Alles auf Anfang
Seit 20 Jahren beschäftigt sich die deutsche in Italien lebende Journalistin Petra Reski mit der Mafia. Nicht erst seit dem Massaker in Duisburg 2007 habe die Verbrecherorganisation wieder an Macht gewonnen. Ihr Buch "Mafia: Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern" erscheint in dieser Woche. Am Donnerstag kommt der Film "Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra" ins Kino.
Dieter Kassel: Wie mächtig die italienische Mafia überall noch immer ist, das wurde vielen Menschen in Deutschland im August 2007 klar, als bei einem Massaker in Duisburg sechs Menschen umgebracht wurden. Ein Streit unter Mafiosi. Vielleicht hat auch dieses Ereignis zu dem großen Erfolg des Buches "Gomorra: Reise ins Reich der Camorra" des Italieners Roberto Saviano beigetragen. Denn das Interesse an der Mafia war plötzlich ganz groß. In dieser Woche wird das noch immer vorhandene Interesse gleich doppelt befriedigt: Am Donnerstag kommt der Film nach dem Buch von Saviano in die deutschen Kinos und neu in die Buchhandlungen kam in dieser Woche "Mafia" von Petra Reski, einer seit 17 Jahren in Italien lebenden deutschen Journalistin. Mein Kollege Holger Hettinger hat mit ihr gesprochen und sie als Erstes gefragt, ob sie die Verfilmung des Saviano-Buches eigentlich zufriedengestellt hätte, ob das ihre Erwartungen erfüllt hat auf der Leinwand.
Petra Reski: Doch, doch, auf jeden Fall. Ich fand den Film auch sehr gut. Der hat mir gut gefallen aus dem Grunde, weil er irgendwie im Unterschied zu normalen "Mafiafilmen" in Anführungsstrichen überhaupt nicht pathetisch ist, sondern wirklich die Mafia, also die Camorra in dem Fall, beschreibt und dem Zuschauer überlässt, da seine Schlussfolgerungen rauszuziehen.
Hettinger: Was ich ganz besonders interessant fand an Roberto Savianos Recherchen, ich habe mit ihm gesprochen vor einem Jahr, er sagte mir, dass die Mafia in ihrer Ästhetik, in ihrer Außenwirkung so aussieht wie im "Paten 1, 2, 3", hängt nicht damit zusammen, dass die Filme so akribisch beobachten, sondern dass den Mafialeuten diese Filme so gut gefallen haben und dass sie die so eindrucksvoll fanden, dass sie sich dieser Ästhetik angenähert haben. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?
Reski: Also, in jedem Versteck eines Mafiabosses wird ja immer "Der Pate" auf DVD gefunden. Es ist nun so, es gibt Unterschiede, große sozusagen geschmackliche Unterschiede zwischen Camorristi aus Neapel, die irgendwie einen großen Ehrgeiz immer haben, sich darzustellen nach außen hin. Die Sizilianer und die Kalabresen sind sehr, sehr viel zurückhaltender, auch wie sie sich die Häuser bauen, das ist nicht so wie in Neapel, drängen sich nicht so sehr in den Vordergrund. Sie träumen aber alle davon, auszusehen wie Marlon Brando in "Der Pate" logischerweise.
Hettinger: Sizilien, das ist das Hauptgebiet der Cosa Nostra, Kalabrien, dort ist die Organisation N’drangheta zu Hause. Die ist hier aufgefallen im Zusammenhang mit Duisburg. Sie schreiben im Zusammenhang mit diesem Massaker in Duisburg: "Jenseits des Blutrausches denkt die Mafia immer nur pragmatisch. Die Blutfehde trägt keinesfalls nur archaische Züge, das kriminelle Prestige der Familie, die das Massaker von Duisburg angerichtet hat, ist enorm gestiegen. Darin liegt der ökonomische Gewinn." Wie meinen Sie das?
Reski: Ja, indem sie sich jetzt etwa bei einem Mitglied der Regionalregierung präsentieren, sagen "Wir sind die aus San Luca" und dann die Ausschreibung zu ihren Gunsten ausgeht, also, dass sie sozusagen auch andere Clans dann übertreffen. Also, es ist natürlich so, dass auch in Kalabrien, die kalabrische Mafia ist ja vertikal und nicht horizontal organisiert, das heißt also, es besteht schon ein kleiner gewisser Konkurrenzdruck zwischen den einzelnen Clans. Und so gesehen haben die irgendwie einen großen Geschäftsvorteil daraus gezogen jetzt.
