Alles unter Kontrolle?

Von Gesine Dornblüth · 10.08.2011
Die Waldbrände in Russland wecken Erinnerungen an den Sommer 2010: Damals brannten nach offiziellen Angaben 1,5 Million Hektar ab - ganze Dörfer und Siedlungen wurden zerstört, landesweit kamen Dutzende Menschen ums Leben. Nicht nur die außergewöhnliche Dürre auch strukturelle Probleme bei Forstaufsicht, Feuerwehr und Armee waren für das Ausmaß der Katastrophe verantwortlich. Ist Russland mittlerweile besser gegen den Feuerteufel gewappnet?
Bis zu den Knöcheln stehen die freiwilligen Helfer von Greenpeace im Schlamm. Sie arbeiten in Dreiertrupps. Je zwei Leute graben und schaufeln, tragen das schwere Erdreich ab. Ein Dritter hält eine Wasserspritze, zielt mit dem fingerdicken Strahl senkrecht in den Boden. Stechfliegen umschwirren die Teams. Die Sonne brennt. Ringsum steigen Rauchsäulen auf. Sie sind dünn und kaum zu sehen, dafür zahlreich.

Die Männer und Frauen löschen Torfbrände in einem Nationalpark im Gebiet Wladimir etwa 200 Kilometer östlich von Moskau. Moskau ist umgeben von trockengelegten Mooren. Die Flächen brennen immer mal wieder. Im letzten Jahr waren die Brände wetterbedingt so schlimm, dass der Rauch bis nach Moskau zog. Wochenlang war die Hauptstadt förmlich eingenebelt. Grigorij Kuksin wischt sich den Schweiß von der Stirn. Er ist der Waldbrandexperte von Greenpeace Russland.

In diesem Jahr gäbe es in Zentralrussland genau so viele Torfbrände wie im vergangenen Jahr, so Kuksin:

"Hier hat sich leider gar nichts verbessert. Die Behörden wollen zeigen, dass sie etwas unternommen haben. Aber das haben sie gar nicht. Sie versuchen, die Brände zu vertuschen. Wir von Greenpeace lokalisieren Brände, entweder mithilfe von Satellitenfotos oder, indem wir selbst hinfahren. Und wir versuchen, den Staat zu zwingen, frühzeitig zu reagieren. Wir haben wieder genau das gleiche Szenario wie im letzten Jahr."

Kilometerweit ist niedriges Gestrüpp zu sehen, großflächig verbrannt. Dazwischen Birken: Die Stämme verkohlt, die Blätter braun – mitten im Sommer. Rötlich-brauner Staub überall: Torfasche. Torfbrände sind schwer zu löschen. Die Brandherde liegen unter der Erde, bis zu sechs Meter tief.

Alexander Bondarenko stützt sich auf seine Schaufel, ruht einen Moment aus. Der Journalist war am Wochenende zuvor da, um eine Reportage über die freiwilligen Brandhelfer zu schreiben. Dieses Mal ist er gekommen, um selbst mit anzufassen:

"Torfbrände von oben zu berieseln, nützt gar nichts. Man muss das Erdreich mit dem Spaten und einem scharfen Wasserstrahl so sehr zerkleinern, dass ein Brei entsteht. Erst dann ist ein Brand gelöscht."

Während Bondarenkos Mitstreiter links weiter arbeiten, quillt rechts schon wieder neuer Rauch aus der Erde. Ein Kampf gegen Windmühlen, sagt Grigorij Kuksin:

"Die Brandherde sind überall. Wir haben viel zu wenig Wasser. Mit Bulldozern könnten wir die Entwässerungs-Gräben zuschütten und den Grundwasserspiegel anheben."

Kuksin wirft den russischen Behörden Gleichgültigkeit vor. Sie hätten längst den Ausnahmezustand verhängen müssen. Wenn der Ausnahmezustand gilt, wird das Katastrophenministerium tätig, schickt Feuerwehren zum Löschen und entsprechende Technik. Bisher ist das erst an einem Ort in diesem Nationalpark geschehen. Er brennt aber an vielen Stellen.

"Es besteht die Gefahr, dass die Brände vom Torf auf das Gras übergreifen und vom Gras auf den Wald. Wir werden versuchen, wenigstens das zu verhindern."

Für das Löschen kleiner Waldbrände ist in Russland die Forstbehörde zuständig. Die Forstbehörde ist aber - nach einer Reform des Forstgesetzes im Jahr 2006 - chronisch unterfinanziert und hat viel zu wenig Personal. Insbesondere die Zahl der Waldhüter und Inspektoren, derjenigen also, die in den Wäldern patrouillieren, wurde drastisch reduziert. Die meisten Förster sitzen heute am Schreibtisch.

