Alle 53 Minuten bringt sich in Deutschland ein Mensch um

Klaas Heufer-Umlauf im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Der Fernsehmoderator Klaas Heufer-Umlauf will mehr Aufmerksamkeit für die Themen Depression und Suizid. Daher engagiert er sich für die Kampagne "Freunde fürs Leben" und möchte bewirken, dass sich gefährdete Menschen besser über Hilfsangebote informieren können.
Jörg Degenhardt: Jedes Jahr sterben in Deutschland mehr als 10.000 Menschen durch Selbsttötung, dreimal so viele wie durch Verkehrsunfälle. Ein Zehntel dieser Menschen hat noch nicht mal die 30 erreicht. Und noch eine Zahl: Suizid ist hierzulande die zweithäufigste Todesursache bei jungen Männern bis zum 20. Lebensjahr. Das sind die offiziellen Zahlen, dahinter stehen Schicksale, die oftmals im Verborgenen bleiben, sowie die Angehörigen, die mit dem Verlust eines nahestehenden Menschen fertig werden müssen.

Heute ist Welt-Suizid-Präventionstag, Anlass für uns, dieses Tabuthema anzusprechen. "Friends for Life" ist eine deutsche Aufklärungskampagne über Depression und Suizid, für sie aktiv ist auch der TV-Moderator Klaas Heufer-Umlauf. Ich habe mit ihm gesprochen. Wir reden über ein sehr privates Thema, deswegen erlaube ich mir auch gleich zu Anfang die sehr private Frage: Hatten Sie auch schon mal Selbsttötungsgedanken?

Klaas Heufer-Umlauf: Nein! Ich persönlich glücklicherweise nicht. Ich bin bislang davon verschont geblieben. Aber das kann man ja nie ganz ausschließen, ob das in seinem Leben irgendwann noch mal vorkommt. Da gab es bestimmt schon ganz andere Leute, die da für sich persönlich auch nicht mehr mit gerechnet haben.

Aber ich hatte mit dem Thema im engen Familien- und Freundeskreis zu tun, also sagen wir mal mit einem sehr artverwandten Thema, mit dem Thema Depression. Es kam nie zum Äußersten, aber das Thema hängt natürlich wie ein Damokles-Schwert über so einer Beziehung, die man zueinander hat.

Degenhardt: Was lässt denn junge Leute so verzweifeln, dass sie nur noch einen Suizid als Ausweg sehen?

Heufer-Umlauf: Ja, oftmals ist es natürlich ganz klar ein Ergebnis einer Krankheit, einer Depression, letztendlich eine Ausweglosigkeit, eine Hilflosigkeit, die manchmal gar nicht unbedingt an konkreten Dingen festzumachen ist. Es geht gar nicht darum, dass man so viele Probleme hat, dass man damit nicht mehr fertig wird und irgendwann nur noch die Selbsttötung als Ausweg sieht.

Das ist dann tatsächlich so ein bisschen das Ergebnis einer wirklich starken Depression und das kann auch bei jungen Menschen stattfinden. Das kann sich in der Familie erstmalig zeigen, es kann aber auch mehr oder weniger ein bisschen die Veranlagung dazu vererbt werden.

Darüber hinaus gibt es natürlich ganz individuelle Schicksale. Auch in unserer Generation gibt es ganz, ganz viele persönliche Drucksituationen, mit denen man klar kommen muss, die teilweise auch ein bisschen der Freiheit geschuldet sind. Also, die Möglichkeit, alles zu tun und alles zu dürfen und eigentlich in so einer fantastischen Situation zu sein und wenn man von allen anderen Generation gesagt bekommt, Du musst Dein Leben jetzt leben und Du kannst doch alles machen und Du hast es doch viel leichter als wir, das führt natürlich auch zu einem Individualisierungsdruck und schafft auch in einer sehr flexiblen Gesellschaft viele Verlierer.

Degenhardt: Nun gibt es doch aber Freunde, richtige und auch solche im Internet, es gibt Eltern, es gibt Kollegen, die müssten das doch mitkriegen, wenn da jemand unter einer Drucksituation, wie Sie sagen, besonders leidet. Da könnten sich doch die Verzweifelten auch hinwenden und vielleicht auch Hilfe suchen.