Hettinger: In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass selbst höchste italienische Regierungskreise Beziehungen zur Mafia pflegen. Das Verhältnis von Silvio Berlusconi zur Mafia beispielsweise ist auf 2500 Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Palermo dokumentiert. Auch das stellen Sie ganz, ganz ausführlich dar und Sie berichten von einem Deal zwischen Berlusconi und der Mafia. Die wollte Berlusconis Sohn entführen und als Vergütung dafür, dass die Mafia das nicht tut, darf ein Mafioso in Berlusconis Villa einziehen. Wenn das in den Ermittlungsakten steht, kann es ja so geheim nicht sein. Warum wird das hingenommen in Italien?
Reski: Ja, also, die Frage stelle ich mir irgendwie seitdem ich in Italien bin, ehrlich gesagt. Bei diesem sogenannten Stallmeister Vittorio Mangano, da hatte ich dann auch noch die Gelegenheit, irgendwie seine Frau und seine Töchter kennenzulernen, sehr, sehr angenehme und sympathische Damen, wie man irgendwie annehmen kann. Und diese ganze Sache ist natürlich absolut bekannt. Das sind ja keine Geheimnisse, die ich jetzt aufdecke oder sogar nicht mal die Staatsanwaltschaft aufgedeckt hat. Es ist nie ein Hehl daraus gemacht worden aus den Verwicklungen von Berlusconi und der Mafia. Die Italiener, sagen wir mal, wenn sie sich das schönreden wollen, können sie das, indem sie dann sagen, ja, alle Unternehmer müssen einen Deal mit der Mafia machen, ohne sie kommen sie nicht weiter, ohne das kommen sie nicht weiter. Das ist das, womit sich Italiener im Zweifel dann trösten können. Aber man darf nicht vergessen, dass Marcello Dell'Utri - und dieser Prozess ist fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorangegangen in Italien - zu neun Jahren Haft verurteilt wurde in erster Instanz wegen Unterstützung der Mafia und ihm wurde lebenslang verboten, irgendwie ein öffentliches Amt auszuüben. Und nur scheiterte sozusagen die Verwirklichung dieser Strafe daran, dass es dieses Drei-Instanzen-Recht gibt in Italien. Das heißt, bevor das nicht in letzter Instanz, von der dritten Instanz, abgesegnet wurde, passiert gar nichts, es hat auch keinen Einfluss auf ihn, auf sein tägliches Leben. Er ist Europaparlamentarier und kann irgendwie weiter dann auch darüber bestimmen, wo beispielsweise die EU-Gelder hinlaufen. Also, das ist schon etwas sehr Bedenkliches.
Hettinger: Sie sagen, Sie haben mit der Familie von diesem Mafioso Vittorio Mangano gesprochen, der quasi so der Stallmeister, um die reingewaschene Terminologie hier zu gebrauchen, von Berlusconi arbeitet. Wie muss ich mir das vorstellen? Ruft man die einfach an, sagt: "Hallo, ich bin Petra Reski aus Deutschland, ich mache was über die Mafia?"
Reski: Nein, nein, man muss dann schon empfohlen werden von den richtigen Leuten. In diesem Fall war das die Anwältin, die mich empfohlen hat, und das hat die natürlich auch nicht ganz uneigennützig getan, sondern aus dem Grunde, weil die Damen, die Töchter und die Frau, die hatten ein Interesse, nämlich ihren Vater, der irgendwie damals schon wohl etwas kränkelte, aus der Haft früher entlassen wird und unter Hausarrest leben darf. Und deswegen mussten sie, wollten sie gerne so viele Botschaften wie möglich an die Öffentlichkeit geben, dass sie sozusagen, treusorgende Frau und die liebenden Töchter darunter leiden, dass sie jetzt nun von dem Vater getrennt sind.
Hettinger: Stellen sich diese Mafia-Leute dann quasi auch als Opfer dar?
Reski: Absolut. Das war sogar extrem, also ziemlich geschmacklos auch mir als Deutscher gegenüber, weil sich die Tochter, die mittlere Tochter, die ich als sehr, sehr intelligent, um das jetzt mal höflich auszudrücken, bezeichnen würde, die hat dann gesagt: "Wir sind die Juden der heutigen Zeit, wir werden verfolgt wie die Juden!"
Hettinger: Harter Tobak.
Reski: Also, das fand ich schon ziemlich hart, ja.
