Alles nur grau in grau

Optimal ist es für Gerhard Warlich vielleicht nicht gelaufen, aber Grund zum wirklichen Unglücklichsein hat er nicht. Dem Geschäftsführer eines Wäschereibetriebs steht seine Frau Traudel zur Seite: Gemeinsam führen sie ein eher unspektakuläres Leben. Als sich Traudel aber nun ein Kind wünscht, geht es bergab: Angesichts der neuen Lebensperspektive verfällt Gerhard Warlich in Niedergeschlagenheit und hypochondrische Reizbarkeit.
Ein Firniss von Melancholie überzieht sie alle, die schmalen Romane von Wilhelm Genazino, die doch so stark für ihre ans Groteske streifende Realsatire, für ihre scharfe Beobachtung unserer nivellierten Mittelstandsgesellschaft und für ihr gnadenloses Sezieren unserer allgemein gewordenen sprachlichen Floskelhaftigkeit gelobt werden. Gelobt und mit Preisen ausgezeichnet, denn längst erhielt der Autor von so erfolgreichen Büchern wie "Ein Regenschirm für diesen Tag" oder "Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman" und zuletzt "Mittelmäßiges Heimweh" die prestigeträchtigste aller literarischen Trophäen hierzulande, nämlich den Büchnerpreis.

Doch der genannte melancholische Firniss erstreckt sich mit seiner neuester Veröffentlichung erstmals auf den gesamten Fonds des grau-in-grau gehaltenen Gemäldes, das er mit dem "Glück in glücksfernen Zeiten" liefert. "Ich bin so sehr mit meiner Trauer verwachsen", sagt der Ich-Erzähler Gerhard Warlich an einer Stelle des Romans und weist damit auf die Tatsache hin, dass Melancholie bis hin zur klinischen Depression das entscheidende Merkmal dieses Buches ist.

Dabei sind die Voraussetzungen, um glücklich zu sein, gar nicht mal so schlecht für diese verletzliche Seele im Mittelpunkt der Geschichte. Für jemanden, der über Heidegger promovierte, hat es Warlich zwar nicht so furchtbar weit gebracht, aber immerhin ist er im Gegensatz zu vielen brotlosen Geisteswissenschaftlern in einem Wäscherei-Betrieb bis zum Geschäftsführer aufgestiegen.

Auch im privaten Bereich stehen die Dinge so übel nicht, hat doch Warlich mit seiner Traudel eine liebevolle, lebenstüchtige Gefährtin, die ihrerseits als Filialleiterin einer Sparkasse finanziell ganz gut dasteht. Die beiden führen ein unspektakuläres Leben, dessen Turbulenzen allenfalls darin bestehen, dass Traudel nun langsam Nägel mit Köpfen machen will und sich von ihrem Gerhard die Ehe samt Kind wünscht.

Von dieser Aussicht auf Verbindlichkeit offenbar vollkommen überfordert und bis zur Panik aufgeschreckt, brechen nun bei Warlich alle Dämme. Die geringsten Probleme alarmieren ihn aufs höchste, und wie es bei einem so labilen Menschen kommen muss, setzt nunmehr eine Spirale des Niederganges ein, die den armen Mann schließlich in die psychiatrische Anstalt bringt. Das eigentliche Ende sei hier nicht verraten, aber soviel sei denn doch gesagt: einer Totalkapitulation ist es sehr ähnlich.

Leider hat sich Genazino in diesem Buch von der darin zum Ausdruck gebrachten Tristesse so vollkommen überwältigen lassen, dass auch seine großen Stärken in der allgemeinen Niedergeschlagenheit des Buches untergehen. Zwar gibt es auch hier erneut die messerscharfen Beobachtungen aus dem urbanen Alltag der Einkaufspassagen und Geiz-ist-geil-Konsumenten samt kulturpessimistischen Reflexionen über den Verfall des Individuums. Zwar gelingen auch dem Autor in der Schilderung des regressiven Liebeslebens samt Symbiosewünschen und Schmuse-Exzessen kleine Miniaturen von garstiger Komik - aber insgeheim mäandert das Buch doch reichlich strukturlos vor sich hin.

Die Dramaturgie bleibt auf der Strecke, als wolle der Autor auch erzählerisch die totale Antriebslosigkeit seines Helden abbilden. Damit versinkt das Buch jedoch in der Stimmung unspezifischer Weinerlichkeit, die auch der Hauptfigur eignet. Trauer, an sich ja eine edle Regung, die bei vielen Künstlern zur großen Produktivmacht wurde, verkümmert hier zu hypochondrischen Reizbarkeiten. Das schafft nur vagen, oberflächlichen Missmut, keine tiefe, substantielle Melancholie.

Rezensiert von Tilman Krause

Wilhelm Genazino: Das Glück in glücksfernen Zeiten
Hanser, München 2009
160 Seiten, 17.90 EUR