Alles, was empört

Von Camilla Hildebrandt |
Khesrau Behroz war drei Jahre alt, als seine Familie aus Kabul fliehen musste. Heute, mit 24, schreibt Behroz auch über seine Heimat Afghanistan. Er hat an zahlreichen Poetry-Slams teilgenommen und eine Zeitschrift gegründet: "Echauffier", das Magazin der Empörung.
"Ich hab seit Jahren dieses eine Bild im Kopf von einem glücklichen Pärchen, das auf einer Weide steht und sich umarmt, und der Typ macht einen Heiratsantrag, und diese Frau ist total glücklich und sagt Ja. Und der Typ, was der macht vor lauter Glück? Springen und hüpfen, und was dann passiert: Er tritt auf eine Landmine."

Seinen ersten Roman hat er schon als Teenager geschrieben, erzählt Khesrau Behroz lachend. Alles war schon fertig, das Cover für den Umschlag, das Foto für die Presse, Flyer für die Werbung. Er wollte damit unbedingt der jüngste Autor aller Zeiten werden. "Aber das ging total in die Hose".

Der Titel: Placebo, eine Geschichte, deren Protagonisten Objekte sind, wie Tische und Stühle. Aber der Anspruch war damals noch zu hoch, erzählt der heute 24-Jährige mit den schwarzen Haaren und dem sehr hellen Teint weiter. Um gute Geschichten zu schreiben, musste er noch ein wenig älter werden.

"Dann bin ich nach Thailand gegangen für ein Jahr, das hat mich total aus der Bahn geworfen, und den Text fand ich dann scheiße. Das hat mir dann überhaupt nicht mehr gefallen, dann dachte ich mir: OK, jetzt atme mal durch."

Khesrau Behroz Eltern stammen aus Afghanistan. Anfang der 90er-Jahre verließen sie fluchtartig die Heimat, da die Taliban alle demokratisch Gesinnten verfolgten. Über Umwege landete die Familie, Khesrau sein jüngerer Bruder und die Eltern, in Kassel. Drei Jahre war er damals.

Die Kinder lernen sehr schnell Deutsch und besuchen die "Offene Schule Waldau". Dort beginnt seine Autorengeschichte.

"Da gab es dieses Fach "Freies Lernen", und am Ende des Jahres mussten wir sechs Texte abgeben in einem freien Textbuch, und ich hab immer Geschichten geschrieben, und so kam ich dazu. Die Lehrer haben mich motiviert, haben gesagt: Du kannst ja schreiben, mach mal was draus."

Khesrau Behroz begeistert sich für die deutsche Sprache, für den Gebrauch aus der Mode gekommener Wörter, für Poesie und Prosa.
Er bewirbt sich mit seinen Texten bei Literatur-Wettbewerben, nimmt an Poetry-Slams teil, reist auf der Welt herum, gewinnt seine ersten Auszeichnungen.

Was ihn interessiert, sind persönliche Geschichten von Menschen, die er nicht kenne, sagt der junge, schlanke Mann. Lustige Texte sind es fast nie, oft fangen sie unschuldig an und enden völlig unerwartet. Wie zum Beispiel seine Geschichte über ein Liebespaar in Afghanistan.

"Diese persönlichen Geschichten sind ja auch im Grunde genommen Klischees. Eine Landmine, es gibt im Kriegsgebiet Landminen, das ist klar. Aber darum geht es nicht, es geht nicht um die Explosion, sondern um die Menschen darin, die agieren. Sie könnten genauso gut hier leben, aber sie haben eine andere Umgebung, da müssen sie damit klarkommen."

"Betrunken war das Wort, betrunken war es, betrunken war das Wort, also sag - wie war es? Es war betrunken, betrunken war das Wort, erst hat es mich geliebt, doch dann war es fort"

Sprache ist ein sehr mächtiges Instrument, sagt Khesrau Behroz, und man merkt, dass er auch im Alltag jeden Satz wohl überlegt.
"Sprache ist für mich vor allem deshalb auch so wichtig, weil damit alles hier begonnen hat in Deutschland, habe mir diese Sprache versucht anzueignen und natürlich, man kann, wenn man sie richtig nutzt, kann man sie pointiert nutzen, um Gefühle zu wecken, um Menschen zu bewegen, Menschen zu erschüttern, zu erschrecken."

Der Bezug zu Afghanistan taucht immer wieder in seinen Geschichten auf, obwohl es meist nur Erzählungen sind, auf die er sich stützen kann. Wie zum Beispiel in "Der General". Ein Taxifahrer, ehemaliger General aus Afghanistan, der dem Fahrgast seinen Lebensfrust hinschleudert.

"ICH WAR EIN GENERAL, VERFLUCHT NOCHMAL! Ich habe Dutzende Orden gesammelt, habe unzählige Orte gesehen, habe Sachen auf Menschen geworfen, habe Frauen, ein Kind und eine Kuh getroffen, habe Häuser in die Luft gesprengt"

Khesrau Behroz eigene Erinnerungen an die Heimat der Eltern - Berge und viel Staub, viel mehr nicht.

"Von meinen Eltern weiß ich, dass Kabul eine wunderschöne Stadt gewesen ist, in meinem Kabul laufen Frauen mit Röcken rum. Dann ist es aber auch gleichzeitig ein Kabul, wo Frauen Finger abgehackt bekommen, weil sie sich schminken. Die Eltern werden jetzt langsam zur Inspiration, das einordnen zu können, das fängt jetzt langsam an. Ich glaube, ich habe das früher viel zu wenig Wert geschätzt, was sie alles durchgemacht haben und wo ich im Grunde genommen gelandet bin."

Afghane, Deutscher, als was er sich fühle? Als Europäer, oder besser noch, Mensch. Eingeordnet oder eingeschränkt zu werden, das konnte er noch nie leiden. Deswegen heißt seine Webseite, wo man viele seiner Texte nachlesen kann, auch "etwas Grenzenloses".

"Ich bin mit Haut und grauem Haar Autor, so würde ich mich verstehen, die grauen Haare, ja, ja, da staunen viele, auch die Katze. Ich möchte was Künstlerisches machen, möchte schreiben, Buchstaben, Wörter, Sprache, das soll mein Instrument bleiben."

Momentan studiert Khesrau Behroz Kommunikations- und Literaturwissenschaften in Erfurt, wo er zusammen mit Freuden in einer WG wohnt. Aber wer weiß schon, was er morgen für Pläne hat.

Link:
Webseite des Autors Khesrau Behroz