Alles, was Brecht ist
Wer Gefühle zeigt, ist draußen. So einfach lautet die Regel in Brechts LAB, dem Kunstlaboratorium im Geiste Bertolts. Die Düsseldorfer Schauspielerin Claudia Burckhardt spielt Claudia B., eine Gralshüterin des epischen Theaters, eine Mutterfigur wie von Brecht selbst ersonnen. Dann kommt Besuch aus den USA, der New Yorker Schauspieler Harold Kennedy German. Er hat gruselige Geschichten zu erzählen und keine Hemmungen, emotionale Mittel einzusetzen.
Ein Duell zweier Theatertheorien beginnt, Brecht Kritik am bürgerlichen Illusionstheater wird einer radikalen Prüfung unterzogen, und plötzlich entfaltet sein Rationalismus eine hypnotische Wirkung. "Hysteria oder Brechts LAB" heißt ein Stück von Frank Raddatz, der sich auch in seinem Buch "Brecht frisst Brecht" intensiv mit der Bedeutung BBs für Künstler und Philosophen der Gegenwart beschäftigt hat. Die Uraufführung am Forum Freies Theater in Düsseldorf versucht eine "Verfremdungsperformance", eine kritische Annäherung an Brechts Theorien.
Es gibt noch Neues vom alten Brecht. Wenn man dem Theater in der Josefstadt in Wien glaubt. Das kündigt nämlich für nächste Woche eine Uraufführung an. Im finnischen Exil schrieb Brecht – zusammen mit der Schriftstellerin Hella Wuolijoki – "Die Judith von Shimoda", ein Lehrstück über eine Geisha, die im 19. Jahrhundert verhindert, dass der amerikanische Konsul die japanische Stadt Shimoda bombardiert. Eine Heldin aus dem Volk, ganz nach Brechts Geschmack. Er nannte sie "Judith" nach dem biblischen Vorbild von Judith und Holofernes. Im Nachlass von Hella Wuolijoki wurde die finnische Version des niemals aufgeführten Stückes gefunden, daraus entstand nun die deutsche Spielfassung. Heribert Sasse inszeniert die Premiere am Wiener Theater in der Josefstadt (Premiere 11. September), eine gute Woche später folgt dann am rührigen Theater Osnabrück die deutsche Erstaufführung. Allerdings reklamiert das Berliner Ensemble, bereits am 20. Dezember1997 eben dieses Stück "mit allen Schikanen" (Pressemitteilung) auf die Bühne gebracht zu haben und stellt die Frage "Wer hat denn da geschlafen?" Das Theater in der Josefstadt, der Suhrkamp Verlag oder der ZDF Theaterkanal? Wenn es ein Publicitygag sein sollte, dann gelang der wohl mehr schlecht als Brecht.
Brechts Klassiker bereiten den Regisseuren zunehmend Schwierigkeiten. Denn eine zerlumpte "Mutter Courage" den sattsam bekannten Planwagen durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges ziehen zu lassen, wirkt wie ein Zitat aus dem Theatermuseum. Robin Telfer geht nun in seiner Wuppertaler Inszenierung einen anderen Weg. Er hat das auf eindreiviertel Stunden ohne Pause eingedampft und einige Songs durch andere ersetzt. Die Brecht-Erben sind heute toleranter als sie es noch vor einigen Jahren waren, als sie eifersüchtig über jedes Wort wachten. Mutter Courage tritt im weinroten Abendkleid auf, die Kriegsgewinnlerin ist eine Grande Dame, ihr berühmtes Lied singt sie wie eine Diseuse im Nachtclub. Kattrin, ihre stumme Tochter, hat in Wuppertal einen Monolog. Da steigt die Schauspielerin Maresa Lühle aus ihrer Rolle und zählt alle Kriege auf, die es seit ihrer Geburt in der Welt gegeben hat. So bekommt Brecht nicht nur eine aktuelle, sondern eine persönliche Ebene. Die Strukturen eines verdorbenen kapitalistischen Systems zu enthüllen, ist heute keine revolutionäre Tat mehr. Wer heute Brecht spielt, muss sich für die Menschen interessieren. Das funktioniert, weil der Theoretiker des epischen Theaters durchaus psychologisch nachvollziehbare Rollen geschrieben hat, die auch ein bürgerliches Publikum direkt packen.
Im Ausland hat Brecht ungebrochen Konjunktur. Auf internationalen Theaterfestivals waren in den letzten Monaten zwei Aufführungen aus fernen Ländern zu sehen. Auf der Bonner Biennale: Bosporus zeigte das türkische Staatstheater aus dem anatolischen Erzurum seine Version des "kaukasischen Kreidekreises". Hans Eislers Musik auf türkischen Instrumenten hatte große Kraft, das Ensemble warf sich mit Riesenenergie in Tanzchoreographien, spielte saftiges, mitreißendes Volkstheater. Ganz anders ging das Mohtaraf-Theater aus Bagdad den gleichen Stoff an. Der "Baghdadi Circle of Passion" ist – wie es der Titel schon vermuten lässt – stark auf die Situation im Irak bezogen, eine Geschichte um Unterdrückung durch fremde Mächte, das Aufeinanderprallen verschiedener Auffassungen von Recht und Moral. Die Schauspieler brüllen oft, der Schweiß läuft ihnen herunter, die Aufführung gibt von Anfang an Vollgas. Sie wird per Video auch nach draußen übertragen, das ist Konzept, im Irak ebenso wie beim Gastspiel im Mülheimer Theater an der Ruhr. Die Idee dahinter ist, dass es immer verschiedene Perspektiven auf das Geschehen gibt.
