Alltag in der Diktatur

Rezensiert von Stephanie von Oppen · 07.02.2006
Für viele war die Kirche in der DDR ein Ort für Oppositionelle. Wie es speziell den christlich orientierten Frauen in der Diktatur erging, untersucht Sonja Ackermann in ihrem Buch. Dabei kommt die Autorin zu einem differenzierten Ergebnis. Manche Frauen zeigten eine Geradlinigkeit, die im Einzelfall bis zum mutigen Widerstand reichte, andere allerdings auch Kompromissbereitschaft und Duckmäusertum.
"Mein Junge, klein, zweites Schuljahr, hatte so Schwierigkeiten mit so einer militanten atheistischen Lehrerin, die ihn nach vorn gerufen hat: 'So, Michael, jetzt male uns mal den lieben Gott and die Tafel.' Und er stand da und guckte die Lehrerin an und hat gesagt: 'Das kann ich nicht.' Und da hat die nun ganz frohlockend gesagt: 'Was, das kannste nicht und warum denn nicht?' Und da hat er gesagt: 'Ja, dazu brauche ich goldene Kreide.'"

So erinnert sich eine Mutter, die ihre Kinder entgegen des staatlich verordneten Atheismus in der DDR christlich erzogen hat. Hundert Interviews mit christlichen Frauen aus der ehemaligen DDR hatte der Bund katholischer deutscher Akademikerinnen vor einigen Jahren in Auftrag gegeben. Es sei nicht darum gegangen, Heldenlegenden zu schreiben. Vielmehr sollte das Leben von Alltagsmenschen in der Konfrontation mit der Diktatur dokumentiert werden, heißt es im Vorwort des Buches "Christliche Frauen in der DDR".

In dieser Studie hat die Historikerin Sonja Ackermann 1500 Seiten Interviews ausgewertet. Nach drei großen Themenfeldern hat sie die Aussagen sortiert. Im ersten Teil berichten die Befragten, wie sie zu ihrer christlichen Überzeugung gekommen sind, meistens prägte sie das Elternhaus, oft die Gemeinde. Der zweite Teil widmet sich der Schulzeit: Die einen haben sich damals offen zu ihrem Glauben bekannt, andere nicht, die einen wurden von ihren Lehrern unterstützt, andere schikaniert. Sehr unterschiedlich wurde mit den staatlichen Jugendorganisationen und der Jugendweihe umgegangen. Die Befragten berichten von Zugeständnissen und Kompromissen einerseits, von Mut und Unbeugsamkeit andererseits.

"Es gab Sportwettkämpfe zu Ehren des Sozialismus. Und da haben wir dann schon mal gesagt: 'Diese Freundin und ich, da machen wir nicht mit.' Und wir haben dann die Wettkämpfe praktisch boykottiert. Wir waren zwar anwesend, aber wir sind beim 2000-Meter-Lauf 'zu Ehren des Sozialismus' also nicht volle Kraft gelaufen, sondern spazieren gegangen. Und dieser Schuldirektor, der stand dann an der Bahn und hat geschrieen: "Los, weiterrennen" Und wir sind dann spazieren gegangen."

Die beiden Mädchen bekamen zur Strafe eine schlechte Note. Häufig genug kam es vor, dass Schülerinnen nach solchen Vorfällen von der Schule verwiesen wurden. Oft durften Christinnen gar nicht erst eine höhere Schule besuchen.

Um sich ihre Zukunftschancen nicht zu verbauen, haben aber auch viele ihre Gesinnung für sich behalten. Mit Bestleistungen versuchten christliche Mädchen, die Vorurteile ihrer Lehrer abzuwenden.

"Also je größer ich würde, bekam ich auch differenzierter mit, dass es für die Lehrer auch nicht einfach war. Also ich war eine nette, motivierte Schülerin, ich war angehalten ordentlich zu sprechen, ich habe nicht sächsisch geredet, ich habe wunderbar Gedichte aufgesagt. Also ich war die klassische Schülerin zum Gernhaben. Und das nicht zu dürfen, war für die Lehrer auch schwierig."

Im dritten Teil des Buches geht es um die Erfahrungen im Erwachsenenalter. Staatliche Stellen blockierten Ausbildungs- und Studienwünsche. Die Stasi versuchte junge Schulabgängerinnen zu ködern. Am Arbeitsplatz gab es Anfeindungen von Kollegen.

Wer wählen durfte und sich nicht an der Wahl beteiligen wollte, wurde selbst von kirchlichen Arbeitgebern unter Druck gesetzt. Kirchliche Institutionen fürchteten, ihnen würden staatliche Gelder gestrichen, wenn ihre Mitarbeiter sich nicht angepasst verhielten. Frauen, deren Männer den Dienst an der Waffe verweigerten wurden drangsaliert. Das konnte soweit gehen, dass die Beziehung schließlich zerbrach. Und schließlich beschreiben Mütter ihre Gewissenskonflikte gegenüber ihren Kindern, denen sie zum Beispiel verboten hatten den Jungpionieren beizutreten.

"Und mein Sohn, dem ist das schon selbst mit sechs Jahren damals so nahe gegangen, dass er dann einmal zu mir sagte am Abendbrottisch: 'Ach, Mutti, das mit der Schule und den Pionieren ist schon richtig in meinen Kopf gehämmert. Ich kann schon gar nichts mehr anderes denken als diese Probleme'. Und das hat mich denn doch ziemlich belastet und beschäftigt, aber ich habe dann gedacht, nee, wir müssen da durch."

Die Studie von Sonja Ackermann zeichnet ein sehr differenziertes Bild vom christlichen Alltag in der DDR. Die Frauen kommen weder als Gutmenschen noch als Hüter der Moral daher. Das Buch dokumentiert zugleich eindrucksvolle Beispiele von mutigem Widerstand. Die Lektüre der Interview-Auswertung ist wegen ihrer hölzernen wissenschaftlichen Sprache etwas mühsam. Vor allem lohnt es sich, die Zitate aus den Interviews zu lesen. Es sind sehr schön erzählte Berichte darunter. Sie überraschen, rühren an, erschrecken und manche beschriebene Situation ist so absurd, dass sie komisch wirkt.

Sonja Ackermann: Christliche Frauen in der DDR – Alltagsdokumente einer Diktatur in Interviews
Evangelische Verlagsanstalt
373 Seiten
18,80 Euro