquien, denn tatsächliche Reliquien müssen von religiösen Personen stammen. Solche Alltagsreliquien sind derzeit in Berlin zu sehen, als Teil einer Ausstellung in den Berliner Sophiensaelen "Wer(s) glaubt, wird selig". Da wird dem Glauben der Nichtgläubigen nachgegangen. Konzipiert vom Labor für kontrafaktisches Denken. Und das sind die Kulturwissenschaftlerin Peggy Mädler und Julia Schleipfer.
Vor der Sendung konnte ich Julia Schleipfer fragen, wie sie eigentlich auf die Idee gekommen sind, Atheisten nach ihrem Glauben zu fragen.
Julia Schleipfer: Wir heißen ja Labor für kontrafaktisches Denken, und da ist der Name auch Programm. Das heißt, wir nehmen uns für unsere Projekte normalerweise immer irgendeinen Fakt der Realität und versuchen den einfach mal gegen den Strich zu bürsten. Und in dem Fall ist es ja so, dass meistens religiöse Gruppierungen danach gefragt werden, woran sie glauben. Also man fragt Katholiken, woran glaubt ihr eigentlich, oder Muslime, woran glauben Muslime eigentlich.
Es fragt aber nie jemand die Atheisten, woran sie glauben. Vielleicht ist es auch selbstverständlich. Uns war es das nicht, und wir haben gedacht, wir gucken uns diese heterogene Gruppe einfach mal an und fragen mal, glauben die eigentlich an irgendwas, oder glauben die an nichts. Und das war so der Gedanke, mit dem wir in das Projekt und in die Konzeption gestartet sind.
Heise: Und dann eben nach Reliquien gefragt haben, nach Reliquien, die jemand bei sich trägt oder hat. Welche Reliquien sind dann eigentlich angekommen?
Schleipfer: Da gibt es die unterschiedlichsten Gegenstände, die abgegeben worden sind oder die uns geschickt worden sind. Da gibt es zum Beispiel das Medaillon mit Fotografien der Mutter und der Großmutter. Was sowohl als Schutzbringer fungiert, also in dem Fall für Schutz in schweren Zeiten. Aber auch als Personenkult, das heißt, Respekt, Liebe und Lebensfreude der verehrten Person. Aber auch ein Glaubenssymbol ist, also der Glaube an Zugehörigkeit zu einer Familie, in eine familiäre Geschichte.
Dann gibt es aber zum Beispiel auch einen Plastikfisch. Das ist ein Schutzbringer vor schlechten Einflüssen, Krankheiten, bösen Menschen und auf Reisen beispielsweise. Dann hat uns eine Kollegin einen kleinen Schlüssel eingeschickt, die immer ihre Sachen verloren hat, insbesondere ihren Schlüssel. Und seitdem sie einen kleinen, zierlichen Schlüssel an ihrem Schlüsselbund hat, nie wieder ihren Schlüsselbund verloren hat.
Heise: Warum sind das Reliquien, oder ist es nicht eher vielleicht ein Talisman oder eben ein Glücksbringer?
Schleipfer: Das haben wir den Leuten selbst überlassen. Also ihre Gegenstände, die für sie eine über den Gegenstand hinausgehende Bedeutung haben, für uns einzuordnen und zu sagen: Das ist für mich ein Schutzbringer. Das ist ein Glücksbringer, oder es ist für mich eine Reliquie im Sinne eines Personenkults wie eben zum Beispiel in dem Fall die Fotografien der Großmutter. Oder auch – wir haben auch einen Haarring geschickt bekommen, das ist eine ganz alte Reliquie, in dem in einem Silberring die Haare einer verstorbenen Person eingeflochten sind. Also das ist nun ein Beispiel für so eine ganz klassische Reliquie, wo wirklich ein Körperteil der verehrten Person in den Gegenstand mit eingebracht worden ist.
Heise: Die Ausstellung heißt jetzt "Wer(s) glaubt, wird selig". Gab es da zum Teil die Reaktion, dass man das tatsächlich als einen Widerspruch bei sich selber ansieht, eigentlich glaubenslos zu sein und trotzdem eine Reliquie zu verehren oder bei sich zu tragen, zu brauchen, zu gebrauchen?
"Große Lust an den Widersprüchen"
Schleipfer: Ich glaube – lassen Sie mich mal nachdenken – ich glaube, da wir beide, also Peggy Mädler und ich so eine große Freude haben an diesen Widersprüchen und sie natürlich auch provozieren möchten – wir haben auch eine große Lust an den Widersprüchen in uns selbst. Und dadurch ist es so, dass die meisten, die wir tatsächlich befragt haben, darauf ähnlich reagiert haben. Also mit einer großen Lust auf die Suche gegangen sind auch nach den eigenen Widersprüchen, also wirklich zu sagen, na, eigentlich bin ich ja total atheistisch, aber wenn ihr mich jetzt so genau fragt – stimmt! Ich hab da noch diese Münze, die trage ich immer in meinem Geldbeutel und geb sie nie aus, auch wenn ich nun gar nicht sagen kann, warum das so ist.
Heise: Was diese Widersprüche oder vielleicht auch Paradoxien angeht, da haben wir jetzt mal einen kurzen Höreindruck aus der Ausstellung:
"Ich bin Atheistin und glaube nicht an Gott, aber ich glaube, dass die Toten im Himmel sind."
"Ich bin ein Atheist, aber glaube, mit dem ganzen Universum verbunden zu sein."
