Allmendinger: Neuer Typ Frau "in außerordentlich prägendem Ausmaß"

Moderation: Jürgen König |
Eine repräsentative Sozialstudie des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) belegt das neue Selbstbewusstsein junger Frauen, das sich vor allem auf soziale und emotionale Kompetenz gründet. Von Staat und Wirtschaft forderte WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger, die Vereinbarkeit von Familie und Karriere durch bessere Möglichkeiten zur Kinderbetreuung zu unterstützen.
Jürgen König: Im Studio Prof. Jutta Allmendinger. Sie leitet das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, das WZB, und sie hat gemeinsam mit dem Sozialforschungsinstitut infas für die Zeitschrift "Brigitte" eine Studie erarbeitet, die belegt, dass die Frauen auf dem Sprung sind, dass sie selbstbewusst beides wollen, Karriere und Kinder. Frau Allmendinger, schön, dass Sie da sind!

Jutta Allmendinger: Danke für die Einladung!

König: Sie haben für diese Studie "Frauen auf dem Sprung" tausend Frauen zwischen 17 und 19 und zwischen 27 und 29 Jahren befragt. Frauen, die dabei sind oder sein sollten, eine Ausbildung zu beginnen, und Frauen, die sich entscheiden müssen, ob sie nun eine Familie gründen wollen oder nicht. Das Ergebnis, wie Sie es in einem von schon mehreren Interviews formuliert haben: "Die Zeit des Entweder-oder ist vorbei. Die jungen Frauen von heute sind unabhängig, zielstrebig und selbstbewusst. Sie wollen Geld verdienen und Kinder bekommen." Ist diese Aussage repräsentativ?

Allmendinger: Sie ist repräsentativ, soweit die empirische Sozialforschung geht. Wir haben an 290 Orten Interviews geführt. Wir haben zuvor sehr, sehr viele persönliche Interviews mit Frauen geführt. Von daher können wir sagen, es ist repräsentativ, Ost- und Westdeutschland. Es ist repräsentativ für unterschiedliche Schulabschlüsse. Es ist repräsentativ für die Altersbereiche, die Sie gerade angesprochen haben.

König: Ich habe in der "TAZ" gelesen ein Zitat aus der Studie, wonach 99 von 100 jungen Frauen sagen: Ich weiß, dass ich gut bin! Mich hat das erstaunt, diese Zahl, dieses Selbstbewusstsein, ich fahre auch S-Bahn, ich fahre auch U-Bahn. Irgendwas sagte in mir, nein, das kann nicht stimmen.

Allmendinger: Wir waren von diesem Ergebnis auch überrascht. Auf der anderen Seite haben wir ganz ähnliche Fragen mannigfach in diesem Fragebogen gestellt. Und die Übereinstimmung, wenn man sich dieser Thematik ganz unterschiedlich nähert, ist ausgesprochen hoch, sodass wir diese Zahl glaubten. Es hat mit Dingen zu tun, die ich nachher noch gerne erkläre, dass es eben für Frauen nicht mehr der Schulabschluss ist, der zu diesem Selbstbewusstsein führt, sondern ganz andere Faktoren, soziale Kompetenzen, emotionale Kompetenzen.

König: Woher kommt dieses neue Selbstbewusstsein?

Allmendinger: Dieses neue Selbstbewusstsein kommt über Generationen hinweg. Diese Frauen haben gesehen an ihren Müttern teilweise, auch an ihren Großmüttern, was es bedeutet, entweder nur auf die Erwerbstätigkeit zu setzen oder nur auf Kinder und Familie zu setzen. Beides ist mit Dramen teilweise verbunden, mit Abhängigkeiten von geschiedenen Ehepartnern, mit Abhängigkeiten vom Staat, mit einer so überhaupt nicht gewollten Kinderlosigkeit zum Beispiel, das ist ein ganz wichtiger Faktor. Der zweite wichtige Faktor ist, dass sie schon während ihrer Schulzeit in dem direkten Vergleich mit den Jungs gesehen haben, dass sie besser sind in der Schule. Das ist ganz bedeutend, dass sie kommunikativer sind, dass sie die besseren Noten haben, dass sie auch eher ins Gymnasium kommen. Das ist ein zweites, ganz prägendes Merkmal dieser Generation. Und das dritte prägende Merkmal ist jenes, dass diese Frauen schon auch den Ruf aus der Wirtschaft hören: Leute, wir haben einfach Arbeitermangel. Leute, wir brauchen gut Ausgebildete. Und welche Potenziale haben wir überhaupt noch? Es sind die Frauen.

