Allein gegen Hollywood

Moderation: Holger Hettinger · 06.10.2005
Während aus Hollywood immer spektakulärere Animationsfilme kommen, setzt der Regisseur Thilo Graf Rothkirch im zweiten Teil seines Films "Der kleine Eisbär" auf eine zurückhaltende Darstellung und ist damit erfolgreich. Sein Ziel, so Rothkirch, sei es, dass Kinder in der Geschichte schwelgen könnten und nicht mit Effekten bombardiert würden.
Hettinger: In den Kinos sorgt derzeit der zweite Teil des "kleinen Eisbärs" für Rekordbesucherzahlen. Hier im Studio von Deutschlandradio Kultur ist Thilo Graf Rothkirch, der Regisseur und Produzent dieses Kinohits. Graf Rothkirch, der Macher des Königs der Löwen hat da gerade eben in dem Beitrag gesagt, dass die Computeranimation a la Hollywood erst der Anfang sei. Man erinnert sich an solche spektakulären Sachen wie "Findet Nemo", wo es wirklich ein Feuerwerk der Möglichkeiten, der Animationsmöglichkeiten gibt, Materialschlachten. "Der kleine Eisbär" kommt ganz anders daher, fast schon kammermusikalisch. Was ist denn der spezielle Charme dieser zurückhaltenden Darstellungsweise?

Rothkirch: Ich denke, wir gehen mit dem "kleinen Eisbären" tiefer, und zwar wir gehen an die Seele, und wir gehen nicht an das Auge des Menschen, und wenn man tiefer geht, geht man sensibler an die Geschichten ran, und dann spielt plötzlich die Verpackung nicht mehr diese große Rolle.

Hettinger: Nun gibt es aber ja auch Sehgewohnheiten, der Gewöhnungs-, der Abstumpfungseffekt. Je mehr es knallt, raucht und blitzt, desto abgestumpfter wird man ja für diese Zwischentöne. Wie erreicht man das trotzdem, dass man bei seinem Publikum noch etwas bewirkt, noch etwas auslöst?

Rothkirch: Unser Publikum sind ja die Kinoeinsteiger, das heißt die Kinder von drei Jahre ab. Wenn man diese Kinder ernst nimmt, dann geht man auf die Sehgewohnheiten der kleinen Kinder ein, das heißt, man erzählt ein bisschen langsamer. Die Kinder können in den Bildern schwelgen, das heißt, sie werden nicht überfrachtet mit irgendwelchen Effekten und anderen spektakulären Sachen, sondern sie können den Inhalt verfolgen, sie können sich freuen und können, sagen wir mal, vom Gefühl her etwas mitbekommen und werden nicht bombardiert.

Hettinger: Also ein Hinsehfilm im wahrsten Sinn des Wortes. Nun hat "Der kleine Eisbär" ja eine große Tradition. Seine ersten Schritte in der Kälte hat er ja vor 15 Jahren gemacht in der Sendung mit der Maus. Wie machen Sie das, dass sich solch eine Figur entwickelt, dass sie fortlebt, dass sie neue Facetten, neue Aspekte gewinnt?

Rothkirch: Na ja, wir haben ja die Serie damals auch produziert, das heißt, wir kennen den Eisbären genau. Das Interessante an der Figur ist ja nicht nur das Design, sondern mittlerweile erfassen wir diesen Charakter und wir haben ganz einfach Interesse an der Entwicklung dieser Figur Lars. Das heißt, er ist für uns wie ein Schauspieler oder wie eine real existierende Figur.

Hettinger: Haben Sie denn eine bestimmte pädagogische Mission?

Rothkirch: Es ist nichts, was auf den Film draufgepfropft wird, aber eins ist ganz klar: Wir erzählen grundsätzlich nicht Geschichten, die spielen Gut gegen Böse. Das würde nämlich bedeuten, dass irgendwann der Böse verliert und bestraft wird. Wir bilden die Spannung auf andere Arten und Weisen.

Hettinger: Welche zum Beispiel?

Rothkirch: Zum Beispiel in unserem Film jetzt geht es ja darum, dass zwei Forscher einen Riesenfisch entdeckt haben und diesen für Forschungszwecke für sich persönlich, für ihren Ruhm finden wollen und quasi fehlgeleitet sind.

