Alles anders als geplant

16.08.2013
Der russische Bauer Pawel Dobrynin ist Volkskontrolleur auf Lebenszeit und soll die chaotischen Zustände im Sowjetreich beseitigen - was ihm nicht gelingt. Andrej Kurkow beschreibt das störanfällige System der Planwirtschaft auf ebenso ironische wie fantastische Weise.
Im Jahr 1920 steht der russische Bauer Pawel Dobrynin vor einer großen Aufgabe: Auf einer Kolchosversammlung ist er zum Volkskontrolleur auf Lebenszeit ernannt worden. Eigentlich will niemand den eigensinnigen Besserwisser um sich haben, und so wird er möglichst weit weg geschickt – nach Sibirien, zur Überprüfung der Pelzverarbeitung. Doch die Dinge laufen nicht so wie geplant, Pawel bleibt bei einer Expedition hängen, die in der Einöde vergessen wurde.

Im zweiten Teil seiner Trilogie schickt Kurkow seinen "wahrhaftigen Volkskontrolleur" Pawel weiter auf Missionen durch den absurden Alltag im Sowjetreich, und versteht es, die Spirale noch ein Stück weiter zu drehen.

Pawel Dobrynin bleibt nicht in Sibirien. Die Sibirische Eisenbahn wurde ausgebaut, sodass Pawel zurück in die Zivilisation fahren kann. Doch inzwischen tobt der Zweite Weltkrieg, der in Sibirien noch gar nicht bemerkt worden war. Pawel kontrolliert nun die Betreuung der Truppen und trifft auf Mark Iwanow, der einen Papagei namens Kusma besitzt, der Gedichte vortragen kann.

Es ist vor allem die sowjetische Mentalität, für die Kurkow sich interessiert. Auf so ironische wie fantastische Weise schildert er das System der Planwirtschaft, wo kaum etwas nach Plan verläuft. So stellt zum Beispiel ein Engel fest, dass bislang noch kein Sowjetbürger ins Paradies eingelassen wurde. Also lässt er mal eben eine ganze Schar hinein. Ein Schuldirektor, dessen Aufgabe ja ist, junge Menschen zu verlässlichen Sowjetbürgern zu erziehen, erfährt, dass die Mutter eines seiner Schützlinge gar nicht mehr träumen kann. Also freundet er sich mit ihr an und verliebt sich in sie – Planerfüllung hin oder her.

Andrej Kurkow wurde in Leningrad geboren, wuchs jedoch in Kiew auf. Er fühlt sich als ukrainischer Staatsbürger mit russischen Wurzeln, hat allerdings als Mitglied des dortigen PEN-Clubs eine Zweitwohnung in London. Auf Lesereisen durch Deutschland fühlt er sich immer von Don-Kosaken-Chören verfolgt. Doch dem russischen Geist käme man nur näher, indem man das immerwährende russische Chaos zu ergründen versuche. Das tut er, und hat zu diesem Zweck den Volkskontrolleur Pawel Dobrynin geschaffen.

Der verkörpert die russische Seele selbst; das Chaos kann er gar nicht abschaffen, denn das Leben funkt sowieso dazwischen, und alles wird immer verwickelter. Der Papagei verplappert sich, und der Schuldirektor glaubt, dass Lenin noch am Leben sei und möchte mit dem Führer der Revolution persönlich reden. Ein Volkskontrolleur ist da wahrlich nicht zu beneiden. Kurkows Roman aber schöpft genau daraus seine Qualität: Chaos ist zu jeder Zeit vorhanden im Sowjetreich, und es macht vor niemandem Halt: vor dem Volkskontrolleur so wenig wie vor dem Schuldirektor. Und vor einem plappernden Papagei auch nicht. Selbst Fabelwesen setzt es zu: Der Engel verliebt sich ausgerechnet in eine Atheistin.

Wie es weitergeht, soll erst der letzte Teil von Kurkows Trilogie verraten. Der führt die Geschichte bis ins Jahr 1974 fort, in die kälteste Phase des Kalten Krieges.

Besprochen von Roland Krüger

Andrej Kurkow: Der unbeugsame Papagei
Deutsch von Sabine Grebing
Haymon Verlag, Innsbruck 2013
432 Seiten, 22,90 Euro
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