Alltag als absurdes Theater

Von Carsten Probst |
Alles „typisch Japanische“ spielt in dieser modernen Fotografie aus Japan, die das Museum für Ostasiatische Kunst in Berlin in „Out of the ordinary/extraordinary“ zeigt, eher eine komödiantische Rolle. Eher zeigt sie den Alltag als absurdes Theater und macht auch vor Männerakten nicht Halt.
Vor zehn, 15 Jahren noch hatte der Mann in der japanischen Gesellschaft überall das Sagen. Aber mit dem Wirtschaftsboom der achtziger und neunziger Jahre konnten sich auch ganz normale Familien plötzlich ein eigenes Auto leisten, und damit begann die Emanzipation der Frau in Japan, berichtet Alexander Hoffmann mit ironischem Augenzwinkern. Der gelernte Japanologe ist Ausstellungsleiter am Museum für Ostasiatische Kunst in Berlin-Dahlem.
Denn künftig konnte, so fährt Hoffmann fort, auch die japanische Frau beim Wochenendausflug mitbestimmen und von dort ausgehend sukzessiv ihre kleinen Freiheiten von der angestammten Rolle immer weiter ausbauen.

Die heutige japanische Fotografie verfolgt diesen Wandel der Geschlechter- und sonstiger sozialer Rollen mit allergrößter Neugier und geradezu wollüstiger Zuspitzung, denn, so Alexander Hoffmann, die meisten aus dieser jungen Fotografengeneration haben längst den Blick von außen, und das heißt: von Westen her, auf die japanische Gesellschaft eingeübt.
Alexander Hoffmann: " Etliche von den Fotografen, die hier gezeigt werden, leben zum Teil oder ganz im Westen, in Paris, in London, in New York (...) oder haben dort wenigstens eine Ausbildung erhalten. (...) Die meisten japanischen Künstler wollen ja auch gar nicht mehr als Japaner, sondern als Künstler wahrgenommen werden und sich selbst auch präsentieren. (...) Aber bei Arbeiten von Chin Yo Mi, die nun ganz explizit auf ihr Leben, ihr Alltagsleben als Koreanerin in Japan rekurriert, da haben wir eine ganz starke japanische Komponente beispielsweise, oder hier bei Sawada Tomoko, die sich inszeniert hier zum einen als fashion girl aus Shibuya mit braun geschminktem Gesicht, irrer Kleidung und so weiter, oder eben auf der anderen Seite Fotografien anfertigen lässt. Sie geht dann einfach in professionelle Fotostudios und (...) zieht sich sehr konventionell an, Kimono oder Kostümchen oder so was, und lässt dann Fotos machen im Stil der Fotos, die man sonst benutzt bei Heiratsanbahnungstreffen oder diesen vermittelten Heiraten. "
Alles angeblich „typisch Japanische“ spielt in dieser Fotografie aus Japan eher eine komödiantische Rolle, Alltag als absurdes Theater, Tradition nur noch als Staffage, die die Fotografie in ihrer Fassadenhaftigkeit enttarnt. Es ist dieser Anspruch sozialer Aufklärung, der den westlichen Einfluss auf die neue Fotografieszene Japans am klarsten zeigt. Bilder wie die inzwischen berühmten Aktporträts schwangerer Männer, die Okada Hiroko seit einigen Jahren ausstellt, treffen immer noch den Nerv einer von ihrer eigenen radikalen Öffnung nach Westen erschütterten Gesellschaft, deren Schizophrenie mittlerweile selbst zu einem kulturellen Phänomen geworden ist.

Kurator Alexander Hoffmann hat sich für diese komplexe Präsentation die Unterstützung von einer der japanischen Wortführerinnen dieser aggressiv und provokant auftretenden Fotografieszene gesichert, der Tokyoter Kuratorin Kasahara Michiko, die derzeit auch den japanischen Pavillon auf der Biennale in Venedig einrichtet.
Alexander Hoffmann: " Es ist eine sehr kämpferische Ausstellung, ich bin mir nicht sicher, ob man sie ohne Probleme so in Japan zeigen könnte. Die Kuratorin Kasahara Michiko ist bekannt als eine sehr kämpferische Kuratorin, die sich beispielsweise für die Durchsetzung des Männerakts in der Fotografie im Museum stark gemacht hat, das war ein Tabu, bis vor ein paar Jahren konnte das nicht ausgestellt werden. Ich glaube die erste Ausstellung, wo Männerakte von Takano Ryudai, den wir hier auch zeigen, gezeigt wurden, war 2002 oder 2003. "
In Berlin freilich hat man sich noch eine zusätzliche Steigerung des provokanten Einschlags ausgedacht, die auch im Museum für Ostasiatische Kunst selbst mit seiner Vielzahl kostbarer und ehrenwerter Traditionsschätze erst mit Zögern und leichten Widerständen umgesetzt wurde. Einen Großteil der Bilder hat man nämlich in die klassischen Ausstellungsräume selbst gehängt und konfrontiert nun das edle Kulturgut aus acht Jahrhunderten mit diesen seismographischen Momentaufnahmen der Jetztzeit.

Takano Ryudais Männerakte zum Beispiel hängen nun Holzschnitten aus dem 19. Jahrhundert gegenüber, aus einer Zeit, in der Nacktheit auch in den großen japanischen Städten wie Edo und Kyoto noch als natürlich galt und durchaus oft auch öffentlich abgebildet wurde, weil sie nie erotisch besetzt war. Die heutige Darstellung und Inszenierung des Körpers, von Nacktheit und Erotik, die überall in diesen Fotografien zitiert wird, ist ebenso erst ein Produkt des westlichen Einflusses, und er wirkt, so Alexander Hoffmann, direkt auf die Kunst zurück, denn:

" ... der Begriff Kunst war in Japan nicht vorhanden, es war kein System im westlichen Sinne, Kunstsystem vorhanden, all diese Dinge sind aus dem Westen übernommen worden und damit beispielsweise auch die Genregrenzen, wie wir sie hier im Westen kennen, Skulptur, Malerei, Architektur in einer bestimmten Hierarchie, Kunstgewerbe und Schriftkunst sind zurückgedrängt worden in dieser Zeit, als ein ungeheurer Schnitt mit der traditionellen Kunstentwicklung in Japan. "
So gelingt dieser Ausstellung bei aller Subjektivität der gezeigten künstlerischen Positionen doch so etwas wie ein komplexes gesellschaftliches Panorama des heutigen Nippon anzudeuten. Zugleich aber, und das ist das Besondere, wird ein Spiegelbild zurückgeworfen: zurück nach Westen und seinen Konventionen und Werten, die in dieser japanischen Übersetzung gerade so überspitzt und verzerrt wiederkehren, dass man das Eigene wiedererkennen kann.

Service:

Die Ausstellung „Out of the ordinary/extraordinary: Zeitgenössische japanische Fotografie“ ist im Museum für ostasiatische Kunst in Berlin vom 3. Juni bis 14. August 2005 zu sehen.

Link:

Museum für ostasiatische Kunst: „Out of the ordinary/extraordinary“