Alles, was in ihr ist
In den USA erscheint National Geographic seit 1888, in Deutschland seit gut elf Jahren. Nun ist mit "Das Fenster zur Welt ein Buch erschienen, das angeblich die besten 15 Reportagen dieser deutschen Jahrgänge versammelt.
Das Magazin mit dem gelben Rand ist für seine Reportagen weltberühmt. In den USA erscheint National Geographic seit 1888, in Deutschland seit Oktober 1999, also seit gut elf Jahren. Und jetzt also ein Buch, das angeblich die besten 15 Reportagen dieser deutschen Jahrgänge versammelt.
Ob es wirklich die 15 besten Reportagen sind, ist zweifelhaft. Schließlich musste und wollte Herausgeber Erwin Brunner, der Chefredakteur der deutschen Ausgabe, die unterschiedlichen Themenfelder des Magazins berücksichtigen. So finden sich klassische Reportagen über fremde Länder und Völker, Stücke, die sich mit Historie beschäftigen, solche über Botanik und Psychologie.
Sprich: Es sind Texte über "die Welt und alles, was in ihr ist", so wie Alexander Grahman Bell, einer der ersten Herausgeber des Magazins, im 19. Jahrhundert das Spektrum der Zeitschrift definierte. Die meisten Reportagen stammen aus dem amerikanischen Original der Zeitschrift, nur zwei wurden extra für die deutsche Ausgabe geschrieben.
Doch egal, ob die besten oder nicht, ob übersetzt oder direkt auf Deutsch verfasst, (fast) jede der Reportagen ist in ihrer Art meisterhaft. Es sind Texte, die durchaus in journalistischen Lehrbüchern stehen könnten; Texte, die – und dass ist das wirklich tolle – nicht nach Schema geschrieben sind, sondern alle ihren ganz eigenen Ton besitzen, einen Ton, der dem Sujet immer angepasst ist.
Spannungs- und temporeich ist das Stück über "Moskau bei Nacht", das die Widersprüche der Metropole benennt – hier überbordender Reichtum, dort hoffnungslose Alkoholiker – und von Martin Cruz Smith verfasst wurde, der mit dem Roman "Gorki Park" weltberühmt wurde.
Ebenso schnell kommt der Text über den "Wahnsinn China" daher, das anhand eines winzigen Stückes plastiküberzogenen Metalls - den Verstellern für die Träger eines BH - den Industrieboom Chinas erläutert: Innerhalb eines Jahres wird das Produkt ausgesucht, die Firma eröffnet, die Produktion angeworfen und dann die Firma verlagert, da man in einer anderen Stadt noch billiger produzieren kann. Eher ironisch und leichtfüßig dagegen die Reportage über die Fortpflanzungsstrategien der Orchideen, die mit dem, wie der Autor schreibt, "Versprechen auf guten Sex" bestäubende Insekten anziehen.
Erwin Brunner hat auch ganz unbescheiden einen seiner eigenen Texte ausgewählt. Riecht nach Eigenlob? Ja, aber stinkt nicht, denn sein Text über die letzten Lebenstage der Gletscherleiche Ötzi ist fantastischer Wissenschaftsjournalismus; spannend, zupackend, glänzend recherchiert und geschrieben.
Mein Lieblingsstück ist allerdings Lauren Slaters Reportage über die "Liebe". Der Psychologin gelingt es grandios, den psychologischen, neuro- und sozialwissenschaftlichen Hintergrund des, wie es heißt, "größten aller Gefühle" zu erhellen, zugleich auch auf anrührend und humorvolle Art von ihrem Leben zu erzählen. Ein Text, der fließt, der den Leser ansaugt und nicht mehr loslässt, eben ähnlich dem Gefühl, das er beschreibt. Große Literatur.
Rezensiert von Günther Wessel
Erwin Brunner: Das Fenster zur Welt. Die besten National-Geographic-Reportagen
Malik Verlag München 2011, 400 Seiten, 14,95 Euro
Ob es wirklich die 15 besten Reportagen sind, ist zweifelhaft. Schließlich musste und wollte Herausgeber Erwin Brunner, der Chefredakteur der deutschen Ausgabe, die unterschiedlichen Themenfelder des Magazins berücksichtigen. So finden sich klassische Reportagen über fremde Länder und Völker, Stücke, die sich mit Historie beschäftigen, solche über Botanik und Psychologie.
Sprich: Es sind Texte über "die Welt und alles, was in ihr ist", so wie Alexander Grahman Bell, einer der ersten Herausgeber des Magazins, im 19. Jahrhundert das Spektrum der Zeitschrift definierte. Die meisten Reportagen stammen aus dem amerikanischen Original der Zeitschrift, nur zwei wurden extra für die deutsche Ausgabe geschrieben.
Doch egal, ob die besten oder nicht, ob übersetzt oder direkt auf Deutsch verfasst, (fast) jede der Reportagen ist in ihrer Art meisterhaft. Es sind Texte, die durchaus in journalistischen Lehrbüchern stehen könnten; Texte, die – und dass ist das wirklich tolle – nicht nach Schema geschrieben sind, sondern alle ihren ganz eigenen Ton besitzen, einen Ton, der dem Sujet immer angepasst ist.
Spannungs- und temporeich ist das Stück über "Moskau bei Nacht", das die Widersprüche der Metropole benennt – hier überbordender Reichtum, dort hoffnungslose Alkoholiker – und von Martin Cruz Smith verfasst wurde, der mit dem Roman "Gorki Park" weltberühmt wurde.
Ebenso schnell kommt der Text über den "Wahnsinn China" daher, das anhand eines winzigen Stückes plastiküberzogenen Metalls - den Verstellern für die Träger eines BH - den Industrieboom Chinas erläutert: Innerhalb eines Jahres wird das Produkt ausgesucht, die Firma eröffnet, die Produktion angeworfen und dann die Firma verlagert, da man in einer anderen Stadt noch billiger produzieren kann. Eher ironisch und leichtfüßig dagegen die Reportage über die Fortpflanzungsstrategien der Orchideen, die mit dem, wie der Autor schreibt, "Versprechen auf guten Sex" bestäubende Insekten anziehen.
Erwin Brunner hat auch ganz unbescheiden einen seiner eigenen Texte ausgewählt. Riecht nach Eigenlob? Ja, aber stinkt nicht, denn sein Text über die letzten Lebenstage der Gletscherleiche Ötzi ist fantastischer Wissenschaftsjournalismus; spannend, zupackend, glänzend recherchiert und geschrieben.
Mein Lieblingsstück ist allerdings Lauren Slaters Reportage über die "Liebe". Der Psychologin gelingt es grandios, den psychologischen, neuro- und sozialwissenschaftlichen Hintergrund des, wie es heißt, "größten aller Gefühle" zu erhellen, zugleich auch auf anrührend und humorvolle Art von ihrem Leben zu erzählen. Ein Text, der fließt, der den Leser ansaugt und nicht mehr loslässt, eben ähnlich dem Gefühl, das er beschreibt. Große Literatur.
Rezensiert von Günther Wessel
Erwin Brunner: Das Fenster zur Welt. Die besten National-Geographic-Reportagen
Malik Verlag München 2011, 400 Seiten, 14,95 Euro