Allergologe rechnet nicht mit Pollenexplosion

Karl-Christian Bergmann im Gespräch mit Christopher Ricke · 05.04.2013
Mit einer Pollenflut am Ende des langen Winters rechnet der Allergologe Karl-Christian Bergmann nicht. Trotzdem müssten sich Heuschnupfen-Betroffene Sorgen machen: Denn es brauche keine großen Mengen an Pollen, um die klassischen Symptome oder ein Asthma zu bekommen.
Christopher Ricke: Von meiner Großmutter, einer gelernten und sehr überzeugten Optimistin, habe ich gelernt, dass nicht so schlecht ist, dass man nichts Gutes darin finden könnte. Also freue ich mich auch über den Dauerwinter, weil der Heuschnupfen noch nicht eingesetzt hat. Die Gräserblüte lässt noch auf sich warten.

Nach wie vor ist der Pollenflug gering, die Frühblüher sind zugegebenermaßen am Start, aber auch noch nicht so richtig losgelaufen. Als gelernter Pessimist habe ich allerdings die Sorge: Wenn dann mal der Frühling kommt, dann knallt’s, dann wird’s richtig heftig. Ich spreche jetzt mit Professor Karl-Christian Bergmann vom Allergiezentrum der Berliner Universitätsklinik. Guten Morgen!

Karl-Christian Bergmann: Guten Morgen!

Ricke: Ist denn, wenn ich die Polleninformation so richtig lese, etwas Erle, etwas Haselnuss, ist es die Zeit, wo man sich noch keine Sorgen machen muss?

Bergmann: Nein, das stimmt nicht. Zum einen muss ich sagen, dass es schon einen ganzen Teil Leidensgenossen gibt, die auch unter dem relativ mäßigen Erlenpollen-Flug leiden. Es ist nicht so, dass man große Mengen an Pollen braucht, um die klassischen Heuschnupfen-Symptome oder ein Pollen-Asthma zu haben.

Aber das, worauf Sie anspielen, ist, dass die Freisetzung von Birkenpollen verzögert ist, und Sie spielen wahrscheinlich darauf an, dass möglicherweise sehr viele Birkenpollen auf einmal dann freigesetzt werden könnten, wenn die Sonne richtig scheint und es warm geworden ist.

Ricke: Das ist ja die Befürchtung, dass das dicke Ende erst noch kommt. Womit rechnen Sie denn?

Bergmann: Ich rechne eigentlich nicht mit dieser Explosion, von der manchmal in den Medien geschrieben wird. Es werden relativ viele Birkenpollen sein, aber doch nicht an allen Stellen auf einmal. Die Bäume stehen ja doch in unterschiedlichen, ich sage mal, Klimaecken, sodass die einen Bäume schon wärmer sind, die anderen sind noch kälter.

Es wird sich doch über einige Tage hinziehen und nicht etwa in ganz Deutschland an einem Tag. Wir wissen ja auch noch nicht, wie das Wetter in 14 Tagen ist. Richtig ist, dass die Birkenpollen verzögert auftreten werden und dann doch relativ heftig.

Ricke: Ich habe als medizinischer Laie den Eindruck, dass es immer mehr wird, dass es immer mehr Allergiker gibt, immer mehr Allergene, immer längere Zeiträume, in denen man reagiert. Dafür gibt es jetzt zwei Erklärungsansätze: Entweder ist das wirklich so, oder wir merken es nur, weil das Thema im Raum ist und wir genauer hinschauen. Was sagt denn da der Fachmann?

Bergmann: Der Fachmann sagt, dass das teilweise richtig ist, was Sie sagen. Die Menge an Baumpollen, also Hasel, Erle und Birke, das ist ja eine Gruppe - und wer unter Birkenpollen leidet, leidet dann ja auch unter Hasel und Erle -, diese Pollen nehmen zu.

Aber die von Ihnen selbst angeführte Gräserpollen-Allergie, die haben Glück, denn die Gräserpollen nehmen in der Menge in Deutschland kontinuierlich seit etwa 15 Jahren ab. Die Kräuterpollen, also Beifuß-Ambrosia, die nehmen etwas zu und fliegen auch länger. Also Gräserpollen-Allergiker haben doch die Hoffnung, dass es mit den kommenden Jahren auch noch weiter weniger wird.

Ricke: Ich kenne Menschen, die sind auf dem Bauernhof oder zu DDR-Zeiten in Leipzig groß geworden, und die sagen, wir haben als Kinder so viel Dreck abbekommen, uns schreckt kein Allergen. Züchten wir in unserer immer saubereren Umgebung eine ganze Allergiker-Generation heran?

Bergmann: Es ist korrekt, wenn Sie darauf ansprechen, dass der Kontakt mit Bakterien zwischen der Geburt und den ersten zwei, drei Lebensjahren wichtig ist für die Entwicklung von Allergien. Je weniger Kontakt mit Eiweißen von Bakterien, lebenden oder auch toten, je weniger Allergien treten auf etwa bis zum achten Lebensjahr. Das, was Sie sagen mit Kindern in der DDR, hatte damit aber auch zu tun, dass sie viel mehr in Kinderkrippen und Gärten zusammen waren und dadurch mehr Infekte übertragen haben von einem zum anderen und deshalb wahrscheinlich weniger Allergien bei denen aufgetreten sind.

Ricke: Es gibt ja, wenn man dann letztlich Allergiepatient ist, ein ganzes Arsenal in der Apotheke. Das reicht von der Hyposensibilisierung - ich gebe zu: die gibt’s beim Arzt, nicht in der Apotheke - bis zu einer ganzen Palette von Antihistaminika-Präparaten. Was kann man denn als Allergiker guten Gewissens nehmen?

Bergmann: Es hängt ein bisschen davon ab. Wenn ich nur relativ wenige Beschwerden habe, dann kann ich mir in der Apotheke und muss dann auch selber diese Antihistaminika als Tablette kaufen, oder als Spray für die Nase, Tropfen für die Augen. Als Tablette ist das dann am einfachsten. Wenn die Symptome dadurch nicht wirklich unter Kontrolle sind, dann kann ich zu Cortison für die Nase und die Augen greifen, das wirkt dann etwas stärker. Dann als letztes sollte ich aber unbedingt über diese Hyposensibilisierung oder einfacher Immuntherapie mit meinem Arzt sprechen, denn das ist die einzige Therapie, die über den Verlauf der Erkrankung wirklich Einfluss nimmt, also zum Beispiel Asthma verhindert.

Ricke: Professor Karl-Christian Bergmann vom Allergiezentrum der Berliner Universitätsklinik – vielen Dank!

Bergmann: Gerne!

Ricke: Und einen guten Tag.
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