Alles andere als Wohlfühl-Kunst
Der Maler Adam Tellmeister lebt seit 23 Jahren ohne Pass, Konto oder Krankenversicherung in Berlin. Seine ungewöhnlichen Bilder und provokanten Performances gewähren einen kritischen Blick hinter die Fassade der heimatlichen Alpen-Idylle.
"Ich mach den ersten Schnitt! – Klemme! – Öffnen Sie mal! – Kommt! – Vorsicht, vorsicht, vorsicht! Zu weit, zu weit!"
Mit Mundschutz und Skalpell macht sich der Künstler Adam Tellmeister ans Werk, lässt sich von einer Krankenschwester assistieren. Doch auf dem Operationstisch liegt kein Patient – sondern ein Schweizer Pass mit biometrischem Chip. Es ist Adam Tellmeisters neuer Pass. Nach 23 Jahren hat er wieder einen. Jetzt wird er den Chip rausreißen und zerstören:
"Wir haben ihn!" (Jubel und Klatschen) "Weil es mit diesem Chip um Geld geht, schlussendlich, um Konsumkraft, nehme ich den jetzt hier rein in eine Fünf-Euro-Schein-Note. Schwester, ein bisschen Spiritus bitte. So, rüber damit!"
Warum macht das jemand, der jahrzehntelang in der Illegalität gelebt hat? Kein Pass bedeutet: kein Bankkonto, keine Krankenversicherung – und das mit 47 Jahren:
"Also, ich hab mich gewehrt gegen eine Form von sagen wir mal neuem Leistungsrassismus, den ich in den Tendenzen der Biometrik entdecke. Weil da geht es um Berechenbarkeit von jeder einzelnen Figur."
Und Adam Tellmeister will lieber unberechenbar bleiben, seine Daten nicht in einem Großrechner abgespeichert wissen. Seiner Protest-Biografie fügt er damit ein weiteres Kapitel hinzu. Angefangen hat die 1986 als die Schweiz ihn zum Militärdienst auffordert. Der junge Mann lehnt aus Gewissensgründen ab. Weil es damals noch keinen Zivildienst gab, flüchtet er ins Ausland. Entsprechend die Reaktion der Eltern:
"Man hat mich aufgefordert, den bürgerlichen Namen nicht mehr zu gebrauchen, als ich den ersten Asylantrag abgegeben und dementsprechend für einen Medienrummel gesorgt habe. Das musste man damals zunächst einmal verdauen, dass man aus einer Familie kommt, die notfalls halt nicht zu einem hält, sondern eher noch sich dafür schämt."
Tellmeister ist daher nur ein Künstlername. Über Umwege landet er 1989 in West-Deutschland. Die Grenzbeamten lachen sich tot, als der Schweizer naiv um Asyl bittet. In Ostberlin findet er schließlich Unterschlupf, besetzt ein Atelier in Prenzlauer Berg. Dort sitzt er nun in seinem schwarzen T-Shirt. Er trägt braun gelockte, lange Haare. Sein Blick schweift über die vielen Ölstift-Zeichnungen. Sie spielen auf die Schweiz an: die Urmutter Helvetia, die Alpen – doch seiner Heimat bleibt der Künstler bewusst fern:
"Der Stellenwert von Kunst in der Schweiz ist nicht wie in Deutschland. Die öffentliche Akzeptanz ist eine ganz andere, auch wenn internationale Kunst in Zürich oder woanders in der Schweiz gehandelt wird. Die Bevölkerung hält es dennoch nicht so für wichtig, dass es Kunst geben muss."
Er weiß das, weil er weiter Kontakt zu Freunden in der Heimat hält. Vom Exil aus kritisiert er die mangelnde Weltoffenheit, fehlende Förderung von Künstlern und Harmoniesucht. Die machte sich auch in der Aktion "Heimatpakete" bemerkbar. Schweizer Künstler sollten ihm ihre Sicht auf die Gesellschaft schildern. Doch statt kritischer Kunst kamen per Post Schlüsselanhänger mit Schweizer Kreuz oder Schokolade-Bildchen. Enttäuscht sagte Tellmeister die geplante Ausstellung im Kunstmuseum Luzern ab. Und damit auch seine Rückkehr, für die er wieder einen Pass bekommen hatte, weil das Strafverfahren mittlerweile verjährt ist.
"Da war offenbar die Angst zu groß, dass es da zu einer Ausstellung kommen könnte, die ein bisschen kritisch gesehen werden könnte. Mich hätte natürlich auch das Thema Rechtsradikalität in der Schweiz interessiert. Und das wollte ich eigentlich alles in Erfahrung bringen. Und ich wage es einfach nicht, nach 23 Jahren ein Wohlfühlkünstler zu sein in der Schweiz."
