Alle gleichzeitig!

Von Marko Pauli · 28.07.2010
Im schleswig-holsteinischen Wedel haben zwei Männer einen Touchscreen entwickelt, mit dem erstmals ganze Gruppen gemeinsam an einem Bildschirm mit den Ausmaßen eines Billardtisches arbeiten und per Hand Elemente verschieben können.
Im Virtual Reality Labor der privaten Fachhochschule Wedel. Neben einem 3D-Kabuff, in dem zum Beispiel virtuell ein Cockpit bestiegen werden kann, steht leicht erhöht ein Tisch aus dunklem, schwerem Holz. Seine etwa ein mal zwei Meter große Oberfläche schimmert bläulich – ein Multitouchscreen, mit dem Matthias Woggon und Johannes Ryks hier einst ihr Diplom gemacht haben.

"'Was soll ich anmachen?' 'Techloop. Wir machen jetzt an, was wir für einen Kunden in der Schweiz realisiert haben. Dieses Physikspiel wo jungen Leuten physikalische Grundprinzipien erklärt werden.'"

Die Software teilt den Bildschirm in vier gleich große Bereiche, in der jeweils eine physikalische Aufgabe gelöst werden muss. Johannes Ryks verschiebt mit den Fingern kleine Spiegel auf seinem Quadranten und ordnet sie so an, dass Laserstrahlen zu einem Zielpunkt ans andere Ende des Viertels gelenkt werden. Sein Geschäftspartner steht neben ihm und verschiebt Rohre:

"Die ich jetzt so zusammensetzen muss, dass das Wasser von einem Punkt zum anderen geleitet wird. Sie könnten jetzt, damit das eben Multitouch ist, die zwei anderen oder einen anderen Bereich puzzeln."

So stehen also alle Beteiligten um den Tisch herum und schieben ganz selbstverständlich Teile auf dem Bildschirm hin und her. Hier wird deutlich, dass der Multitouchscreen durchaus einen neuen, gemeinsamen und interaktiven Umgang mit Computern und Software ermöglicht. Der Schweizer Auftraggeber, der mit dem Tisch Jugendliche für technische Berufe begeistern möchte, hat mehr als 20.000 Euro für die Technologie ausgegeben.

"In dem Fall wurde das für einen Tisch entwickelt, der fünf Meter groß ist, das heißt, wenn man die beiden Seiten nimmt, hat man schon zehn Meter Seitenfläche, wo man dran stehen kann. Da kann man gut und gerne mit fünf, zehn und noch mehr Leuten dran stehen und spielen."

Da diese Art von Bedienoberfläche völlig neu ist, gibt es noch kaum dafür ausgelegte Software. Auch hierbei lässt sich die Firma Eyefactive allerhand einfallen. Doch muss bei den Auftraggebern häufig erst einmal Aufklärungsarbeit geleistet werden.

"Weil die Gedanken kreisen natürlich immer noch um Computer mit Maus und Tastatur. Da muss erstmal das Bewusstsein geschaffen werden, was sind da überhaupt für Anwendungen möglich, wenn da 10, 20 oder 100 Leute dran was machen können."

Alle denkbaren Arten von Daten, die mit dem PC bearbeitet werden, könnten hier durch viele gleichzeitig bedient werden.

"Im Unternehmen, wenn ich meine Meetings habe, dass ich effektiver mit Leuten gleichzeitig was machen kann. Oder dass ich meine Industrieanlage mit fünf Leuten schneller plane. Oder mein 3D-Cut Modell mit zwei Leuten gleichzeitig schneller bedienen kann."

Eine Tür an der Seite des Tisches öffnet den Blick auf die Technik unter dem Bildschirm. Zwei Beamer stehen dort am Boden, sie projizieren über Spiegel die Bilder aus einem Computer an die Oberfläche. Die Bewegungen der Hände werden von Infrarot-Kameras erkannt.

"So sehen die Kameras eine bestimmte Art von Licht, das das menschliche Auge nicht sieht. Wenn die Kamera all das was das menschliche Auge sieht auch sehen würde, wäre sie total irritiert - was ist Darstellung vom Bildschirm, was ist die Hand, die sich gerade darüber bewegt."

Die Auswertung der Handbewegungsdaten übernimmt eine Software. Für diesen Bereich ist bei Eyefactive Matthias Woggon zuständig, Johannes Ryks kümmert sich um Technik und Hardware. Das war schon während des Studiums so, als den beiden Mittzwanzigern die Idee für ihren Bildschirm kam.

"Wir haben das einem Dozenten vorgeschlagen, der fand das sehr gut, und hat das dann bei der Hochschulleitung durchgekloppt, dass das realisiert werden konnte, weil da auch ein ziemlicher Kostenfaktor mit verbunden war."

Mit der Realisierung des Prototypen hatten die beiden ihr Medieninformatik-Diplom in der Tasche. Es folgte ein viel beachteter Auftritt bei der Cebit 2008, damit verbundene Kundenanfragen und schließlich die Gründung der eigenen Firma Eyefactive.

"Eyefactive ist ein Kunstwort, das ist ein Eyecatcher, gleichzeitig kann man mit Multitouchtechnologie vieles effektiver machen, die Kombination ist dann eben Eyefactive."

Auch heute noch arbeitet die Firma eng mit der Fachhochschule Wedel zusammen, und da Forschung und Weiterentwicklung der Technik sich hier am besten vorantreiben ließen, sind auch die Geschäftsräume in der FH angesiedelt. Bei Eyefactive sind mittlerweile sechs Mitarbeiter tätig, und die haben alle Hände voll zu tun.

"Da müssen wir ein bisschen vorsichtig sein, dass wir nicht allen Kunden fest zusagen, weil ansonsten wir ein Problem mit unseren personellen Ressourcen bekommen. Aber das gehört dazu, ein gutes Projektmanagement gehört dazu, sonst verzettelt man sich."

Die häufigsten Anfragen kommen aus den Bereichen Werbung und Marketing. So ein Tisch bietet auf Messen vielen Menschen gleichzeitig die Möglichkeit, sich interaktiv über was auch immer zu informieren, und er macht Eindruck. Andersrum lässt sich aber auch virtueller Inhalt beeindrucken - wie beim letzten realisierten Projekt zu sehen.

"Wir haben gerade in Warnemünde einen interaktiven Fischteich installiert. Und in dem Moment wo ich rüber laufe, verscheuche ich die Fische und werfe Wasserwellen. Da das ne Installation direkt an der Ostsee ist, sind das halt Ostseefische, die da rum schwimmen, 'ne Flunder zum Beispiel."

Noch brauchen die digitalen Fische in den Ostseewelten Warnemünde nicht zu fliehen, doch Mensch und Technik kommen sich tatsächlich immer näher.