"Alle Universitäten mussten sich Standards geben"

Hans-Heinrich Trute im Gespräch mit Klaus Pokatzky |
Man dürfe die Begutachtung der Doktorarbeit nicht mit der "möglichen Verletzung von Persönlichkeitsrechten von Frau Schavan" vermischen, fordert Hans-Heinrich Trute, ehemaliger Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Übergreifende Standards für Doktorarbeiten gäbe es auch schon seit Jahren.
Klaus Pokatzky: Viele aus der Wissenschaftsszene sind Anette Schavan beigesprungen, als sie zurückgetreten ist als Bundesbildungsministerin wegen des Plagiatsverfahrens der Universität Düsseldorf gegen Schavans alte Doktorarbeit. "Wir müssen vermeiden, dass Doktoranden allein für ein Qualitätsdefizit einstehen müssen, das auch die Hochschulen verantworten", das hat jetzt im Interview mit dem "Spiegel" Jan-Hendrik Olbertz gesagt, der Präsident der Berliner Humboldt-Universität. Und: "Die Universitäten müssen jetzt handeln und übergreifende Standards etablieren – auch zur Überprüfung von Fehlverhalten."

- Am Telefon begrüße ich nun den Hamburger Rechtsprofessor Heinrich Trute, den ehemaligen Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft für Fragen wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Guten Tag, Herr Trute!

Hans-Heinrich Trute: Guten Tag, Herr Pokatzky!

Pokatzky: Herr Trute, welche neuen Standards brauchen die deutschen Universitäten denn nun?

Trute: Ja, das ist eine spannende Frage, die da gestellt wird, dazu müsste man vielleicht zuerst einmal die vorhandenen Standards durchmustern.

Pokatzky: Machen wir!

Trute: Ich bin etwas erstaunt über dieses Interview insofern, als natürlich Standards wissenschaftlichen Fehlverhaltens nun wahrlich nicht neu sind, auch nicht übergreifende Standards, sondern die gibt es unter tätiger Vorbildfunktion der Deutschen Forschungsgemeinschaft ja schon seit 1998. Also so gesehen ist ja dieses wir müssen endlich neue Standards haben für mich nicht so ganz erklärlich.

Pokatzky: Sind die für alle Universitäten gleichermaßen gültig?

Trute: Alle Universitäten mussten sich Standards geben. Die DFG hat dafür einen Rahmen vorgegeben. Und insoweit, glaube ich, ist da der Innovationsbedarf verhältnismäßig gering, das schon.

Pokatzky: Aber Sie sagen, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die DFG, hat einen Rahmen vorgegeben, das heißt, innerhalb des Rahmens kann es dann auch kleine Abweichungen geben?

Trute: Das kann auch kleine Abweichungen geben, aber wenn wir hier über Plagiate reden wie über den Fall Schavan, dann muss man natürlich dazu sagen, dass die Frage, was zitiert und wie zitiert werden muss, nun wahrlich nichts Neues im Wissenschaftssystem ist. Das wird niemand ernsthaft behaupten können.

Pokatzky: Und das hat sich auch nicht geändert in den letzten Jahrzehnten, was ja jetzt immer wieder zur Entlastung von Frau Schavan angeführt wurde?

Trute: Nein, das hat sich, also jedenfalls in den Grundlinien hat sich das mit Sicherheit nicht geändert, das ist Gemeingut, denke ich, der Wissenschaft – nicht nur in Deutschland, sondern auch durchaus weltweit. Jedenfalls überall dort, wo die Wissenschaft auch bestimmten Standards verpflichtet ist. Das glaube ich so nicht. Und darum geht es, glaube ich, da dann auch letztlich nicht. Wenn man sich das Interview ein bisschen genauer ansieht, sieht man ja, dass plötzlich eigentlich auf ganz andere Fragen gewechselt wird. Von diesen Standards, die im Falle Schavan vielleicht eine Rolle gespielt haben, zu der Frage, wie ist die Betreuung etwa der Doktoranden, muss es nicht mehr Betreuungskollegs geben, also Doktorandenkollegs, muss nicht verbindlich Betreuungsstandards festgelegt werden.

Pokatzky: Also quasi mehr Fürsorglichkeit durch die Universitäten?

Trute: Genau! Und das ist sicherlich im Ausgangspunkt auch völlig richtig, nur muss man auch da sagen, neu ist das wirklich nicht. Denn es gibt eine ganze Reihe von Universitäten, die diese Standards durchaus schon haben. Also ich bin an einer Universität, bei der jedenfalls seit 2010 Betreuungsvereinbarungen geschlossen werden, in denen verbindlich bestimmte Betreuungsstandards festgelegt werden. Also ein Betreuungsteam auch existiert. Also von daher gesehen hätte Herr Olbertz das sicherlich auch schon an der HU durchführen können.

