Alles nur blauer Staub
Nein - "Die Weber”, Gerhart Hauptmann aus der Rückschau von fast 50 Jahren geschriebenes und 1894 uraufgeführtes Drama über den historischen Aufstand der Hand- und Heimwerker aus der schlesischen Textil-Branche gegen Fabrikanten-Willkür und technische Modernisierung im Jahre 1844, mag dem Autor zwar den Ruf des fundamentalen "Naturalisten" im deutschen Theater der beginnenden Moderne eingetragen haben, aber ein echter "Klassiker” war das Stück nie.
Und dazu hat ja gerade die ebenso grobe wie genaue Detail-Zeichnung des äußeren wie des inneren Elends beigetragen, mit der der Dramatiker die Niedrigsten der Erniedrigten dieser Zeit auf die Theaterbühne zwang. Was allerdings mit quasi ebenso zwingender Notwendigkeit dazu führte, dass sich jede Zeit (und mit ihr jeder neue Interpret, jede neue Interpretin!) politisch und ästhetisch positionieren musste gegenüber der schwierigen "ollen Kamelle".
Denn klar ist ja immer, und da mag noch so intelligent der weite Bogen geschlagen werden von der Früh- zur Endzeit des Kapitalismus: So schlimm und finster wie anno 1844 geht's halt heute nicht mehr zu. Wie schlimm und finster aber dann? Das bleibt nach Michael Thalheimers Versuch am Deutschen Theater in Berlin die ungelöste, unbeantwortete Frage.
Der Regisseur, einigermaßen berühmt und von Theaterleitungen geschätzt für die von ihm kreierte und mit ihm bewährte Manier der Verknappung und Verdichtung mehr oder weniger klassischer Stoffe, ignoriert mit einiger Konsequenz die Notwendigkeit, Haltung zu beziehen; Haltung zum Stück selbst und mit dem Stück der Zeit gegenüber. "Die Weber" zeigt Thalheimer als deutschen Klassiker, der sich bestenfalls von selbst erzählt – schon mit dem folkloristisch anmutenden Schlesisch-Deutsch, das hier 100 Minuten lang gebrabbelt wird, kaum verständlich zuweilen und besonders ulkig dann, wenn sich zum Beispiel ein ansonsten immer und unüberhörbar schweizstämmiges Ensemblemitglied diesen fast vergessenen Dialekt erkämpft; das klingt dann extrem fremd, zu Hause irgendwo zwischen Balkan und Fernost.
Aber anders als etwa Frank Castorf vor bald eineinhalb Jahrzehnten ist diese Fremdheit in Ton und Stoff nicht Teil des Themas, sondern sie ist unhinterfragt Teil der Stück-Struktur – da müssen wir eben durch. Und das gut trainierte Ensemble kommt uns kaum jemals erkennbar entgegen; bestenfalls in der großen Verteidigungsrede des Fabrikanten Dreißiger kurz nach Beginn, der sehr eloquent und im handelsüblichen Jammer-Ton zeitgenössischer Klein-Kapitalisten über die Härte der Zeiten und die strukturelle Vernichtungsenergie der globalisierten Märkte schwadroniert. Das ist aber auch der einzige Moment von Hier und Heute, sonst ist die Aufführung durchgängig 1894 zu Hause, zur Zeit der Uraufführung.
Die "Story" selber hat Thalheimers Team in bewährter Weise verknappt; und in Maßen mit ein wenig Abstraktion versetzt. Olaf Altmanns Bühne ist eine in Höhe wie Breite raumfüllende Treppe von ganz oben nach ganz unten, auf der die sozialen Gruppen zunächst demonstrativ den ihnen gesellschaftlich angemessenen Platz einnehmen. Ändert sich das Gefüge von Macht oder Gewalt im Stück, ändern sich auch die Positionierungen. Und auf allen Treppenstufen liegt feiner blauer Staub - wer daran rührt, ist und bleibt gezeichnet: mit dem Asbest der Weber-Zeit. In Eimern kippen die Erniedrigten und Beleidigten diesen Blaustaub über die "leitenden Angestellten" jener Epoche – und sie sind ja auch nicht sympathisch, diese Aufständischen; sie kriechen vor dem Chef und schreien ihr Leid, haben aufrechten Gang nie gelernt und folgen unter anderem einem militärischen Haudrauf als Anführer.
Nein – Helden gibt's bei Hauptmann nicht, nur Opfer. Bei Thalheimer ist aber auch das nur Abstraktion – keine Kugel schwirrt herbei, wenn am Schluss der alte Hilse stirbt: als Kolletaralschaden der Revolte. Dabei war er doch so "realistisch" ausgestattet – mit dem "halbleeren" Hemd des Kriegsopfers, der schon einen Arm für die Heimat gab – und jetzt das Leben im Aufstand, den er gar nicht will.
All das passt in Berlin nicht wirklich zusammen. Dem Vergleich mit den Vorgängern hält Thalheimers Version nie wirklich stand – Castorf hatte ehedem "Die Weber" immerhin zur bitter-antikapitalischen Polemik aufgemöbelt und angeschärft, mit Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin als knarrenbewehrten Aufrührerinnen, dem kleinen Glück der Unterdrückten als Fritte und Bulette von McDonalds und einem Katalog von Daimler-Benz als Programmheft. Volker Lösch mischte in Dresden Hauptmanns alte Attacken mit neuen Schlachtrufen aus den Fantasien und Mündern von örtlichen Hartz-IV-Empfängern, dem legendären "Dresdner Bürgerchor" - und bekam prompt den Hauptmann-Text von der Erbin verboten. In Jena wurde gleich das ganze abgewickelte Volk der Stadt zum aufrührerischen Potenzial – Thalheimer in Berlin lässt "Die Weber" jetzt spielen, als gehe es um "Minna von Barnhelm" oder "Clavigo" oder so; nur halt mit blauem Staub drüber.