"Ich bin Atheist und glaube, dass mit dem Tod alles zu Ende ist, möchte aber lieber verbrannt werden, weil ich mich vor der Verwesung fürchte."
"Ich bin Atheist, bin aber Atheisten gegenüber skeptischer als Gläubigen."
"Ich bin Atheist, mag es aber, wenn ein anderer mich in sein Gebet einschließt."
"Wir lassen unsere Kinder nicht taufen."
"Wir lassen unsere Kinder taufen, nehmen es aber nicht ernst."
"Wir singen unseren Kindern trotzdem christliche Lieder vor."
Heise: Ein Höreindruck war das aus der Ausstellung "Wer(s) glaubt, wird selig" in den Sophiensaelen in Berlin Mitte. Mit konzipiert wurde die Ausstellung von Julia Schleipfer, und die ist mein Gast hier im Radiofeuilleton. Frau Schleipfer, brauchen Atheisten eigentlich eine Stimme, die das wiedergibt, was Sie so in der Ausstellung ja auch bewegt hat, sich mit Widersprüchen auseinanderzusetzen? Brauchen Atheisten eine Stimme?
Schleipfer: Ich überlege gerade – ich glaube, wir haben grundsätzlich ein relativ kleines Sendungsbewusstsein mit so einem Projekt. Also, das ist jetzt nicht – es ist jetzt nicht dem Bedürfnis geschuldet, dass wir jetzt den Atheisten irgendwie eine größere Plattform verschaffen wollen. Ich glaube, es ist tatsächlich eher, wie kann man es vielleicht nennen, so eine Art ethnologisches Interesse. Also so eine Gruppe, die gemeinhin als Gruppe so wenig wahrgenommen wird, weil sie eben genau keine gemeinsamen Rituale hat, keine gemeinsamen Strukturen hat, also sich die mal anzugucken, diese disparaten Leute, die von sich sagen: Wir gehören nirgendwo anders dazu.
Heise: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann ist Glauben eben nicht nur eine Sache für Christen, Muslime, Juden, sondern eben auch in anderer Weise für Atheisten oder auch Agnostiker, auch sie haben durchaus Glaubenssätze, wenn man das so als Resümee zieht – was sagt uns das eigentlich?
Atheisten sind "eine sehr, sehr heterogene Gruppe"
Schleipfer: Ich glaube, ich finde so ein bisschen diese Glaubenssätze schwierig, weil das so impliziert, dass es zehn Glaubenssätze gibt, worauf sich alle Atheisten einigen können. Die Atheisten ist ja so eine Gruppe, die erst mal wirklich eine sehr, sehr heterogene Gruppe sind. Da gibt es eben diejenigen, die sagen, ich bin durch und durch durchsäkularisiert, bei mit gibt es gar nichts. Und dann gibt es aber auch die, die sagen, oh, ich bin der Atheist mit buddhistischem Einschlag. Oder ich bin Atheist, aber glaube trotzdem an Engel. Es gibt da ganz, ganz viele Färbungen und ganz, ganz viele verschiedene Haltungen. Es zerfällt in eine ganz disparate, fein ziselierte, sehr verschiedenfarbige Glaubenswelt.
Und da gibt es eben von demjenigen, der sagt, ich glaube an Energien, an Engel, ich glaube an Telepathie – da gibt es dieses Kategorie, und da gibt es in der gleichen Gesprächsrunde einen Atheisten, der das vollständig ablehnen würde, der sagten würde, also, du bist Atheist? Das geht ja auf gar keinen Fall. Also von dem her ist dieses – die Glaubenssätze der Atheisten kann man in unserem Projekt auf jeden Fall nicht kennenlernen.
Heise: Ist es eigentlich schwieriger, Atheist, Atheistin zu sein als zu glauben?
Schleipfer: Ich glaube, nicht. Ich glaube, dass beides gleichermaßen schwierig oder leicht sein kann. Ich glaube, dass im Grunde genommen sich beide mit den gleichen Problemen herumschlagen. Also das war auch so ein bisschen der Ausgangspunkt für das Projekt. Diese Auseinandersetzung mit Verletzlichkeit von Leben. Also, es sind ja so Grundsatzfragen, bei denen Religion und Religiosität ganz viel hilft. Also, sei es nun bei der Auseinandersetzung mit dem Sterben oder bei Sinnfragen oder all diesen sinngebenden Kategorien. Und ich glaube, da gibt es bei religiösen Menschen genau so eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen und bei Atheisten.
Und die Bandbreite der Widersprüche wäre in der einen Gruppe genauso groß wie in der anderen. Beide versuchen auf ihre Weise, Antworten zu finden, nur, dass die Atheisten sich nun entschieden haben, diesen religiösen Kontext für sich nicht als Antwortbereich anzunehmen. Und natürlich nun zwangsläufig ihre Antworten woanders suchen müssen. Aber ob das nun anstrengender ist oder weniger anstrengend, kann ich nicht beurteilen. Ich glaube, dass religiöse Menschen durchaus auch ihre Zweifel und ihre Schwierigkeiten haben, damit diese Antworten zu finden oder sich mit den Antworten, die Religion bereithält, dann auch auseinandersetzen.
Heise: Sagt Julia Schleipfer, Kunstwissenschaftlerin vom Labor für kontrafaktisches Denken. Vielen Dank für Ihren Besuch!
Schleipfer: Vielen Dank auch!
Heise: Die Ausstellung "Wer(s) glaubt, wird selig" läuft übrigens noch bis zum 18. Dezember in den Sophiensaelen in Berlin Mitte.
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