Hettinger: Wo ich ganz, ganz enorm überrascht war, das war die Rolle der katholischen Kirche, die Sie in Ihrem Buch "Mafia" beschreiben. Die Katholische Kirche, schreiben Sie unter Berufung auf einen sizilianischen Padre namens Fasullo, ist zum ethischen Bezugspunkt der Mafia geworden. Warum?
Reski: Die Mafia ist ja genau wie die katholische Kirche und wie die Kommunistische Partei, also ein nach Absolutheit strebendes System, Machtsystem. Es geht hier im Grunde nur um die Macht. Wenn man nach Macht strebt, braucht man natürlich irgendwie eine Rechtfertigung dafür. Die katholische Kirche verspricht dann dafür das Paradies und die Kommunistische Partei hat irgendwie dann den Sieg des Proletariats versprochen. Und die Mafia hat genau so dieses, auch ein ideologisches Vakuum gehabt und sich deswegen irgendwie der katholischen Kirche angeeignet.
Hettinger: Nur bringt die katholische Kirche nicht unbedingt irgendwelche Leute vor Duisburger Pizzerien um.
Reski: Ja, aber das ist der Unterschied. Also, das empfindet ein Mafioso keineswegs als Sünde, sondern die Interpretation ist, die Zehn Gebote werden ja auch von der Mafia angewendet, also, es ist ein großer Bestandteil, die ganze Ideologie der Mafia kreist ja darum. Also, du sollst Vater und Mutter ehren, solche Sachen. Und was das Töten betrifft, ist das überhaupt kein Problem für einen Mafioso. Das ist seine Arbeit, er betrachtet sich als Soldat. Das heißt, er tötet nicht aus persönlichen Gründen, sondern er macht das für sein Volk, für seinen Staat und das Urteil der anderen ist ihm völlig egal. Das Einzige, was er beichten würde, er hat ja überhaupt keine moralischen Bedenken, das Einzige, was er beichten würde, wenn er jemanden ermordet hat, dass er seiner Frau nicht gesagt hat, wo er zu dem Zeitpunkt war.
Hettinger: Das heißt, Mafiosi gehen wirklich zur Beichte?
Reski: Natürlich gehen die zur Beichte, selbstverständlich. Also, jetzt nicht mehr so häufig wie die Frauen, weil man insgesamt, Gottesdienst und Beichten wird natürlich schon als Frauensache angesehen, aber wenn das irgendwie so nicht unumgänglich ist, beichtet man natürlich, selbstverständlich. Also, man beichtet kleine Vergehen und die Interpretation empfindet das ja nicht so, er hat irgendwie jemanden umgebracht, so wie ein Bauarbeiter ein Baugerüst aufstellt.
Hettinger: "Die Camorra gehört seit 200 Jahren zu Neapels Lebenswirklichkeit", schreiben Sie, und da schwingt so ein bisschen mit, das wird noch eine gute Weile so bleiben. Wirklich?
Reski: Ich kann nur beurteilen jetzt, also, es sind 20 Jahre, dass ich über die Mafia schreibe. Ich habe irgendwie das erste Mal 1989 angefangen und da war ein großer Moment der Hoffnung, auch weil sich insgesamt, die Mauer fiel, ... (Anm. d. Redaktion: Name schwer verständlich im Hörprotokoll) war Bürgermeister, es bewegte sich sehr viel. Ich kann jetzt nur sagen, es ist alles wieder auf dem Punkt von vor 20 Jahren. Die Zukunftsaussichten der Mafia sind grandios, weil sie sehr viele Politiker hat an den entscheidenden Stellen und zwar nicht nur in Italien, sondern auch im Europäischen Parlament und man darf nicht vergessen, dass also sehr viele Gelder unserer Steuergelder auch in Deutschland und Frankreich und so weiter direkt in die Taschen der Mafia gehen. Also, es geht ihr besser denn je.
Hettinger: Jetzt sind wir schon bei der Rubrik: wo bleibt das Positive. Sehen Sie überhaupt irgendeinen Ansatz, wie dieses Gespenst Mafia in irgendeiner Weise auszurotten ist?