Heufer-Umlauf: Nein, also ich glaube nicht, die Verantwortung kann man nicht auf andere Leute abgeben, die in einem Umkreis sich befinden, und die letztendlich vielleicht noch verantwortlich dafür machen, dass niemand das mitbekommen hat. Es gibt sicherlich Verbindungen, die man zwischenmenschlich haben kann, dass man sagt, irgendwas ist doch mit dir los, dir geht es doch nicht besonders gut, oder vielleicht gibt es auch hier und da kleine Zeichen und kleine Hilfeschreie, die sich vielleicht nicht so konkret äußern, wie man sich das wünschen würde als direkt Angehöriger. Aber manchmal kriegt man auch überhaupt nichts mit.

Degenhardt: Und wie wollen Sie da helfen mit Ihrer Organisation "Friends for Life"?

Heufer-Umlauf: Letztendlich ist es in Deutschland so, dass wenn man feststellt an sich – und das ist ja eigentlich schon der erste Schritt -, dass man feststellt, es geht einem nicht gut, und man möchte sich informieren und man möchte vielleicht nicht das komplette Umfeld umweihen, weil das auch ein Gefühl ist, was oftmals nicht beschreibbar ist und man gar nicht weiß, wie man kommunizieren soll, dass man dann eine Plattform findet, eine Seite, eine Gruppe von Leuten, an die ich mich wenden kann, anonym auch erst mal, die mir alle Wege aufzeigen, die ich gehen kann.

Weil so individuell der Mensch ist, ist im Zweifel auch ein Krankheitsverlauf in diesem Fall und letztendlich auch der Weg zum möglichen Suizid. Und wenn man das einfach einmal bündelt, alle Möglichkeiten, alle Wege, die es gibt in Deutschland, alle Therapieverfahren, alle Ansätze, die man haben kann, gerade als ersten Schritt, wenn man das einmal sichtbar macht auf dieser Seite und als Verein enttabuisiert, was es tatsächlich immer noch ist, ein Tabu in Deutschland, und auch mal klar macht, dass man damit eben nicht alleine ist

Weil das Alleinesein ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der Hoffnungslosigkeit, die sich breit macht im Falle einer Depression, und dass man merkt, man ist damit nicht alleine und es gibt Leute, die haben es da heraus geschafft, und dass man vielleicht so ein ganz bisschen Hoffnung einpflanzen kann und Leute mit einem sprechen, die wissen, wovon sie reden, und eben keine Freunde, die sagen, ach das Leben ist doch schön, weil solche Sätze oftmals nur das Gegenteil bewirken und nicht helfen.

Degenhardt: Das heißt, Ihre Kampagne sieht vor allem als ihre Pflicht an, Öffentlichkeit herzustellen, ein Thema zu enttabuisieren?

Heufer-Umlauf: Es geht vor allen Dingen darum zu informieren, weil durch eine Tabuisierung findet natürlich auch ein totaler Informationsstopp statt. Das heißt, viele Leute wissen es also gar nicht. Denn wenn man sagt, dass alle 53 Minuten statistisch sich in Deutschland jemand umbringt, in Deutschland, und alle vier Minuten es jemand probiert, und dass mehr Leute durch Suizid zu Tode kommen als durch Verkehrsunfälle, Drogenmissbrauch oder Aids zusammen, das glauben einem Leute nicht. Das muss man ändern, weil das letztendlich auch dazu führt, dass die Menschen bewusster sind und das vielleicht auch an sich besser feststellen und halt genau wissen, das könnte mein Problem sein und wenn ich dem vorbeugen möchte, wenn es gar nicht erst so weit kommen soll, dann muss ich dies und das machen und dann muss ich auch die Möglichkeit haben, mit den Informationen, die mir in der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, an mir selber zu diagnostizieren, was vielleicht das Problem sein könnte, um mich dann auch zu trauen, mir helfen zu lassen.

Degenhardt: Heute ist Welt-Suizid-Präventionstag – "Friends for Life" will aufklären über Depression und Selbsttötung, denn jedes Jahr sind 10.000 Menschen in Deutschland davon direkt betroffen. Das war der TV-Moderator Klaas Heufer-Umlauf, der sich für Freunde fürs Leben stark macht. Vielen Dank für das Gespräch.

Heufer-Umlauf: Ja, herzlichen Dank.


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