Das neue Forstgesetz erlaubt dem Staat, seine Wälder zu verpachten. Die Pächter müssen die Wälder auch aufforsten. Die Forstbeamten sind nur noch dazu da, die Pächter zu kontrollieren. Und diejenigen, die noch in den Wald gehen, müssen eine viel größere Fläche als früher überwachen. In der Regel ist sie fünfmal so groß wie vor der Reform 2006. Kein Wunder also, dass manch ein Brand lange unentdeckt bleibt. Zumal mit den Forstbehörden auch die Luftüberwachung "Avialesoochrana" gestutzt wurde. Die Organisation stammt noch aus Sowjetzeiten.

Bis vor wenigen Jahren funktionierte sie gut. 500 bis 600 Flugzeuge waren an Hochsommertagen gleichzeitig in der Luft. Dann kürzte Regierung die Gelder. Tausende Mitarbeiter wurden entlassen. Grigorij Kuksin von Greenpeace Russland meint, erst das neue Forstgesetz habe dazu geführt, dass sich Brände in Russland so sehr ausweiten können:

"An allem ist das neue Forstgesetz schuld. Es gibt keinen Waldschutz mehr. Früher gab es Waldhüter. Sie haben im Wald gearbeitet und sie waren diejenigen, die Waldbrände entdeckt und gelöscht haben. Sie gibt es nicht mehr. An ihre Stelle sind Inspektoren getreten, die Kontrollaufgaben ausführen, aber selbst nicht im Wald arbeiten – weil sie es schlichtweg nicht schaffen, und weil sie auch nicht die Befugnis dafür haben. Im Ergebnis sind die Wälder herrenlos. Niemand fühlt sich für sie zuständig, und wenn jetzt Brände entstehen, dann werden sie erst entdeckt, wenn Siedlungen in Gefahr sind, oder wenn der Rauch bis in den Kreml zieht. Und erst dann wird etwas getan."

In diesem Jahr könnte der Kreml verschont bleiben. Dafür hat die Regierung in Moskau gesorgt.

Die Forstverwaltung von Orechowo-Zujewo. Hier brennt es oft. Die waldreiche Region liegt knapp hundert Kilometer östlich der Hauptstadt, noch im Moskauer Gebiet. Das ist wichtig, denn im Moskauer Gebiet wird die Forstbehörde – anders als im Rest Russlands – aus föderalen Mitteln bezahlt. Folglich ist mehr Geld da, und es kommt auch an.

Stolz zeigt Pjotr Andrianow, der Chef der Forstbehörde, Tanklöschzüge, Bulldozer und Kleintransporter. Alle wurden nach den verheerenden Bränden des letzten Jahres angeschafft:

"Wir haben von dem Unglück letztes Jahr profitiert. Wir haben auch noch fünf Überwachungstürme mit Videokameras bekommen. Sobald die Kameras Rauch aufzeichnen, fahren unsere Forstinspektoren los. Wenn die sehen, dass Wald brennt, schicken wir unsere Löschfahrzeuge hinterher."

Die meiste Zeit aber stehen die Löschfahrzeuge unbenutzt herum.

Ein Besuch in dem Dorf Pijavotschnoe im Gebiet Nischnij Nowgorod, gut 400 Kilometer östlich von Moskau. Ringsum Nadelwälder und brachliegende Felder. Hier wüteten letztes Jahr besonders viele Brände.

Tatjana Pimkina sitzt, in Kostüm und Perlenkette, auf der Rückbank eines Wolga und weist dem Chauffeur den Weg. Rechts und links windschiefe Holzhäuser mit Schnitzereien an den Fenstern. Dann eine Kurve – und sieben neue Häuser aus Stein. Je zwei Fenster nach vorn heraus, rotes Dach, Lattenzaun.

"Als die Häuser gebaut wurden, war ich jede Woche mehrfach hier. Von August bis Oktober. Die Häuser sind alle gleich."

Tatjana Pimkina leitet die Wohnungsbauabteilung der Bezirksverwaltung. Sie war für den von Premierminister Putin versprochenen und angeordneten Wiederaufbau in Pijavotschnoe zuständig.

"Von den Häusern waren nur zwei, drei verkohlte Balken übrig, die Fundamente aus Stein und noch die Öfen mit den gemauerten Schornsteinen. Alles andere war abgebrannt. Die Gärten waren schwarz. Das sah wirklich schlimm aus."

Zielstrebig steuert Tatjana Pimkina Haus Nummer 30 an. Sie hat schon viele Journalisten hier her gebracht.

Die Bewohnerinnen, die Schwestern Nina und Valentina Vasiljevna, warten schon. Sie haben sich hübsch gemacht: weiße Bluse, Lippenstift. Tatjana Pimpkina zeigt die Räume: Die neu Küche mit Hängeschränken und Gasherd, das Schlafzimmer, die Regale im Wohnzimmer Der Tisch ist gedeckt. Es gibt Sekt aus Kristallgläsern.