Reski: Na ja, indem schon eine gewisse Sensibilität dafür geschaffen wird. Es stört die Mafia sehr und sie versuchen jetzt alles Mögliche dagegen zu machen, von Medienaktionen und so weiter, dieses Bild, was jetzt in Duisburg entstanden ist, irgendwie wieder zu zerstören. Sie möchte einfach wieder in Deutschland in der Unsichtbarkeit versinken. Denn das Problem ist, wenn sich Europa wirklich dieses Problems bewusst wird, dann hat die Mafia ein Problem. Und das ist das, was sie absolut verhindern will. Sie weiß, in Italien, die Italiener inzwischen, die haben sich damit arrangiert, können wirklich nicht tatsächlich was erreichen. Also versuchen sie jetzt vor allen Dingen, Europa in den Griff zu kriegen und da müssen die Europäer einfach ein bisschen wachsamer sein.
Moderator: Petra Reski, die Autorin des Buches "Mafia: Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern", das gerade im Verlag Droemer/Knaur erschienen ist. Holger Hettinger hat mit der Journalistin gesprochen.
Petra Reski: Doch, doch, auf jeden Fall. Ich fand den Film auch sehr gut. Der hat mir gut gefallen aus dem Grunde, weil er irgendwie im Unterschied zu normalen "Mafiafilmen" in Anführungsstrichen überhaupt nicht pathetisch ist, sondern wirklich die Mafia, also die Camorra in dem Fall, beschreibt und dem Zuschauer überlässt, da seine Schlussfolgerungen rauszuziehen.
Hettinger: Was ich ganz besonders interessant fand an Roberto Savianos Recherchen, ich habe mit ihm gesprochen vor einem Jahr, er sagte mir, dass die Mafia in ihrer Ästhetik, in ihrer Außenwirkung so aussieht wie im "Paten 1, 2, 3", hängt nicht damit zusammen, dass die Filme so akribisch beobachten, sondern dass den Mafialeuten diese Filme so gut gefallen haben und dass sie die so eindrucksvoll fanden, dass sie sich dieser Ästhetik angenähert haben. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?
Reski: Also, in jedem Versteck eines Mafiabosses wird ja immer "Der Pate" auf DVD gefunden. Es ist nun so, es gibt Unterschiede, große sozusagen geschmackliche Unterschiede zwischen Camorristi aus Neapel, die irgendwie einen großen Ehrgeiz immer haben, sich darzustellen nach außen hin. Die Sizilianer und die Kalabresen sind sehr, sehr viel zurückhaltender, auch wie sie sich die Häuser bauen, das ist nicht so wie in Neapel, drängen sich nicht so sehr in den Vordergrund. Sie träumen aber alle davon, auszusehen wie Marlon Brando in "Der Pate" logischerweise.
Hettinger: Sizilien, das ist das Hauptgebiet der Cosa Nostra, Kalabrien, dort ist die Organisation N’drangheta zu Hause. Die ist hier aufgefallen im Zusammenhang mit Duisburg. Sie schreiben im Zusammenhang mit diesem Massaker in Duisburg: "Jenseits des Blutrausches denkt die Mafia immer nur pragmatisch. Die Blutfehde trägt keinesfalls nur archaische Züge, das kriminelle Prestige der Familie, die das Massaker von Duisburg angerichtet hat, ist enorm gestiegen. Darin liegt der ökonomische Gewinn." Wie meinen Sie das?
Reski: Ja, indem sie sich jetzt etwa bei einem Mitglied der Regionalregierung präsentieren, sagen "Wir sind die aus San Luca" und dann die Ausschreibung zu ihren Gunsten ausgeht, also, dass sie sozusagen auch andere Clans dann übertreffen. Also, es ist natürlich so, dass auch in Kalabrien, die kalabrische Mafia ist ja vertikal und nicht horizontal organisiert, das heißt also, es besteht schon ein kleiner gewisser Konkurrenzdruck zwischen den einzelnen Clans. Und so gesehen haben die irgendwie einen großen Geschäftsvorteil daraus gezogen jetzt.
Hettinger: In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass selbst höchste italienische Regierungskreise Beziehungen zur Mafia pflegen. Das Verhältnis von Silvio Berlusconi zur Mafia beispielsweise ist auf 2500 Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Palermo dokumentiert. Auch das stellen Sie ganz, ganz ausführlich dar und Sie berichten von einem Deal zwischen Berlusconi und der Mafia. Die wollte Berlusconis Sohn entführen und als Vergütung dafür, dass die Mafia das nicht tut, darf ein Mafioso in Berlusconis Villa einziehen. Wenn das in den Ermittlungsakten steht, kann es ja so geheim nicht sein. Warum wird das hingenommen in Italien?
