Allianz der Freien Künste

Auch wer frei arbeitet, braucht später eine Rente

Auch die Vorbereitung auf Projekte kostet viel Zeit - und wird in der Regel nicht entlohnt
Auch die Vorbereitung auf Projekte kostet viel Zeit - und wird in der Regel nicht entlohnt © picture alliance / dpa / Angelika Warmuth
Stefan Behrmann und Lena Krause im Gespräch mit Gabi Wuttke · 27.06.2017
Viele Verbände, in denen freie Künstler und Kulturschaffende organisiert sind, haben sich ein gemeinsames Dach gezimmert: Die neue Allianz der Freien Künste fordert von der Politik, Erwerbsbiografien zu ermöglichen, die nicht im sozialen Abseits enden.
Gabi Wuttke: AFK, die Abkürzung für Allianz der Freien Künste. Die Mitglieder dieser Allianz bestehen derzeit aus Bundesverbänden und Interessenvertretungen von Szenografen, freien darstellenden Künstlern, Theatern im öffentlichen Raum, freien Ensembles und Orchestern der Vereinigung Alte Musik, Jazzmusikern und Puppentheatern.
Diese Allianz der freien Szene hat sich heute in der Hauptstadt vorgestellt und gleich an die Bundesregierung gewandt. Für die AFK sind Lena Krause vom Bundesverband Freier Ensembles und Stephan Behrmann, Bundesverband Freie Darstellende Künste, zu Gast im Studio. Einen schönen guten Abend!
Stefan Behrmann: Schönen guten Abend!
Lena Krause: Guten Abend!
Wuttke: Sie vertreten potenziell eine halbe Million Menschen, de facto erstmal 50.000, und fordern soziale und wirtschaftliche Rahmenbedingungen für Künstler. Wie sollte eine kontinuierliche Erwerbsbiografie für freischaffende Künstler aussehen?

Ganz unterschiedliche Schaffensphasen

Behrmann: Ich glaube, das ist immer sehr schwierig, da von Kontinuität zu reden. Ich glaube, wichtig ist, dass jeder Künstler, jede Künstlerin, ganz unterschiedliche Schaffensphasen hat. Es gibt in unserem Bereich sehr stark die Projektarbeit, die prägt das künstlerische Arbeiten, und hier entwickeln sich auch ganz verschiedene Arbeitsformen, die auch ständig wechseln.
Und das ist eines der Felder, in das wir hineinschauen mit unseren Forderungen, weil, vieles in den Sozialsystemen und in den Sicherungssystemen orientiert sich halt an der durchgängigen Beschäftigung, unbefristet, sozialversicherungspflichtig, und das trifft auf unsere Mitgliedschaft eigentlich kaum zu.
Es wird überwiegend im Bereich der Soloselbstständigkeit gearbeitet, es gibt einen häufigen Wechsel der Erwerbsformen, weil einzelne Künstlerinnen und Künstler zwischenzeitlich auch kurzfristig beschäftigt sind. Das ist sozusagen so ein Hauptfeld, in dem wir unsere Forderungen formulieren.
Wuttke: Früher war es üblich, man hat in irgendeiner Firma angefangen, da hat man gearbeitet bis zur Rente. Das gibt es heute nicht mehr. Für Sie als freischaffende Künstler sind das natürlich extreme Bedingungen von Projekt zu Projekt, aber trotzdem die Frage: Sie fordern ja von der Bundesregierung, die Rahmenbedingungen herzustellen, dass ein freischaffender Künstler eine kontinuierliche Erwerbsbiografie hat, damit er nicht in die Altersarmut gerät. Wie genau stellen Sie sich das vor? Was müsste dazu passieren?

Projekte vorbereiten - das bezahlt derzeit niemand

Krause: Man kann da vielleicht als Beispiel die Fördersysteme und die Förderstrukturen hier in Deutschland nehmen, weil diese Projektförderung, die mein Kollege schon angesprochen hat, betrifft das einzelne künstlerische Projekt, das eine Länge von zwei Monaten, vielleicht mal drei, vielleicht auch mal länger hat, in der Regel aber nicht.
Projekte schießen nicht wie Pilze aus dem Boden, die müssen vorbereitet werden. Es gibt Aquisephasen, es gibt konzeptuelle Phasen. Und all jene Phasen sind zum Beispiel nicht durch diese Projektförderung abgedeckt oder finanziert. Und dadurch entstehen Lücken, die nicht finanzierbar sind und die dann eben aus ehrenamtlicher Tätigkeit und der Lust und der Freude an der Arbeit einfach trotzdem gemacht werden, aber im Grunde nicht finanziert oder nicht honoriert sind.
Wuttke: Das heißt, das, was die Künstlersozialkasse leisten kann, ist ja letztlich ein ganz anderes Feld und hat damit ja wenig zu tun. Die rechnen ja nur das ab, was schwarz auf weiß zu lesen ist. Wie können Sie Ihre ganzen Vorbereitungszeiten in eine kontinuierliche Erwerbsbiografie einfügen, damit Sie tatsächlich auch eine Absicherung haben?
Behrmann: Das Schöne ist, dass unser Forderungspapier nicht den Anspruch erhebt, alles auszubuchstabieren, sondern wir sind zunächst erstmal angetreten, um eine Sammlung von Herausforderungen, von Schwierigkeiten aufzuzeichnen und auch darzustellen, was die freien Künste überhaupt leisten, darauf hinzuweisen, welchen Beitrag sie in unserer Kulturlandschaft einbringen.