Stattdessen will er eine Kunst, die sich in die Politik einmischt. Das zieht auch Galerien und Museen an. Er versteht seine Botschaften medientauglich zu inszenieren: zerreißt Reclam-Hefte über Wilhelm Tell, verteilt Flugblätter oder fügt die Namen von erschossenen Deserteuren an Kriegsgefangenen-Denkmälern hinzu. Für solche Guerilla-Aktionen saß er bereits einige Tage im Gefängnis.
Doch Tellmeister hat noch eine andere, eine ruhige Seite – die befindet sich ein Stockwerk tiefer.
"Das ist Parterre."
In dem abgedunkelten Raum malt er dreidimensionale Bilder. Sie bestehen aus speziellen Farbmischungen, leuchten im Dunklen bei Weißlicht. Wer eine 3D-Brille aufsetzt, sieht das Gemalte dreidimensional: die Alpen, Zielscheiben, Figuren mit Äpfeln auf dem Kopf, die auf den Apfelschuss von Wilhelm Tell anspielen – dem Schweizer Nationalhelden. Jahrelang hat er an der Maltechnik gefeilt. Jetzt hegt er große Träume:
"Ich träume persönlich davon, natürlich ein Kirchen-Fresko zu machen, was man in die Wechselwirkung schicken kann. Da stell ich mir Toccata und Fuge von Bach vor und dann kommt dieses Riesen-Hologramm zum Vorschein und der Himmel geht auf und die Weiten sind zu sehen. Wenn ich das erleben dürfte, das wär ein wunderbares Ziel für mich. Mehr bräuchte ich gar nicht."
Mit dem Freiheitskämpfer Wilhelm Tell hat der Provokateur schon ein Ziel für die nächste spektakuläre Kunstaktion im Herbst:
"Ja, ich will da natürlich jetzt nicht viel verraten, aber der Kunstbegriff oder die Freiheit der Kunst wird sicherlich strapaziert."
Eines verrät er am Ende doch noch: Es soll dem Denkmal von Wilhelm Tell im Kanton Uri an den Kragen gehen. Und damit wird endgültig klar: Die Schweiz hat Tellmeister zwar einst verlassen – losgelassen hat sie ihn aber nie. Er wird wieder zurückkehren. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Service:
Anlässlich des Schweizer Nationalfeiertags zeigt die Berliner Galerie "Wernicke und Hasshoff" noch bis zum 13. August unter dem Titel ausgewählte Zeichnungen von Adam Tellmeister.
Mit Mundschutz und Skalpell macht sich der Künstler Adam Tellmeister ans Werk, lässt sich von einer Krankenschwester assistieren. Doch auf dem Operationstisch liegt kein Patient – sondern ein Schweizer Pass mit biometrischem Chip. Es ist Adam Tellmeisters neuer Pass. Nach 23 Jahren hat er wieder einen. Jetzt wird er den Chip rausreißen und zerstören:
"Wir haben ihn!" (Jubel und Klatschen) "Weil es mit diesem Chip um Geld geht, schlussendlich, um Konsumkraft, nehme ich den jetzt hier rein in eine Fünf-Euro-Schein-Note. Schwester, ein bisschen Spiritus bitte. So, rüber damit!"
Warum macht das jemand, der jahrzehntelang in der Illegalität gelebt hat? Kein Pass bedeutet: kein Bankkonto, keine Krankenversicherung – und das mit 47 Jahren:
"Also, ich hab mich gewehrt gegen eine Form von sagen wir mal neuem Leistungsrassismus, den ich in den Tendenzen der Biometrik entdecke. Weil da geht es um Berechenbarkeit von jeder einzelnen Figur."
Und Adam Tellmeister will lieber unberechenbar bleiben, seine Daten nicht in einem Großrechner abgespeichert wissen. Seiner Protest-Biografie fügt er damit ein weiteres Kapitel hinzu. Angefangen hat die 1986 als die Schweiz ihn zum Militärdienst auffordert. Der junge Mann lehnt aus Gewissensgründen ab. Weil es damals noch keinen Zivildienst gab, flüchtet er ins Ausland. Entsprechend die Reaktion der Eltern:
"Man hat mich aufgefordert, den bürgerlichen Namen nicht mehr zu gebrauchen, als ich den ersten Asylantrag abgegeben und dementsprechend für einen Medienrummel gesorgt habe. Das musste man damals zunächst einmal verdauen, dass man aus einer Familie kommt, die notfalls halt nicht zu einem hält, sondern eher noch sich dafür schämt."