Reski: Ja, also, die Frage stelle ich mir irgendwie seitdem ich in Italien bin, ehrlich gesagt. Bei diesem sogenannten Stallmeister Vittorio Mangano, da hatte ich dann auch noch die Gelegenheit, irgendwie seine Frau und seine Töchter kennenzulernen, sehr, sehr angenehme und sympathische Damen, wie man irgendwie annehmen kann. Und diese ganze Sache ist natürlich absolut bekannt. Das sind ja keine Geheimnisse, die ich jetzt aufdecke oder sogar nicht mal die Staatsanwaltschaft aufgedeckt hat. Es ist nie ein Hehl daraus gemacht worden aus den Verwicklungen von Berlusconi und der Mafia. Die Italiener, sagen wir mal, wenn sie sich das schönreden wollen, können sie das, indem sie dann sagen, ja, alle Unternehmer müssen einen Deal mit der Mafia machen, ohne sie kommen sie nicht weiter, ohne das kommen sie nicht weiter. Das ist das, womit sich Italiener im Zweifel dann trösten können. Aber man darf nicht vergessen, dass Marcello Dell'Utri - und dieser Prozess ist fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorangegangen in Italien - zu neun Jahren Haft verurteilt wurde in erster Instanz wegen Unterstützung der Mafia und ihm wurde lebenslang verboten, irgendwie ein öffentliches Amt auszuüben. Und nur scheiterte sozusagen die Verwirklichung dieser Strafe daran, dass es dieses Drei-Instanzen-Recht gibt in Italien. Das heißt, bevor das nicht in letzter Instanz, von der dritten Instanz, abgesegnet wurde, passiert gar nichts, es hat auch keinen Einfluss auf ihn, auf sein tägliches Leben. Er ist Europaparlamentarier und kann irgendwie weiter dann auch darüber bestimmen, wo beispielsweise die EU-Gelder hinlaufen. Also, das ist schon etwas sehr Bedenkliches.
Hettinger: Sie sagen, Sie haben mit der Familie von diesem Mafioso Vittorio Mangano gesprochen, der quasi so der Stallmeister, um die reingewaschene Terminologie hier zu gebrauchen, von Berlusconi arbeitet. Wie muss ich mir das vorstellen? Ruft man die einfach an, sagt: "Hallo, ich bin Petra Reski aus Deutschland, ich mache was über die Mafia?"
Reski: Nein, nein, man muss dann schon empfohlen werden von den richtigen Leuten. In diesem Fall war das die Anwältin, die mich empfohlen hat, und das hat die natürlich auch nicht ganz uneigennützig getan, sondern aus dem Grunde, weil die Damen, die Töchter und die Frau, die hatten ein Interesse, nämlich ihren Vater, der irgendwie damals schon wohl etwas kränkelte, aus der Haft früher entlassen wird und unter Hausarrest leben darf. Und deswegen mussten sie, wollten sie gerne so viele Botschaften wie möglich an die Öffentlichkeit geben, dass sie sozusagen, treusorgende Frau und die liebenden Töchter darunter leiden, dass sie jetzt nun von dem Vater getrennt sind.
Hettinger: Stellen sich diese Mafia-Leute dann quasi auch als Opfer dar?
Reski: Absolut. Das war sogar extrem, also ziemlich geschmacklos auch mir als Deutscher gegenüber, weil sich die Tochter, die mittlere Tochter, die ich als sehr, sehr intelligent, um das jetzt mal höflich auszudrücken, bezeichnen würde, die hat dann gesagt: "Wir sind die Juden der heutigen Zeit, wir werden verfolgt wie die Juden!"
Hettinger: Harter Tobak.
Reski: Also, das fand ich schon ziemlich hart, ja.
Hettinger: Wo ich ganz, ganz enorm überrascht war, das war die Rolle der katholischen Kirche, die Sie in Ihrem Buch "Mafia" beschreiben. Die Katholische Kirche, schreiben Sie unter Berufung auf einen sizilianischen Padre namens Fasullo, ist zum ethischen Bezugspunkt der Mafia geworden. Warum?
Reski: Die Mafia ist ja genau wie die katholische Kirche und wie die Kommunistische Partei, also ein nach Absolutheit strebendes System, Machtsystem. Es geht hier im Grunde nur um die Macht. Wenn man nach Macht strebt, braucht man natürlich irgendwie eine Rechtfertigung dafür. Die katholische Kirche verspricht dann dafür das Paradies und die Kommunistische Partei hat irgendwie dann den Sieg des Proletariats versprochen. Und die Mafia hat genau so dieses, auch ein ideologisches Vakuum gehabt und sich deswegen irgendwie der katholischen Kirche angeeignet.
