Alles andere als museal

Von Carsten Probst |
Öffentliche Museen, die heute geplant und gebaut werden, sollen möglichst wenig museal wirken. Stattdessen werden die Gebäude immer mehr wie große Kunstwerke gestaltet. Eine Ausstellung im Pergamonmuseum Berlin zeigt anhand bedeutender internationaler Museumsbauten der Gegenwart, wie sich die Rolle von Museen im 21. Jahrhundert verändert.
"Abnorme Architekturen" nennt das New Yorker Büro Diller Scofidio + Renfro seine Produkte, und sie verstehen sie durchaus als aggressive Kritik an der Grundidee des öffentlichen Museums. Während einer dreimonatigen Ausstellung ihres bisherigen Werkes im ehrwürdigen New Yorker Whitney Museum ließen die Architekten digital gesteuerte Roboter auf Schienen durch die Säle fahren und zentimetergroße Löcher in die reinen, weißen Galeriewände bohren.

Damit waren sie in jedem Fall auf der richtigen Seite, denn nichts wünschen sich Städte und Kommunen weltweit inzwischen mehr, als dass ihr neues Museum möglichst wenig museal wirkt. Die neuen Museen sollen eher großen begehbaren Skulpturen ähneln, Frank Gehry hat es mit der Guggenheim Bilbao vorgemacht.

Peter-Klaus Schuster: "Im Grunde ist das, was die Museen ja so auszeichnet und was auch irgendwie das Thema der Ausstellung ist, was Museen tun mit den Städten, der sogenannte Bilbao-Effekt. Das ist natürlich genau der Berlin-Effekt. Berlin mit seinen Staatlichen Museen konturiert sich neu."

Das meint Peter-Klaus Schuster, der scheidende Generaldirektor der Staatlichen Museen, aber diese Konturierung fällt doch von Stadt zu Stadt, von Land zu Land einigermaßen unterschiedlich aus. Diller Scofidio + Renfro haben 2001 den Wettbewerb für das Eyebeam Museum of Art and Technology in New York gewonnen, das zwar aus Kostengründen bislang nicht realisiert wurde.

Der Entwurf macht aber klar, worauf es ankommt, wenn man in New York ein neues Museum baut. Er sieht aus wie ein gefaltetes Band, das sich über die Nachbarbauten in die Höhe schwingt, in den Schlaufen sind die Museumsräume untergebracht, die kaum noch über klassisch gerade Wände verfügen. Alles biegt und wiegt sich.

So ein Entwurf wäre für das Akropolis Museum in Athen völlig undenkbar, Bernhard Tschumi hat ihm ein klassisch modernes, edel-sparsames Äußeres verpasst, das die Assoziationen der Säulenhallen auf dem Athener Tempelberg aufnimmt. Und man erinnert sich, auch in Berlin war Anfang der neunziger Jahre ein Frank Gehry mit einem Entwurf für die Museumsinsel beauftragt worden und scheiterte mit seinen bunten, durcheinander gewürfelten Kuben und Kugeln gegen David Chipperfield, den eleganten Moderator des Klassizismus an die Gegenwart. Insofern hat Ausstellungskuratorin Rebekka Rudin recht, wenn sie sagt:

Rudin: "Zwei Tendenzen scheinen sehr stark zu sein, das bemerkt man natürlich, wenn man herumreist und sich Museen anschaut. Viele der neuen Bauten sind in einem ziemlich expressiven Stil gebaut, andere sind doch eher minimalistisch, und gewisse finden da so eine goldene Mitte, als es gibt sehr viele verschiedene, spannende Tendenzen hier, das Museum hat eine neue Rolle im 21. Jahrhundert. Es ist nicht nur bloß ein Behälter mehr für Kunst, sondern auch selbst ein Kunstwerk, und das eröffnet natürlich die Diskussion, wie stark nun die Architektur herausstehen soll oder eben nicht."

Berlin ist die sechste Station dieser Ausstellung, zehn weitere werden weltweit folgen. Sie ist, wohlgemerkt, keine wissenschaftlich kritische Bestandsaufnahme einer neuen Ikonographie von Museumsbauten, sondern eher eine Selbstdarstellung der beteiligten Häuser in eigener Sache, insgesamt sind es 28.

Trotz unterschiedlicher Funktionen und sehr unterschiedlicher Entwürfe scheint es unter den beteiligten Museen einen neuen globalen Konsens zu geben darüber, dass Museumsbauten das Selbstverständnis ihrer Gesellschaften repräsentieren und irgendwie zeitgemäß gestaltet müssen. Museen inszenieren Subjektivität. Moritz Wullen, der Direktor der Berliner Kunstbibliothek, fasst dieses Bildprogramm für das beginnende 21. Jahrhundert zusammen:

Wullen: "Ich denke, dass diese Architekturvisionen auch der Reflex auf ein Wahrnehmungs-, Bewegungs- und Sozialverhalten des Menschen sind, das sich in den letzten Jahrzehnten in nie da gewesenem Ausmaß verflüssigt hat. Vor einem Jahrhundert wäre diese Vieldimensionalität des Agierens der Individuen ganz unvorstellbar gewesen. Wir sind alle zu Akteuren in Netzwerken geworden, also selbst außerhalb des Internets agieren wir in einem Internet, und die Architektur des 21. Jahrhunderts vollzieht diese Verflüssigung sozialer Texturen nach."

Der Erhabenheitsgestus der einstigen Musentempel wird in eine neue Strategie überführt, durch die der Besucher die Tendenzen seiner Zeit als unerhört und faszinierend erleben soll und zugleich die Einladung erhält, daran teilzunehmen.

Die in Berlin zu sehende Ausstellung suggeriert freilich, die Museen seien die treibende Kraft eines sozialen Vernetzungs-Fortschritts, den sie abbilden wollen, allein schon durch ihr Design. Tatsächlich sind sie aber nur dessen mehr oder weniger schrille Illustration, die genuine Erfahrung sogar immer mehr nur noch zu simulieren trachtet. So gesehen ist es auch kein Wunder, dass sich einige altehrwürdige Häuser nicht mehr mit ihren angestammten Plätzen begnügen, sondern sich neue Möglichkeiten globaler Vermarktung suchen.

Die Erkenntnis, dass der klassische White Cube nicht mehr als Ausstellungsraum funktioniert, gibt es schon ein wenig länger. Es hat einige Jahrzehnte gebraucht, bis sie sich bei den Museen durchsetzen konnte. In dem Maß jedoch, in dem sie dabei zur Event-Architektur umfunktioniert wird, verliert sie allerdings spürbar ihren intellektuellen Charme.

Service: Die Ausstellung "Museen im 21. Jahrhundert" ist vom 13.03. bis zum 25.05.2008 im Pergamonmuseum auf der Berliner Museumsinsel zu sehen.