König: Das heißt, dadurch entsteht ein neuer Typ Frau, auch quer über alle Bildungsgrenzen und Schichtgrenzen in diesem alten Denken gesehen hinweg?

Allmendinger: Und zwar in einem außerordentlich prägenden Ausmaß. Bei diesen persönlichen Interviews, die ich mit diesen Frauen geführt habe, wenn sie mir nicht gesagt hätten, das ist eine Gymnasiastin oder das ist eine Hauptschülerin, ich hätte oft falsch getippt.

König: Wenn man sagt, Unabhängigkeit wird von diesen Frauen ganz groß geschrieben, welchen Stellenwert hat im Gegenzug Familie?

Allmendinger: Familie hat einen außerordentlich hohen Stellenwert. Diese Frauen wollen Partnerschaften. Sie wählen sich ihre Partner, glaube ich, genauer aus als früher, zumindest unsere Zeitreihen weisen darauf hin, dass sie eine ganz andere Form von Partnerschaft sich erwünschen, als beispielsweise das auch in meiner Generation der Fall war. Und sie wollen auch Kinder. Das ist alles etwas, wo sie auch sagen, dafür machen wir Abstriche in Bezug auf die Erwerbstätigkeit. Das heißt, diese Frauen arbeiten keine 14 Stunden, keine 16 Stunden am Tag. Sie sagen dezidiert, wir wollen nicht so sein, wie die Männer von heute oder die Männer von gestern waren.

König: Was bedeutet das für die Männer, dieser neue Typ Frau?

Allmendinger: Für die Männer bedeutet das, dass sie zunächst mal diese neue Frau kennenlernen müssen. Und ich sage das, weil wir zusätzlich zu dieser "Brigitte-Erhebung" am WZB eine zweite Erhebung gemacht haben, vollständig parallel zu dieser Frauen-Erhebung, in denen wir Männer befragt haben der gleichen Altersgruppen, und wir festgestellt haben, die Antworten von Männern, was sie sich erhoffen von einer guten Arbeit, was sie sich erhoffen von einer guten Partnerschaft, was sie sich erhoffen von Frauen, ist vollständig identisch zu dem, was Frauen sich erhoffen von guten Männern, von guter Partnerschaft ...

König: Das klingt gut.

Allmendinger: ... von guter Arbeit. Perfekt. Nur, wenn Sie jetzt Frauen fragen, was wollen Männer ...

König: Dann kommt die Differenz.

Allmendinger: ... bzw. wenn Sie Männer fragen, was wollen Frauen, dann bekommen Sie diese Klischees en masse, und zwar von beiden Seiten. Dann sind diese Männer, die sind sexgierig usw. usf.

König: Das ist ja furchtbar.

Allmendinger: Und die Frauen wollen heiraten, die Frauen wollen an den Geldbeutel, die Frauen wollen behütet sein usw. usf. Das Zweite, was interessant ist, ist, dass Männer im Kopf weiter sind, als die Gesellschaft in ihren Männerbildern ist. Wir haben teilweise unkonventionelle Methoden in diesen Fragebögen eingesetzt.

König: Zum Beispiel?

Allmendinger: Wir haben beispielsweise Bilder vorgelegt, Sie können sich das vorstellen wie so kleine Memory-Kärtchen, und dann haben wir gefragt, was für einen Typ Frau wollen Sie sein, was für ein Typ Mann wollen Sie sein. Und dann konnten die wählen. Und die zweite Frage war dann, welcher Typ Frau soll eigentlich die Gesellschaft prägen in der Zukunft, und welche Art von Frau oder Mann wird die Gesellschaft prägen. Und das Ergebnis war insbesondere bei Männern hoch interessant, weil die Männer, zu der Hälfte wählten sie so eine Vaterfigur. Es war ein Mann, der ein Kind auf dem Arm hatte. Und zur anderen Hälfte wählten sie so einen richtigen Business-gedressten Mann. So, damit konnten sie sich identifizieren. Das Ergebnis ist schon mal interessant. Die Hälfte der Männer konnte sich mit diesem Vatertyp identifizieren. Bei der Frage dann, welcher Typ wird die Gesellschaft sozusagen prägen, geht das vollständig zu diesem Karrieremann über, 90 Prozent sagen der Karrieremann, ziehen dieses Memory-Kärtchen. Und jetzt, wenn Sie fragen, und welcher Typ sollte eigentlich, wenn es nach Ihnen persönlich geht, die Gesellschaft prägen. Da haben Sie wieder 57 Prozent dieser Männer, die sagten, es sollte der Mann sein, der auch so etwas wie Vereinbarkeit symbolisiert. Das heißt in unserer Interpretation, diese Männer haben schon in ihrem Kopf dieses Sich-verantwortlich-Zeigen, auch für die Kinder, für den Haushalt, haben aber von der Gesellschaft überhaupt nicht die entsprechenden Männerbilder zur Verfügung gestellt bekommen.