Tellmeister ist daher nur ein Künstlername. Über Umwege landet er 1989 in West-Deutschland. Die Grenzbeamten lachen sich tot, als der Schweizer naiv um Asyl bittet. In Ostberlin findet er schließlich Unterschlupf, besetzt ein Atelier in Prenzlauer Berg. Dort sitzt er nun in seinem schwarzen T-Shirt. Er trägt braun gelockte, lange Haare. Sein Blick schweift über die vielen Ölstift-Zeichnungen. Sie spielen auf die Schweiz an: die Urmutter Helvetia, die Alpen – doch seiner Heimat bleibt der Künstler bewusst fern:
"Der Stellenwert von Kunst in der Schweiz ist nicht wie in Deutschland. Die öffentliche Akzeptanz ist eine ganz andere, auch wenn internationale Kunst in Zürich oder woanders in der Schweiz gehandelt wird. Die Bevölkerung hält es dennoch nicht so für wichtig, dass es Kunst geben muss."
Er weiß das, weil er weiter Kontakt zu Freunden in der Heimat hält. Vom Exil aus kritisiert er die mangelnde Weltoffenheit, fehlende Förderung von Künstlern und Harmoniesucht. Die machte sich auch in der Aktion "Heimatpakete" bemerkbar. Schweizer Künstler sollten ihm ihre Sicht auf die Gesellschaft schildern. Doch statt kritischer Kunst kamen per Post Schlüsselanhänger mit Schweizer Kreuz oder Schokolade-Bildchen. Enttäuscht sagte Tellmeister die geplante Ausstellung im Kunstmuseum Luzern ab. Und damit auch seine Rückkehr, für die er wieder einen Pass bekommen hatte, weil das Strafverfahren mittlerweile verjährt ist.
"Da war offenbar die Angst zu groß, dass es da zu einer Ausstellung kommen könnte, die ein bisschen kritisch gesehen werden könnte. Mich hätte natürlich auch das Thema Rechtsradikalität in der Schweiz interessiert. Und das wollte ich eigentlich alles in Erfahrung bringen. Und ich wage es einfach nicht, nach 23 Jahren ein Wohlfühlkünstler zu sein in der Schweiz."
Stattdessen will er eine Kunst, die sich in die Politik einmischt. Das zieht auch Galerien und Museen an. Er versteht seine Botschaften medientauglich zu inszenieren: zerreißt Reclam-Hefte über Wilhelm Tell, verteilt Flugblätter oder fügt die Namen von erschossenen Deserteuren an Kriegsgefangenen-Denkmälern hinzu. Für solche Guerilla-Aktionen saß er bereits einige Tage im Gefängnis.
Doch Tellmeister hat noch eine andere, eine ruhige Seite – die befindet sich ein Stockwerk tiefer.
"Das ist Parterre."
In dem abgedunkelten Raum malt er dreidimensionale Bilder. Sie bestehen aus speziellen Farbmischungen, leuchten im Dunklen bei Weißlicht. Wer eine 3D-Brille aufsetzt, sieht das Gemalte dreidimensional: die Alpen, Zielscheiben, Figuren mit Äpfeln auf dem Kopf, die auf den Apfelschuss von Wilhelm Tell anspielen – dem Schweizer Nationalhelden. Jahrelang hat er an der Maltechnik gefeilt. Jetzt hegt er große Träume:
"Ich träume persönlich davon, natürlich ein Kirchen-Fresko zu machen, was man in die Wechselwirkung schicken kann. Da stell ich mir Toccata und Fuge von Bach vor und dann kommt dieses Riesen-Hologramm zum Vorschein und der Himmel geht auf und die Weiten sind zu sehen. Wenn ich das erleben dürfte, das wär ein wunderbares Ziel für mich. Mehr bräuchte ich gar nicht."
Mit dem Freiheitskämpfer Wilhelm Tell hat der Provokateur schon ein Ziel für die nächste spektakuläre Kunstaktion im Herbst:
"Ja, ich will da natürlich jetzt nicht viel verraten, aber der Kunstbegriff oder die Freiheit der Kunst wird sicherlich strapaziert."
Eines verrät er am Ende doch noch: Es soll dem Denkmal von Wilhelm Tell im Kanton Uri an den Kragen gehen. Und damit wird endgültig klar: Die Schweiz hat Tellmeister zwar einst verlassen – losgelassen hat sie ihn aber nie. Er wird wieder zurückkehren. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Service:
Anlässlich des Schweizer Nationalfeiertags zeigt die Berliner Galerie "Wernicke und Hasshoff" noch bis zum 13. August unter dem Titel ausgewählte Zeichnungen von Adam Tellmeister.