Und das ist nicht wirklich genug – diesem Klassiker gegenüber, der keiner ist.
Denn klar ist ja immer, und da mag noch so intelligent der weite Bogen geschlagen werden von der Früh- zur Endzeit des Kapitalismus: So schlimm und finster wie anno 1844 geht's halt heute nicht mehr zu. Wie schlimm und finster aber dann? Das bleibt nach Michael Thalheimers Versuch am Deutschen Theater in Berlin die ungelöste, unbeantwortete Frage.
Der Regisseur, einigermaßen berühmt und von Theaterleitungen geschätzt für die von ihm kreierte und mit ihm bewährte Manier der Verknappung und Verdichtung mehr oder weniger klassischer Stoffe, ignoriert mit einiger Konsequenz die Notwendigkeit, Haltung zu beziehen; Haltung zum Stück selbst und mit dem Stück der Zeit gegenüber. "Die Weber" zeigt Thalheimer als deutschen Klassiker, der sich bestenfalls von selbst erzählt – schon mit dem folkloristisch anmutenden Schlesisch-Deutsch, das hier 100 Minuten lang gebrabbelt wird, kaum verständlich zuweilen und besonders ulkig dann, wenn sich zum Beispiel ein ansonsten immer und unüberhörbar schweizstämmiges Ensemblemitglied diesen fast vergessenen Dialekt erkämpft; das klingt dann extrem fremd, zu Hause irgendwo zwischen Balkan und Fernost.
Aber anders als etwa Frank Castorf vor bald eineinhalb Jahrzehnten ist diese Fremdheit in Ton und Stoff nicht Teil des Themas, sondern sie ist unhinterfragt Teil der Stück-Struktur – da müssen wir eben durch. Und das gut trainierte Ensemble kommt uns kaum jemals erkennbar entgegen; bestenfalls in der großen Verteidigungsrede des Fabrikanten Dreißiger kurz nach Beginn, der sehr eloquent und im handelsüblichen Jammer-Ton zeitgenössischer Klein-Kapitalisten über die Härte der Zeiten und die strukturelle Vernichtungsenergie der globalisierten Märkte schwadroniert. Das ist aber auch der einzige Moment von Hier und Heute, sonst ist die Aufführung durchgängig 1894 zu Hause, zur Zeit der Uraufführung.
Die "Story" selber hat Thalheimers Team in bewährter Weise verknappt; und in Maßen mit ein wenig Abstraktion versetzt. Olaf Altmanns Bühne ist eine in Höhe wie Breite raumfüllende Treppe von ganz oben nach ganz unten, auf der die sozialen Gruppen zunächst demonstrativ den ihnen gesellschaftlich angemessenen Platz einnehmen. Ändert sich das Gefüge von Macht oder Gewalt im Stück, ändern sich auch die Positionierungen. Und auf allen Treppenstufen liegt feiner blauer Staub - wer daran rührt, ist und bleibt gezeichnet: mit dem Asbest der Weber-Zeit. In Eimern kippen die Erniedrigten und Beleidigten diesen Blaustaub über die "leitenden Angestellten" jener Epoche – und sie sind ja auch nicht sympathisch, diese Aufständischen; sie kriechen vor dem Chef und schreien ihr Leid, haben aufrechten Gang nie gelernt und folgen unter anderem einem militärischen Haudrauf als Anführer.
Nein – Helden gibt's bei Hauptmann nicht, nur Opfer. Bei Thalheimer ist aber auch das nur Abstraktion – keine Kugel schwirrt herbei, wenn am Schluss der alte Hilse stirbt: als Kolletaralschaden der Revolte. Dabei war er doch so "realistisch" ausgestattet – mit dem "halbleeren" Hemd des Kriegsopfers, der schon einen Arm für die Heimat gab – und jetzt das Leben im Aufstand, den er gar nicht will.
All das passt in Berlin nicht wirklich zusammen. Dem Vergleich mit den Vorgängern hält Thalheimers Version nie wirklich stand – Castorf hatte ehedem "Die Weber" immerhin zur bitter-antikapitalischen Polemik aufgemöbelt und angeschärft, mit Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin als knarrenbewehrten Aufrührerinnen, dem kleinen Glück der Unterdrückten als Fritte und Bulette von McDonalds und einem Katalog von Daimler-Benz als Programmheft. Volker Lösch mischte in Dresden Hauptmanns alte Attacken mit neuen Schlachtrufen aus den Fantasien und Mündern von örtlichen Hartz-IV-Empfängern, dem legendären "Dresdner Bürgerchor" - und bekam prompt den Hauptmann-Text von der Erbin verboten. In Jena wurde gleich das ganze abgewickelte Volk der Stadt zum aufrührerischen Potenzial – Thalheimer in Berlin lässt "Die Weber" jetzt spielen, als gehe es um "Minna von Barnhelm" oder "Clavigo" oder so; nur halt mit blauem Staub drüber.
Und das ist nicht wirklich genug – diesem Klassiker gegenüber, der keiner ist.