Die Vielzahl neuer Brecht-Interpretationen zeigt, dass sich die Theatermacher von den Modellvorgaben des Berliner Ensembles lösen und immer eigenständiger mit Brecht umgehen. Er wird nun auch zu einem Klassiker wie Shakespeare, Goethe, Schiller oder Büchner. Diese Stücke überleben ja gerade deshalb die Jahrhunderte, weil sie auch radikale Neudeutungen mühelos aushalten und in ihnen neue Kraft entwickeln. Der alte Brecht ist so gesehen noch für einige ästhetische wie inhaltliche Überraschungen gut.
Es gibt noch Neues vom alten Brecht. Wenn man dem Theater in der Josefstadt in Wien glaubt. Das kündigt nämlich für nächste Woche eine Uraufführung an. Im finnischen Exil schrieb Brecht – zusammen mit der Schriftstellerin Hella Wuolijoki – "Die Judith von Shimoda", ein Lehrstück über eine Geisha, die im 19. Jahrhundert verhindert, dass der amerikanische Konsul die japanische Stadt Shimoda bombardiert. Eine Heldin aus dem Volk, ganz nach Brechts Geschmack. Er nannte sie "Judith" nach dem biblischen Vorbild von Judith und Holofernes. Im Nachlass von Hella Wuolijoki wurde die finnische Version des niemals aufgeführten Stückes gefunden, daraus entstand nun die deutsche Spielfassung. Heribert Sasse inszeniert die Premiere am Wiener Theater in der Josefstadt (Premiere 11. September), eine gute Woche später folgt dann am rührigen Theater Osnabrück die deutsche Erstaufführung. Allerdings reklamiert das Berliner Ensemble, bereits am 20. Dezember1997 eben dieses Stück "mit allen Schikanen" (Pressemitteilung) auf die Bühne gebracht zu haben und stellt die Frage "Wer hat denn da geschlafen?" Das Theater in der Josefstadt, der Suhrkamp Verlag oder der ZDF Theaterkanal? Wenn es ein Publicitygag sein sollte, dann gelang der wohl mehr schlecht als Brecht.
Brechts Klassiker bereiten den Regisseuren zunehmend Schwierigkeiten. Denn eine zerlumpte "Mutter Courage" den sattsam bekannten Planwagen durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges ziehen zu lassen, wirkt wie ein Zitat aus dem Theatermuseum. Robin Telfer geht nun in seiner Wuppertaler Inszenierung einen anderen Weg. Er hat das auf eindreiviertel Stunden ohne Pause eingedampft und einige Songs durch andere ersetzt. Die Brecht-Erben sind heute toleranter als sie es noch vor einigen Jahren waren, als sie eifersüchtig über jedes Wort wachten. Mutter Courage tritt im weinroten Abendkleid auf, die Kriegsgewinnlerin ist eine Grande Dame, ihr berühmtes Lied singt sie wie eine Diseuse im Nachtclub. Kattrin, ihre stumme Tochter, hat in Wuppertal einen Monolog. Da steigt die Schauspielerin Maresa Lühle aus ihrer Rolle und zählt alle Kriege auf, die es seit ihrer Geburt in der Welt gegeben hat. So bekommt Brecht nicht nur eine aktuelle, sondern eine persönliche Ebene. Die Strukturen eines verdorbenen kapitalistischen Systems zu enthüllen, ist heute keine revolutionäre Tat mehr. Wer heute Brecht spielt, muss sich für die Menschen interessieren. Das funktioniert, weil der Theoretiker des epischen Theaters durchaus psychologisch nachvollziehbare Rollen geschrieben hat, die auch ein bürgerliches Publikum direkt packen.
Im Ausland hat Brecht ungebrochen Konjunktur. Auf internationalen Theaterfestivals waren in den letzten Monaten zwei Aufführungen aus fernen Ländern zu sehen. Auf der Bonner Biennale: Bosporus zeigte das türkische Staatstheater aus dem anatolischen Erzurum seine Version des "kaukasischen Kreidekreises". Hans Eislers Musik auf türkischen Instrumenten hatte große Kraft, das Ensemble warf sich mit Riesenenergie in Tanzchoreographien, spielte saftiges, mitreißendes Volkstheater. Ganz anders ging das Mohtaraf-Theater aus Bagdad den gleichen Stoff an. Der "Baghdadi Circle of Passion" ist – wie es der Titel schon vermuten lässt – stark auf die Situation im Irak bezogen, eine Geschichte um Unterdrückung durch fremde Mächte, das Aufeinanderprallen verschiedener Auffassungen von Recht und Moral. Die Schauspieler brüllen oft, der Schweiß läuft ihnen herunter, die Aufführung gibt von Anfang an Vollgas. Sie wird per Video auch nach draußen übertragen, das ist Konzept, im Irak ebenso wie beim Gastspiel im Mülheimer Theater an der Ruhr. Die Idee dahinter ist, dass es immer verschiedene Perspektiven auf das Geschehen gibt.
Die Vielzahl neuer Brecht-Interpretationen zeigt, dass sich die Theatermacher von den Modellvorgaben des Berliner Ensembles lösen und immer eigenständiger mit Brecht umgehen. Er wird nun auch zu einem Klassiker wie Shakespeare, Goethe, Schiller oder Büchner. Diese Stücke überleben ja gerade deshalb die Jahrhunderte, weil sie auch radikale Neudeutungen mühelos aushalten und in ihnen neue Kraft entwickeln. Der alte Brecht ist so gesehen noch für einige ästhetische wie inhaltliche Überraschungen gut.