Hettinger: Nur bringt die katholische Kirche nicht unbedingt irgendwelche Leute vor Duisburger Pizzerien um.
Reski: Ja, aber das ist der Unterschied. Also, das empfindet ein Mafioso keineswegs als Sünde, sondern die Interpretation ist, die Zehn Gebote werden ja auch von der Mafia angewendet, also, es ist ein großer Bestandteil, die ganze Ideologie der Mafia kreist ja darum. Also, du sollst Vater und Mutter ehren, solche Sachen. Und was das Töten betrifft, ist das überhaupt kein Problem für einen Mafioso. Das ist seine Arbeit, er betrachtet sich als Soldat. Das heißt, er tötet nicht aus persönlichen Gründen, sondern er macht das für sein Volk, für seinen Staat und das Urteil der anderen ist ihm völlig egal. Das Einzige, was er beichten würde, er hat ja überhaupt keine moralischen Bedenken, das Einzige, was er beichten würde, wenn er jemanden ermordet hat, dass er seiner Frau nicht gesagt hat, wo er zu dem Zeitpunkt war.
Hettinger: Das heißt, Mafiosi gehen wirklich zur Beichte?
Reski: Natürlich gehen die zur Beichte, selbstverständlich. Also, jetzt nicht mehr so häufig wie die Frauen, weil man insgesamt, Gottesdienst und Beichten wird natürlich schon als Frauensache angesehen, aber wenn das irgendwie so nicht unumgänglich ist, beichtet man natürlich, selbstverständlich. Also, man beichtet kleine Vergehen und die Interpretation empfindet das ja nicht so, er hat irgendwie jemanden umgebracht, so wie ein Bauarbeiter ein Baugerüst aufstellt.
Hettinger: "Die Camorra gehört seit 200 Jahren zu Neapels Lebenswirklichkeit", schreiben Sie, und da schwingt so ein bisschen mit, das wird noch eine gute Weile so bleiben. Wirklich?
Reski: Ich kann nur beurteilen jetzt, also, es sind 20 Jahre, dass ich über die Mafia schreibe. Ich habe irgendwie das erste Mal 1989 angefangen und da war ein großer Moment der Hoffnung, auch weil sich insgesamt, die Mauer fiel, ... (Anm. d. Redaktion: Name schwer verständlich im Hörprotokoll) war Bürgermeister, es bewegte sich sehr viel. Ich kann jetzt nur sagen, es ist alles wieder auf dem Punkt von vor 20 Jahren. Die Zukunftsaussichten der Mafia sind grandios, weil sie sehr viele Politiker hat an den entscheidenden Stellen und zwar nicht nur in Italien, sondern auch im Europäischen Parlament und man darf nicht vergessen, dass also sehr viele Gelder unserer Steuergelder auch in Deutschland und Frankreich und so weiter direkt in die Taschen der Mafia gehen. Also, es geht ihr besser denn je.
Hettinger: Jetzt sind wir schon bei der Rubrik: wo bleibt das Positive. Sehen Sie überhaupt irgendeinen Ansatz, wie dieses Gespenst Mafia in irgendeiner Weise auszurotten ist?
Reski: Na ja, indem schon eine gewisse Sensibilität dafür geschaffen wird. Es stört die Mafia sehr und sie versuchen jetzt alles Mögliche dagegen zu machen, von Medienaktionen und so weiter, dieses Bild, was jetzt in Duisburg entstanden ist, irgendwie wieder zu zerstören. Sie möchte einfach wieder in Deutschland in der Unsichtbarkeit versinken. Denn das Problem ist, wenn sich Europa wirklich dieses Problems bewusst wird, dann hat die Mafia ein Problem. Und das ist das, was sie absolut verhindern will. Sie weiß, in Italien, die Italiener inzwischen, die haben sich damit arrangiert, können wirklich nicht tatsächlich was erreichen. Also versuchen sie jetzt vor allen Dingen, Europa in den Griff zu kriegen und da müssen die Europäer einfach ein bisschen wachsamer sein.
Moderator: Petra Reski, die Autorin des Buches "Mafia: Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern", das gerade im Verlag Droemer/Knaur erschienen ist. Holger Hettinger hat mit der Journalistin gesprochen.