#allesdichtmachen

"Das hat was irrsinnig Regressives"

07:55 Minuten
Screenshot: Der Schauspieler Jan-Josef Liefers in einer Videobotschaft.
Viel Beifall erhielt die Aktion #allesdichtmachen von Rechtspopulisten. Der Schauspieler Jan-Josef Liefers grenzte sich daraufhin entschieden vom Lob der Rechten ab. © Deutschlandradio
Moderation: Korbinian Frenzel · 23.04.2021
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Die Aktion #allesdichtmachen von mehr als 50 Schauspielern sorgt nach Applaus von rechts vor allem für Entsetzen und Ratlosigkeit: Schauspielkollegen und viele andere kritisieren die ironischen Videos, deren Botschaft letztlich unklar bleibt.
In mehr als 50 Videos nehmen prominente Schauspielerinnen und Schauspieler wie Jan-Josef Liefers, Richy Müller, Ulrich Tukur, Nadja Uhl oder Ulrike Folkerts die Maßnahmen der Bundesregierung gegen die Coronapandemie aufs Korn. Unter dem Hashtag #allesdichtmachen bringen sie in teils sarkastischen kurzen Botschaften ihren Ärger zum Ausdruck.
Doch die Künstlercommunity ist in weiten Teilen nicht begeistert von dieser Aktion. Im Gegenteil: Kollegen und Kolleginnen wie Elyas M’Barek, Christian Ulmen und Nora Tschirner reagierten mit Bestürzung unter dem Gegen-Hashtag #allesschlichtmachen.
Für sie ist es kontraproduktiv und bedenklich, dass die Videos nun Beifall von Rechten wie dem ehemaligen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen und auch von ganz Rechts bekommen – von der Querdenkerbewegung und von der AfD.

Was soll das?

Das sei nicht beabsichtigt gewesen, betont etwa Jan-Josef Liefers und grenzt sich gegen Rechte ab. Heike Makatsch hat inzwischen ihr Video zurückgezogen.
Die Kulturjournalistin Elke Schmitter steht #allesdichtmachen eher ratlos gegenüber: "Das ist alles so diffundierend. Es ist wahnsinnig sophisticated – wenn man sich mal diese Videos anschaut: Die sind gut aufgenommen, man kennt die Gesichter, es ist eine kultivierte Sprache. Gleichzeitig fragt man sich: Was ist das eigentlich? Ist das das Endstadium der Verzweiflung, Bitterkeit, Ironie?"
Elke Schmitter nimmt am 02.03.2017 in Berlin an einem Fototermin zum "Literarischen Quartett" teil.
"Ein klarer Appell fehlt", sagt Kulturjournalistin Elke Schmitter über die Aktion #allesdichtmachen.© picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Den Videos fehle zudem ein klarer Appell. "Das hat was irrsinnig Regressives", sagt Schmitter. Es werde nicht klar, was die Beteiligten wirklich erreichen wollten. Der Rückzug von Heike Makatsch sei ein Beleg dafür: Die Schauspielerin habe sich danach entschuldigt, sie habe niemanden beleidigen wollen, es tue ihr leid, wenn die Botschaft missverstanden worden sei.

Ironie funktioniert nur im Kontext

Schmitter dazu: "Aber es ist auf Missverständnis angelegt. Es ist hochironisch. Ironie funktioniert, wie jede Art von komplexer Kommunikation, natürlich immer in einem Kontext. Diesen Kontext gibt es nicht: Man schickt eine Botschaft raus, die doppeldeutig ist, und darf sich dann nicht wundern, wenn es falsch verstanden wird."
Die Kulturszene habe sehr gelitten, es gebe durchaus Anlass zu Protest. Doch die Uneindeutigkeit von "allesdichtmachen" führe "zu gar nichts".

"Wir sind die absolut Privilegierten"

Auch den Schauspieler und "Tatort"-Kommissar Hans-Jochen Wagner ließen die Videos seiner Kolleginnen und Kollegen zunächst ratlos zurück. "Ich habe mich da durchgescrollt, mir das angehört und dann war ich eigentlich entsetzt", sagt er, "weil ich nichts verstanden habe". Ihm sei unklar, für wen sie sprechen, für was oder gegen was sie sich einsetzen.
Es gebe derzeit zwei Gruppen, die man klar einteilen müsse. "Es gibt die einen Kollegen, so wie ich - und ich denke auch der Großteil derer, die da diese Geschichte mit initiiert haben -, die haben das große Glück, durch finanzielle Großaufwendungen der Produktionen und viele Testungen arbeiten zu dürfen. Wir sind die absolut Privilegierten", sagt Wagner.
Hans-Jochen Wagner beim Pressetermin zum ARD-Dreiteiler "Unsere wunderbaren Jahre" 2020 in Hamburg
Entsetzt über die Aktion seiner Schauspielkolleginnen und -kollegin: Hans-Jochen Wagner.© imago / Future Image / Hein Hartmann
Daneben gebe es die freischaffenden Theaterschauspieler, Musiker, Künstler und Tänzer, denen es "natürlich katastrophal schlecht geht". Doch die Kolleginnen und Kollegen, die dort sprechen, hätten seines Wissens das Glück, arbeiten zu können. Doch: "Sie sprechen sich nicht solidarisch für andere aus. Sie sagen nicht, okay, wir machen einen Hilfsfonds. Das wäre toll gewesen."