König: Wir haben schon vorhin die Auswirkung dieses neuen Typs Frau auf die Wirtschaft angesprochen. Was müsste sich konkret ändern?

Allmendinger: Ach, diese Frauen sind wirklich vollständig frustriert von der Wirtschaft. Das heißt, diese Frauen sind richtig unzufrieden. Warum sind sie unzufrieden? An erster Stelle kommen nicht die Gehaltsdifferenzen zu Männern, an erster Stelle kommt die Unvereinbarkeit und das, dass ihnen die Arbeitgeber zu wenig zutrauen, ihr Arbeitsleben selbst in die Hand zu nehmen, das heißt selbstständig Entscheidungen zu treffen, selbstständig sich zu organisieren, sich zu motivieren, all das, was diese Frauen dieser Generation mitbringen. Das heißt, es ist ihnen zu stark kontrolliert auf der einen Seite und stellt ihnen zu wenig Flexibilität zur Vereinbarkeit oder des Lebens dieses uns zur Verfügung.

König: Das heißt aber dann, wenn es diesen neuen Typ Frau gibt, dass die Arbeitgeber sich sehr viel werden einfallen lassen müssen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden?

Allmendinger: Ich finde ja, dass die Ermöglichung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie jetzt nicht die Mega-Imagination bedeutet für Arbeitgeber, sondern es bedeutet das, was wir ja teilweise in Ostdeutschland schon hatten. Das bedeutet, dass man von Staats wegen das natürlich auch flankieren muss, nicht durch finanzielle Transfers, indem man 50 Euro mehr an Kindergeld zahlt, sondern durch eine bessere Infrastruktur zu Betreuung der Kinder, dass man sich bei Konferenzen, die am Abend sind, so etwas leistet. Und das ist wirklich nichts Großes, was man sich da zu leisten hat wie eine Kinderbetreuung. Dass man diese Frauen auch mal zu Hause arbeiten lässt und von diesem Kontrolletti-Dasein etwas absieht.

König: Sie tun jetzt so, als ob das alles mal eben gemacht wird. Aber das sind solchen mentalen Veränderungen, die da passieren müssen.

Allmendinger: Solange Sie sagen, es sind mentale Veränderungen, stimme ich zu.

König: Aber das ist das, was am längsten dauert.

Allmendinger: Ja, schon. Aber es sind keine Veränderungen, die eine Menge Geld kosten oder so etwas. Und diese mentalen Veränderungen, ich meine, von mir aus kann ich es auch so ausdrücken, dass ich sage, wenn diese mentalen Veränderungen nicht stattfinden, dann sieht die Wirtschaft ganz schön schräg aus. Ich habe jetzt auch gerade mit der entsprechenden Kommission, der Expertengruppe "Forschung und Innovation" den entsprechenden Innovationsbericht abgeschlossen, und da ist genau das das Ergebnis, dass in Deutschland die hochgebildeten Männer knapp werden. Und selbst wenn man die nächsten Generationen maximal gut ausbilden würde, hätte man absolut gesehen weniger Personen mit Hochschulabschluss, als man sie heute hat. Das heißt, der Wirtschaft bleibt überhaupt nichts anderes übrig, als auf die Frauen zuzugreifen und die Ergebnisse dieser Studie müssten von der Wirtschaft hoch willkommen sein. Es wäre ja viel schlimmer, wenn diese Frauen sagen würden, bye-bye, aber wir wollen hier nur Familie machen.

König: Als Sie vorhin kamen, haben Sie gesagt, dass Sie schon so viele Interviews zu diesem Thema gegeben hätten, das Interesse ist sehr groß. Was wurde in all den Interviews, die Sie schon gegeben haben, noch gar nicht gefragt, was Sie aber unbedingt hätten sagen wollen?

Allmendinger: Da ich ja Antworten geben darf, kann ich ja auch steuern, was ich sage, und insofern denke ich, dass ich das meiste gesagt habe.

König: Karriere und Kinder, ein Gespräch mit Professor Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Herzlichen Dank!

Allmendinger: Bitte!