Pokatzky: Und wie erklären Sie sich dann, dass er in diesem Interview sagt, wir brauchen diese Standards?

Trute: Ja, also vielleicht erklärt sich das, wenn man auch seine Presseerklärung zum Rücktritt von Frau Schavan mit hinzunimmt, wo er ja auf den Fall bezogen im Grunde ganz andere – wie er sagt – fachwissenschaftliche und textanalytische Bewertungen in so einem Verfahren fordert. Textvergleiche zu anderen wissenschaftlichen Abhandlungen aus der fraglichen Zeit seien notwendig gewesen. Das wäre sicherlich notwendig gewesen, wenn man tatsächlich die Qualität der Arbeit hätte bewerten wollen, aber darum ging es ja im Fall Schavan gar nicht.

Pokatzky: Aber das eine ist ja jetzt, wie erwerbe ich einen Doktorgrad, und das andere ist, wenn jetzt gegen mich ermittelt wird, habe ich diesen Doktorgrad mit 100 Prozent sauberen Mitteln erworben – dieses Verfahren. Und der Präsident der Humboldt-Universität, Jan-Hendrik Olbertz, fordert, dass Dritte herangezogen werden sollen, also so Halbneutrale bei der wissenschaftlichen Bewertung. Wie sinnvoll ist das denn?

Trute: Ja, also man kann immer noch weitere hinzuziehen, aber das kommt ja so einem gewissen Generalverdacht gegen die Fakultäten und diejenigen Instanzen, die dann letztlich handeln müssen, gleich, das ist nicht besonders sinnvoll.

Pokatzky: Aber jetzt Einspruch, euer Ehren.

Trute: Ja, gerne!

Pokatzky: Herr Trute, die Universität Düsseldorf hat sich ja nun zwischendurch auch, jedenfalls nach meiner Wahrnehmung, extrem blamiert, indem Einzelheiten aus diesem Verfahren irgendwann im "Spiegel" auch gelandet sind. Und da können Sie nicht so ein bisschen verstehen, dass so der Nichtakademiker, wenn ich mich jetzt mal outen darf, dann da auch misstrauisch wird gegenüber all diesen Akademikern, die dann ja offenbar hier wirklich auch gegen ihre eigenen ethischen Standards verstoßen?

Trute: Dass die Veröffentlichung dieses Gutachtens etwa, oder besser gesagt, das Durchsickern dieses Gutachtens extrem unglücklich ist, darüber muss man nicht diskutieren. Das sehe ich nicht anders.

Pokatzky: Ist es nur extrem unglücklich oder ist es nicht einfach auch geschmacklos und eine Unverschämtheit gegenüber Frau Schavan.

Trute: Ja, vielleicht wird man auch das sagen können, auch dagegen hätte ich nichts. Nur, man muss zwei Dinge trennen: Einmal die mögliche Verletzung von Persönlichkeitsrechten von Frau Schavan, das ist das eine. Und das andere ist die Frage, ist das Gutachten trotzdem richtig oder nicht. Und hier wird sozusagen in der öffentlichen Diskussion schnell das eine mit dem anderen verschliffen. Das würde mir nicht gefallen, ich selber finde es auch nicht besonders sinnvoll und witzig, dass dieses Gutachten an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Das ist auch nicht zu entschuldigen, nur ist es auch schwer zu verhindern.

Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur der Hamburger Rechtsprofessor Heinrich Trute zur Frage: Brauchen wir neue Regeln gegen akademisches Fehlverhalten? Jetzt haben Sie gesagt, so was ist nicht zu verhindern, dass so was nach außen dringt. Hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft, wo Sie ja sechs Jahre lang der Ombudsmann waren für Fragen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, sich mal Gedanken darüber gemacht, ob ja im Zweifelsfalle dann auch gegen Hochschulen, wo ja offenbar so was falsch gelaufen ist, wo es ein Leck in der Information gegeben hat, ob dagegen auch vorgegangen werden kann?

Trute: Nein, das wird man nicht tun vonseiten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, das ist dann natürlich eine Frage, die letztlich das Verhältnis desjenigen, dessen Rechte verletzt werden, und der jeweiligen Einrichtung betreffen, also Frau Schavan, die dann möglicherweise da vorgehen könnte. Und da ist es auch sinnvoll untergebracht. Natürlich, ich habe selber verschiedenen Kommissionen vorgesessen, das ist nicht immer einfach, wenn es viele Beteiligte sind, die Hand ins Feuer zu legen für alle Beteiligten, nicht? Und wer aus welchen Gründen wann was tut, ist schwer zu kontrollieren.