"Wir sind ja so zufrieden. Sehr zufrieden. Danke an die Stadtverwaltung."

Auch Tatjana Balaschowas Haus ist abgebrannt. Die Rentnerin hat eine Neubauwohnung in der Bezirksstadt bekommen: Zwei Zimmer, voll möbliert, mit Balkon.

"Das war sehr unerwartet. Offenbar tut die Regierung jetzt doch mal was für das Volk. Ehrlich gesagt, kann ich bis heute nicht begreifen, dass das hier mir gehören soll."

Allein im Gebiet Nischnij Nowgorod erhielten 718 Familien neue Häuser. 140 wurden finanziell entschädigt. Im Dezember wählt Russland ein neues Parlament, im kommenden Frühjahr einen Präsidenten. Die Stimmen der entschädigten Brandopfer dürften Putin und seiner Partei sicher sein.

Auf dem Torffeld im Nationalpark im Gebiet Wladimir repariert Grigorij Kuksin eine Pumpe. Der Waldbrandexperte von Greenpeace hält die Entschädigungspolitik der russischen Regierung für kurzsichtig:

"In vielen armen, abgelegenen Dörfern ist die Bereitschaft der Menschen gesunken, ihr Haus vor Feuer zu schützen. Sie denken, es ist besser, wenn ihr Haus abbrennt, denn dann bekommen sie ein besseres, und zwar umsonst. Es ist sogar vorgekommen, dass Leute ihr Haus absichtlich angezündet haben – in der Hoffnung auf eine neue Bleibe."

Ein Stück weiter sitzen junge Frauen vor einem Zelt, reiben Möhren, schneiden Weißkohl. Anja Andrejeva presst das Gemüse in eine große Schüssel:

"Wir machen Suppe und Gemüsesalat. Wir sind Mädchen für alles: Wir können Brände löschen, graben und kochen."

Ksenia Kljukina kommt dazu. Die Grafikerin trägt Stahlkappenschuhe. Neben ihr im Gras liegen eine Atemschutzmaske und Handschuhe:

"Ich habe mir die Ausrüstung selbst gekauft. Ich habe letztes Jahr im Internet erfahren, dass das Land brennt. Daraufhin haben meine Freundin und ich überlegt, wie wir helfen können. Zuerst haben wir von unserem eigenen Geld feuerfeste Ärmelschoner gekauft und in verschiedene Ecken des Landes verschickt. Manchmal habe ich ein Viertel meines Lohns dafür ausgegeben. Wegen der Reformen gibt es ja viel zu wenig Förster, und sie haben viel zu wenig Geld. Später bin ich dann selbst zum Löschen in die Wälder gefahren. Ich habe mit Motorsägen und Äxten geholfen, Schneisen zu schlagen."

Die Waldbrände haben eine beispiellose Welle ehrenamtlichen Engagements ausgelöst. Der Wald ist den Russen teuer. Umweltschutz scheint der Bereich, in dem sich die ansonsten schwache russische Zivilgesellschaft am deutlichsten artikuliert.

Auf dem Torffeld hat Grigorij Kuksin die Pumpe repariert. Er wischt sich die ölverschmierten Hände an der Hose ab:

"Ich verbinde große Hoffnungen mit der Zivilgesellschaft. Die Brände im letzten Jahr haben gezeigt, dass eine große Zahl von Leuten fähig ist, sich zu organisieren und selbst zu helfen."

Die russische Regierung denkt nun über eine Freiwillige Feuerwehr in Russland nach. Ein entsprechendes Gesetz hat der Föderationsrat bereits im Frühjahr verabschiedet. Kuksin von Greenpeace ist allerdings skeptisch. Ähnlich wie das umstrittene NGO-Gesetz sei es eher geeignet, Engagement zu verhindern, als zu fördern:

"Das Gesetz über die Freiwillige Feuerwehr schafft Hürden für jeden, der eine Freiwilligenorganisation gründen will. Die Hürden sind so groß, dass es einfacher ist, sich einer der vom Staat kontrollierten Organisationen anzuschließen. Die sind aber von oben organisiert und eine reine Showveranstaltung."

Viel wichtiger sei es, dass Forstgesetz wieder zu ändern und das alte Brandbekämpfungssystem wieder herzustellen. Das findet auch Pjotr Andrianow von der Forstbehörde in Orechowo-Zujewo:

"Es ist gut, wenn Leute helfen. Aber manchmal wird es chaotisch. Es muss jemanden geben, der verantwortlich ist. Profis müssen die Brände löschen: Förster oder Feuerwehrleute."
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