Alles, bloß kein Schlaumeier-Theater

„Backstage“ ist ein Bändchen, das die Essenz eines Gesprächs zwischen dem Schauspieler Ulrich Matthes und dem Dramaturgen Michael Eberth wiedergibt. Darin setzt Matthes ganz auf die Aura des Schauspielers und begründet seine Skepsis gegenüber dem sogenannten Regietheater. Auch in diesem Punkt sind sich die beiden Gesprächspartner leider zu einig.
Zwei alte Freunde sitzen beieinander und unterhalten sich – das ist der sehr private Eindruck, den das kleine Buch hinterlässt, das einige Gespräche des Theater- und Filmschauspielers Ulrich Matthes mit dem Dramaturgen Michael Eberth beinhaltet. Das bringt den Vorzug angenehmer Stimmung und umfassender Gemütlichkeit mit sich, birgt allerdings auch ein paar wenige Risiken und Nebenwirkungen. Davon später.

Seit Jahren gilt Matthes als eine der herausragenden Persönlichkeiten des Theaters im deutschsprachigen Raum. Am Deutschen Theater in Berlin sind ihm in Inszenierungen des Regisseurs Jürgen Gosch einige derart überzeugende Rollen-Darstellungen gelungen, dass die Preise und Auszeichnungen reichlich hereinbrachen in jüngerer Zeit – über Matthes wie über Gosch. Beide sind damit signifikante Protagonisten einer auffälligen Bewegung innerhalb der Szene – denn beide stehen für die Abkehr von den großen interpretatorischen Behauptungen des sogenannten (und auch in diesem Buch wieder fleißig geschmähten) „Regietheaters“, also des Theaters der Regisseure, die den Autoren Konkurrenz machen mit der eigenen Sicht auf Stücke und Themen.

Speziell Ulrich Matthes ist einer, der – ganz konservativ und wie vor hundert Jahren – auf die „Aura“ der Schauspielerin und des Schauspielers setzt, auf die Fähigkeit der darstellenden Kunst, das Darzustellende ganz aus der Persönlichkeit zu formen und sich fernzuhalten von allen zusätzlichen Erklärungen, Belehrungen oder auch nur Horizont-Erweiterungen, auf die viele Regisseurinnen und Regisseure gebaut haben speziell in den vergangenen zwei Jahrzehnten. So friedlich und freundlich der Mensch Matthes daherkommt, so rigoros beschreibt er die Verweigerung gegenüber diesem (wie er gemeinsam mit Eberth meint) Schlaumeier-Theater – da mache er schnell „dicht“, wenn ein Regisseur ihm so komme, und denke: „Ja, danke, ich hab’s schon begriffen.“

Schön wär’s gewesen, wenn der Interviewer Eberth über diesen Komplex (im doppelten Sinne) auch mal ein bisschen gestritten hätte, denn es gibt gute Gründe, gerade darüber zu streiten. Aber diese beiden sind sich vor allem einig.

Immerhin (und zum Glück) ist wenigstens Matthes selbstkritisch genug, um nebenbei auch mal zu befürchten, dass auch er sich mit dieser Haltung eventuell zielstrebig hinentwickeln könnte zum ignorant-bornierten Staatsschauspieler, der immer alles schon vorher weiß – das allerdings steht nicht zu fürchten: Matthes ist nur ein angenehm streitbarer und beredter Wortführer einer Art des Theaterspiels, die von sich behauptet, über Zeiten und Brüche hinweg eine Art ewige Wahrheit des Theaters zu besitzen. Alles andere, so denkt und sagt er, ist wahrscheinlich immer nur Mode. Das kann, das muss aber nicht so sein.

So spricht jemand, der sich das Theater (und der sich selber für das Theater) erkämpft hat. Der Sohn eines leitenden Redakteurs beim Berliner „Tagesspiegel“, dieser Junge aus bestem bürgerlichen Hause, hatte zwar schon Erfahrungen als Theater- und Kino-Kind, das heißt: er trat als Kinder-Statist auf. Irgendwann war den Eltern das zuviel an Ablenkung von der Schule, und der Junge durfte nur noch synchronisieren. Aber studiert hat der junge Matthes dann „auf Lehramt“, als Fremder allerdings im durchpolitisierten Uni-Alltag der späten 70er Jahre.

Erst mittendrin (und einiger ernsthafterer Lieben wegen) gerät er wieder in das magische Kraftfeld der Bühne. Er spricht auf eigene Initiative hin Martin Held vor, einem der Granden am alten Berliner Schiller Theater. Von der privaten Schauspielschule, die der empfiehlt, gelangt er – nach mehreren schmerzhaften Ablehnungen – ins erste Engagement nach Krefeld, und als Hamlet auch an die Kreuzgang-Festspiele in Feuchtwangen. So etwas heißt im Theater „die Ochsentour“ – aber Matthes absolviert sie sehr schnell: von Krefeld geht’s nach Düsseldorf, von dort nach München ans Residenztheater und von da schon an die Schaubühne nach Berlin. Der langen Zeit der kreativen, aber zum Schluss dramatisch scheiternden Zusammenarbeit mit der Regisseurin Andrea Breth sind lange Gesprächspassagen vorbehalten.

Das sind die interessantesten, auch überaus privaten Partien – über das Verhalten zueinander und das Verhältnis untereinander zwischen Schauspielern und Regisseuren, und zwar gerade nicht denen, die als Berserker und „Regietheater“-Monstren gelten. Und in allem, auch und gerade in der Enttäuschung (und Täuschung), erweist sich dieser sensible Darsteller Matthes als Liebender. Er will halt einfach nicht betrogen werden – und sein Ethos auf der Bühne wie vor der Kamera geht davon aus, auch das Publikum nicht zu betrügen.

Insofern ein überaus sympathisches Buch – aber keines, das „bleibt“. Dazu ist der Horizont an Reflexion zu überschaubar, dazu sind sich auch die beiden alten Freunde auch viel zu einig. Vor allem aber ist ihr Gespräch einfach viel zu zeit- und aktualitätsbezogen, die Gespräche fanden halt den vergangenen Winter über statt, und wen werden die „aktuellen“ Gedanken dieser Zeit schon im nächsten Winter noch interessieren? Dies sind Gespräche wie für ein Theater-Magazin, monatlich erscheinend und folglich mit schnellem Verfallsdatum. Wären aber all diese vergänglichen Aktualitäten vom Buch-Lektor gekürzt worden, wäre das eh schon eher schmale Büchlein dann wohl doch zu dünn geraten.

So aber macht Eberths Matthes-Porträt vor allem Lust darauf, sich mit diesem selbstbewussten Theater-Star zu streiten über das, was unser aller Zauber-Raum sein kann und soll: die Bühne.

Rezensiert von Michael Laages

Backstage: Matthes
(Der Schauspieler Ulrich Matthes in Gesprächen mit Michael Eberth)
Verlag Theater der Zeit/ Berlin 2009
120 Seiten, 15 Euro