Alltägliche Illegalität

Von Ulrike Gondorf |
Es beginnt spannend. Zwei graue Treppenpodeste stehen sich in der Schlosserei, der Werkstattbühne des Schauspielhauses, gegenüber: Auf der einen sitzt das Publikum, auf der anderen sind zwei Frauen und drei Männer, die sich äußerlich nicht unterscheiden von ganz normalen Theaterbesuchern.
Dann geht das Licht aus, und im Dunkeln wehen Wortfetzen, Bruchstücke von Erzählungen herüber zu den Zuschauern. Im Moment, wo das Licht wieder angeht, brechen sie abrupt ab. Den fünf Gestalten ist nichts anzumerken – sie sitzen da wie vorher, unauffällig, fast teilnahmslos.

Die Regisseurin Nora Bussenius hat ein klares Bild gefunden für die Situation dieser Figuren. Sie sind "Schattenstimmen", eigentlich sind sie gar nicht da, jedenfalls verwenden sie viel Mühe und Aufwand darauf, unsichtbar zu bleiben. Denn sie sind illegal in Deutschland. Der erfolgreiche Romancier Feridoun Zaimoglu, als Kind aus der Türkei nach Deutschland gekommen und mit einem scharfen und kritischen Blick für Fragen der Integration begabt, hat mit seinem Schriftsteller-Kollegen Günter Senkel Migranten ohne Aufenthaltserlaubnis über ihre Alltagserfahrungen befragt und aus ihren Berichten ein Stück zusammengestellt. Prostitution, Drogenhandel und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse sind das Milieu, in dem diese Erfahrungen spielen – aus Afrika oder aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks sind die Migranten aufgebrochen. Nicht einmal Schätzungen gibt es darüber, wie viele von ihnen hier unter uns leben.

Ein Thema also, das einen Theaterabend lohnt. Die Texte – weit weg von larmoyantem Betroffenheitsgehabe, scharf beobachtend, humorvoll, sehr konkret und manchmal sogar poetisch in ihren starken Bildern - könnten als Spiegel funktionieren, in dem die deutsche Gesellschaft nicht nur einen Blick auf "die im Dunklen" erhascht, sondern auch sich selbst beobachten kann. Die eisige Anonymität und Einsamkeit der Reihenhaussiedlung, in der eine Russin hilfsbedürftige alte Menschen pflegt – die hohlen Phrasen von Solidarität, mit denen engagierte Gutmenschen einem afrikanischen Drogendealer erzählen wollen, wie wunderbar Afrika ist und wie großartig seine Menschen, als Jazzmusiker oder als Spitzensportler - das sind scharfe Streiflichter auf deutsche "Normalität".

Leider misstraut die junge Regisseurin Nora Bussenius diesen Qualitäten. Sie lässt sich nicht ein auf die episch-dokumentarische Struktur des Textes, sondern schüttet ihn zu mit ziemlich krampfhaften theatralischen Kunstanstrengungen. Der ganze Abend ist unterlegt mit einer penetranten Klangcollage, die Erzählungen sind mal wie eine experimentelle Sprechoper chorisch auf die 5 Darsteller verteilt, mal als überdrehtes absurdes Theater inszeniert, mal am Rand des Kabaretts oder der Klamotte angesiedelt, etwa wenn ein Mann in einem grotesk schrillen Kostüm die Geschichte eines Aupair-Mädchens übernimmt. Es gibt viel Aktionismus, schwarze und weiße Farbe, Lehm, Kalk und Matsch werden im Übermaß über Gesichter und Körper, Boden und Möbel verteilt. Die Darsteller sind gut und mit vollem Einsatz bei der Sache – nur treibt das Konzept sie in eine Richtung, die das Verständnis erschwert und das Interesse zeitweilig erlahmen lässt.

Schattenstimmen
Von Feridoun Zaimoglu und Günter Senkel
Inszenierung: Nora Bussenius
Schauspiel Köln