Pokatzky: Jan-Hendrik Olbertz, der ja von uns jetzt mehrfach Genannte und der auch jetzt der aktuelle Anlass für unser Gespräch, Präsident der Berliner Humboldt-Universität, hat auch gefordert, dass bei Grenzfällen – und Frau Schavan sieht er ja im Zweifelsfall als einen solchen – doch abgestufte Konsequenzen, Sanktionen, in Anführungsstrichen "Strafen" erfolgen könnten. Also statt gleich der ganzen Aberkennung des Titels lieber eine Rüge oder das Prädikat – die Doktortitel sind ja nach verschiedenen Klassenstufen gehalten – was halten Sie davon? Damit auch unterschieden wird zwischen dem berühmten Freiherrn von und zu Guttenberg und jetzt Frau Schavan?

Trute: Ja, das kann man unter Umständen auch schon im jetzigen Recht in der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Frage der Titelentziehung, indem man sagt: Das war eben halt nicht legatis, aber rechtfertigt derzeit noch nicht so eine Entziehung. Es kann sein ...

Pokatzky: Rechtfertigt der das bei Frau Schavan?

Trute: Das kann ich nicht von hier aus beurteilen, anders als viele Funktionäre des Wissenschaftssystems kenne ich die Entscheidung der Universität Düsseldorf nicht. Soweit ich weiß, gibt es sie auch noch nicht als begründete, sodass ich mich da ehrlich gesagt außerstande sehe. Ich kann nur das im Grunde sozusagen von der Internetseite aus betrachten und sagen, was da auf SchavanPlag etwa veröffentlicht ist. Und mehr kann ich da nicht zu tun. Und das würde bedeuten, ich würde dem Urteil der Uni Düsseldorf vorgreifen – das würde ich an sich sehr ungern tun und verstehe auch gar nicht, warum das in diesem Fall so klar sein soll. Da kann man erst mal in aller Seelenruhe abwarten, wie die Begründung denn lauten wird. Und da muss man sagen, nach dem jedenfalls, was in der Presseerklärung der Uni erklärt worden ist, würde ich mindestens mal so sagen, dass die Standards, die die Rechtsprechung etabliert haben, dort jedenfalls nicht evidenterweise nicht beachtet worden sind, sondern ich fand, das war auf der Linie dessen, was bisher auch von der Rechtsprechung so entschieden worden ist.

Pokatzky: Das heißt also, Sie können bisher das nachvollziehen, was die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf da gemacht hat?

Trute: Also soweit das öffentlich sichtbar ist, kann ich das durchaus nachvollziehen.

Pokatzky: Öffentlich sichtbar sind die von Ihnen angesprochenen Online-, die Internetplagiatsjäger. Werden die zunehmend eine Konkurrenz für Sie und Ihre Kollegen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft?

Trute: Das glaube ich nicht. Also natürlich wird es immer Anlässe geben, aber ich meine, wenn denn dieser Verdacht aufkommt, wird ein eigenständiges Verfahren in Gang gesetzt, das sehr, sehr viel sorgfältiger abläuft, als das, was da oft im Netz publiziert wird.

Pokatzky: Aber bei den etlichen Fällen auch aus Politikerkreisen, die nach dem Fall Guttenberg kamen, haben sich da manchmal geärgert und gedacht und dachten, Mensch, warum haben wir das nicht gefunden?

Trute: Bei der Zahl der Dissertationen, die Sie in einem Jahr durchzuschleusen haben, ist das nicht ganz einfach. Und wir müssen eins nicht übersehen, das bezieht sich alles auf Fälle der Vergangenheit, die oft schon sehr lange zurückliegen. Ich bin ziemlich sicher, dass sich die Kultur des Hinguckens deutlich entwickelt hat und dass die Standards deutlicher, betonter auch angewendet werden. Bei uns gibt es etwa seit einigen Jahren Vorlesungen, in denen diese Standards behandelt werden, Einführung in das rechtswissenschaftliche Arbeiten, auch für Doktoranden im Übrigen. Und da muss man einfach sagen, dass viel deutlicher das Gewicht auch in der Ausbildung darauf gelegt wird. Und da, finde ich, ist jede Universität gefragt, das auch zu tun.

Pokatzky: Herr Trute, jetzt mal ganz unter uns: Wozu braucht ein Mensch überhaupt einen Doktortitel?

Trute: Ja, wozu braucht er ihn? Das gibt ganz unterschiedliche Gründe: Wenn Sie in die Wissenschaft wollen, dann brauchen Sie ihn in der Tat als Voraussetzung, ansonsten brauchen Sie ihn nicht zwingend, zweifellos nicht. Und sie können auch gänzlich unbeschadet durchs Leben gehen ohne Titel. Dass er gelegentlich in bestimmten Subsysteme dieser Gesellschaft etwas wert ist, das ist klar. Aber brauchen tun Sie ihn natürlich nicht.

Pokatzky: Dank an den Hamburger Rechtsprofessor Heinrich Trute, den ehemaligen Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft für Fragen wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Und tschüss nach Hamburg!

Trute: Tschüss!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.