Hettinger: Ein Thema, das ein bisschen vorscheint, ist zum Beispiel ein Konflikt zwischen zwei Gruppen, die sich voneinander unterscheiden, die weißen Eisbären und die schwarzen Robben. Ist es zu sehr um die Ecke gedacht, wenn man sagt, dass da auch gesellschaftlich Konflikte, meinetwegen Rassenkonflikte thematisiert werden?

Rothkirch: Es ist ja nicht nur dieser Konflikt Robben-Eisbären, es ist auch der Nord-Süd-Konflikt, das heißt, wir wandern vom Nordpol zu den Galapagos, und Lars lernt neue Tiere kennen. Es zeigt sich bei allen diesen Geschichten, dass, so wie man auf den anderen zugeht, so wird man auch behandelt, und das ist letztlich das Geheimnis des menschlichen Zusammenlebens.

Hettinger: Graf Rothkirch, lassen Sie uns ein wenig reden über die Produktionsbedingungen und die Produktionsumstände. Die Turnschuhfabrikanten machen es vor: Man lässt billig zeichnen in China, in Korea. Sie machen das nicht. Warum?

Rothkirch: Ja, vielleicht deswegen, weil wir die Arbeit zu sehr lieben, und Lieben heißt auch, dass man alles sehen möchte, was produziert wird, alles kontrollieren möchte und allem einen bestimmten Charakter geben.

Hettinger: Das können Sie ja im Zeitalter des Internet auch über Online-Wege. Ist der Teamgedanke, der Spirit da auch wichtig bei so einer Produktion?

Rothkirch: Der Teamgedanke ist ein ganz wichtiger. Mittlerweile haben wir ja die besten Zeichentrickfilmer aus ganz Europa. Die sind nur bei uns, weil sie sehen, dass wir mit einer gewissen Vision an diese Projekte rangehen.

Hettinger: Sehen Sie es mir nach, Graf Rothkirch, wenn ich schon wieder mit Amerika anfange, aber "Der kleine Eisbär" ist auch exportiert worden nach Amerika, in dieses animationsverwöhnte Land. Welche Erfahrungen hat der Eisbär denn dort gemacht auf dem Markt?


Rothkirch: Wir haben ja einen Koproduzenten Warner Bros, und Warner Bros möchte natürlich auch international mit dem kleinen Eisbären Erfolg haben. Sie gehen einen Weg, den wir hier in Deutschland gegangen sind, nämlich der Markt wird vorbereitet durch die TV-Serie, und erst dann gibt es den Einsatz des Kinofilmes, und die Amerikaner sehen, dass hier eine Sprache gesprochen wird, die auch die kleinen Kinder in Amerika verstehen, und so gesehen, haben wir einen kleinen, aber feinen Erfolg auch in Amerika.

Hettinger: Sie selbst haben ihre Gehversuche unter anderem in England gemacht. Was machen die Engländer anders?

Rothkirch: Die Engländer hatten mal einen Trickfilm, der besonders gut gewesen ist, das war "Yellow Submarine". Nur: Komischerweise sind die Leute, die an "Yellow Submarine" gearbeitet haben, sind nicht weitergegangen, mehr Kinofilm zu machen, sondern die sind alle in die Werbung gegangen, wegen des Geldes, und komischerweise dort hat sich eine Kinofilmproduktion nie mehr entwickelt. Die haben allerdings immer für amerikanische Produktionen gearbeitet.

Hettinger: Eben in dem Beitrag wurde ein wenig der deutsche Anteil an der Trickfilmtradition dargestellt. Welche speziellen Traditionselemente leben denn im kleinen Eisbären bei Ihnen fort?

Rothkirch: Ich meine, wir nutzen auch das, was Disney entwickelt hat. Wir konstruieren unsere Figuren. Deswegen sind auch hundert Leute in der Lage, diese Figuren identisch zu zeichnen. Letztlich so viel hat sich seltsamerweise seit Jahrzehnten nicht verändert, bis auf die Digitaltechnik und die Programme, die es gibt, um einem technisch zu helfen.