Hören Sie hier das ganze Interview mit Schauspieler Hans-Jochen Wagner: Audio Player

Ist das Satire? "Das möchte natürlich Satire sein", sagt Judith Ackermann, Forschungsprofessorin für Digitale und vernetzte Medien in der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Potsdam. "Aber ich finde es dadurch besonders problematisch, dass es so changiert." Auf der einen Seite stehe die Person im Fokus und es werde auch ein Format angewandt, was prinzipiell authentisch wirken möchte. "Dann wird aber über die Dinge, die erzählt werden, in eine Kunstfigur gewechselt."
Der erste Impuls sei, zu denken, dass das Format genutzt werde, um Aufklärung für die Herausforderungen in diesem Berufsstand oder für den Kultursektor zu generieren, meint die Medienwissenschaflterin. Doch dann bleibe völlig unklar, was die Personen vermitteln möchten. "Das zeigt sich auch noch einmal darin, wie sich jetzt nach und nach Personen davon distanzieren, dass eigentlich der Gruppe als Gruppe gar nicht so bewusst ist, wofür sie denn da jetzt stehen."

Über Hintergründe kaum etwas zu erfahren

Ironie und Satire seien grundsätzlich nicht immer leicht zu erkennen. "Das ist eine relativ große Gefahr, die man jetzt auch daran erkennt, dass es ja in unterschiedlichste Richtungen gelesen werden kann", sagt Ackermann.
Auch sei über die Hintergründe der Aktion kaum etwas zu erfahren. "Da müsste einfach viel mehr Klarheit erzeugt werden, damit das Format greifen könnte", sagt Ackermann. "Dann ist immer noch die Frage, ob man auf diese Art und Weise den Diskurs anregen soll."

Das gesamte Gespräch mit der Medienwissenschaftlerin Judith Ackermann hören Sie hier:
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Botschaften werden transportiert

Der Journalist Enno Park beschäftigt sich mit dem digitalen Wandel und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft. Für ihn transportieren die Videos selbst schon rechtsradikale Inhalte.
"Wenn man sich alle Videos der Reihe nach anschaut", so Park, "dann wird klar, dass sie in ihrem Subtext eine Geschichte erzählen. Auch wenn die einzelnen Videos und Personen sicher nicht rechtsradikal sind, werden Dinge erzählt, die sich auf die Schlagpunkte Lügenpresse, Merkel-Diktatur und so weiter bringen lassen."
Park bezeichnet diesen Subtext als "Dog Whistling". "Sie sagen etwas und senden gleichzeitig Signale aus, die nur von einer ganz bestimmten Zielgruppe verstanden werden." Der ehemalige US-Präsident Donald Trump habe das bis zur Meisterschaft betrieben. Das könne jedoch auch aus Versehen passieren.
So ist sich Park nicht sicher, ob Jan-Josef Liefers das absichtlich oder aus Versehen gemacht habe. Als Liefers nämlich zunächst der gesamten Presse vorwirft, nur noch einheitlich im Sinne der Regierung zu berichten, dann aber doch auf alternative Medien verweist, die das nicht täten: "Eingeweihte würden darunter sicher Hinweise auf rechtspopulistische Medien wie zum Beispiel das 'Compact'-Magazin oder 'Tichys Einblick' verstehen."

Das gesamte Gespräch mit dem Journalisten Enno Park hören Sie hier: Audio Player

Humor spendet Trost

Ob es sich bei den Videos lohnen wird, sie für die Nachwelt aufzuheben, werde sich erst noch zeigen, sagt Paul Spies. Er ist Direktor des Berliner Stadtmuseums, das seit einem Jahr Fotografien, Objekte und Geschichten rund um die Pandemie sammelt.
"Eigentlich beweist die Geschichte selbst, was Geschichte ist", sagt Spies. Insofern überlege er, auch diese Videoclips aufzubewahren, "vor allem jetzt, wo die Entschuldigung stattgefunden hat, wo anscheinend Geschichte weitergeschrieben wird". Diese Verwirrung, dieses unglaubliche Chaos, das gelegentlich in einer Pandemie entstehe, wolle man illustrieren.
Die Werbung des Online-Sexshops "Dildoking" sorgte während der ersten Welle der Pandemie für ein Schmunzeln auf den Straßen Berlins.
Die Werbung des Online-Sexshops "Dildoking" sorgte während der ersten Welle der Pandemie für ein Schmunzeln auf den Straßen Berlins.© imago / Manfred Segerer
Die bisherigen Einreichungen von Berlinerinnen und Berlinern deuteten insgesamt auf eine humorvolle Bewältigung der Coronakrise hin – mit einem vorläufigen Höhepunkt in der ersten Welle, so Spies. Humor spende Trost, erklärt er. Dabei handle es sich um eine Art Gegengift, mit dem die Menschen versuchten, das Gefühl der Angst und Panik zu relativieren, nicht die Tatsachen. Doch dieser Humor brauche sich allmählich auf.

Das gesamte Gespräch mit Paul Spies hören Sie hier: Audio Player

(mkn/cwu/mfied/ckr)
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