Lösungen mit der Politik zusammen finden

Und da geht es jetzt darum, dass die Politik diesen Bereich in den Blick nimmt und dass man da in einer Art Partnerschaft eben diese Lösung auch zusammen entwickelt. Es ist momentan weder von uns zu leisten noch auch möglich, dass wir jetzt dezidiert die Detaillösung bis in den Prozentsatz der Rentenberechnung und so weiter vorlegen.
Wichtig ist, dass wir einfach auf dieses Feld aufmerksam machen, dass wir sagen, wir leisten extrem viel, wir sind sehr präsent in der Zivilgesellschaft, in dem, was an Kultur geleistet wird, und dem muss Politik Rechnung tragen.
Wuttke: Sind Sie auf die Frage eingerichtet, die Ihnen in Reaktion auf Ihre Präsentation heute die Politik möglicherweise stellt: Kann man Freiheit und Sicherheit zusammen haben wollen?
Krause: Auf jeden Fall. Meines Erachtens auf jeden Fall. Freiheit der Kunst ist eh ein ...
Wuttke: Auch Freiheit des Daseins.
Krause: Auch Freiheit des Daseins, auf jeden Fall, das ist nichts, was irgendwie der Sicherheit entgegensteht. Das ist einfach die Problematik, dass diese Sicherheit in Zeiträumen gegeben ist dadurch, dass ein Künstler in einem Projekt beschäftigt ist oder engagiert ist. Die Zeiträume dazwischen bieten keine Sicherheit, und das ist nicht nur in dem Moment, wo die Sicherheit fehlt oder da ist, problematisch, sondern eben vor allem, wenn man in die Zukunft blickt, weil dadurch Ressourcen und überhaupt die Mittel und Wege fehlen, sich eine Altersabsicherung zu erarbeiten, zu ermöglichen.
Das ist nicht möglich oder für viele nicht möglich in der derzeitigen Situation, wie die freien Künstlerinnen und Künstler arbeiten. Und deshalb: Freiheit und Sicherheit stehen auf keinen Fall in einem Gegensatz. Es ist einfach auch der Blick in die Zukunft, der wichtig ist für die Künstlerinnen und Künstler, dass die dann später nicht alle an der Armutsgrenze hängen bleiben.
Wuttke: Drei Monate vor der Bundestagswahl – warum wenden Sie sich ganz explizit an die Bundesregierung und einzelne Ministerien, nicht aber an die Länder und Kommunen?

Auch Länder und Kommunen sind angesprochen

Behrmann: Wir haben eine ganze Bandbreite von Forderungen aufgestellt, und ich sage mal, ein Schwerpunkt unserer Forderungen, insbesondere die, die sich auf die sozialen Rahmenbedingungen richten, das ist originäre Bundespolitik. Wenn es um den Bereich der Fördersysteme geht, das betrifft sowohl die Bundesförderung, die öffentliche Förderung des Bundes, aber natürlich ganz stark auch die Kommunen und die Städte und die Länder.
Insofern richtet sich ein Großteil, insbesondere die Belange, die auf der Bundesebene angesiedelt sind, natürlich zwangsläufig auf die Bundesebene, was aber nicht heißt, dass, wenn wir zum Beispiel transparente Juryverfahren uns wünschen, wenn wir die Ausdifferenzierung der Fördersysteme uns wünschen, wenn wir uns eine Entbürokratisierung des Fördersystems wünschen, überhaupt grundsätzlich über die Ausstattung und die Gewichtung der Fördersysteme nachzudenken, dann sind das natürlich ganz gezielte Forderungen, die sich auch auf die Landes- und die kommunale Ebene richten.
Wuttke: Und vielleicht ein bisschen weniger Förderung von sogenannten Leuchttürmen.
Krause: Ich glaube, es ist wichtig, dass wir unsere Forderungen jetzt nicht gegen die großen Institutionen platzieren. Ich glaube, die sind für uns genauso wichtig, und es gibt eine ganze Reihe exzellenter Beispiele, wo beide Systeme auch miteinander kommunizieren, deswegen geht es, glaube ich, nicht um eine Art Kannibalismus, sondern es geht darum, dass man einfach sagt, dass man einfach daran erinnert, welchen Anteil die freien Künste tatsächlich leisten, und dass man dann guckt, bildet das sich auch ab in der Wertschätzung durch Fördersysteme und durch die Rahmenbedingungen in den Kommunen und in den Städten.
Wuttke: Lena Krause vom Bundesverband Freie Ensembles und Stephan Behrmann, Bundesverband Freie Darstellende Künste über die Allianz der Freien Künste, die sich vorgestellt hat und deren Webseite seit heute freigeschaltet ist. Danke, dass Sie bei uns waren!
Krause: Vielen Dank!
Behrmann: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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