"All diese Wegschmeißdinge"

Von Günter Beyer · 23.03.2007
Der Niederländer Jan Henderikse gilt als Pionier der so genannten "Trash Art", er hat eine Vorliebe für Weggeworfenes und Müll, sammelt bunte Plastikflaschen, Sandalen, Bälle und Teile von kaputtem Spielzeug. Henderikses Kunst ist jetzt in Schwerin zu sehen.
Wer sich mit solch einem Getränkemarkt selbstständig machen will, wird wohl bald Insolvenz anmelden: Es gibt nämlich nur eine einzige Sorte Bier, überaus akkurat ausgerichtet in neun Reihen á 25 Kästen. Darüber hängen Poster aus US-amerikanischen Supermärkten, auf denen Klosettpapier, Putenfleisch und Brot zu Schnäppchenpreisen angeboten werden - die Waren selbst fehlen.

So etwas gibt es natürlich nur im Museum; der 70-jährige niederländische Künstler Jan Henderikse hat Bierkästen und Plakate ins Staatliche Museum Schwerin geschafft. Das Haus ist damit nicht zum Factory-Outlet geworden, stellt Museumsleiterin Kornelia von Berswordt-Wallrabe klar.

"Das sind philosophische Fragen, auch wenn man in die Ausstellung tritt, den Eindruck hat: ‚Au, hier wird was verkauft’, wie ein Kind gleich als erstes sagte. ‚Ich wusste gar nicht, dass die im Museum was verkaufen.’"

Jan Henderikse, 1937 in Delft geboren, hatte sich als junger Künstler zunächst an der abstrakten Malerei eines Emil Schumacher und Antonio Tapiès orientiert und eine niederländische Gruppe informeller Maler mitgegründet. 1959 zieht er um nach Deutschland und kommt über den Bildhauer Günther Uecker, dessen Markenzeichen Nagelskulpturen sind, in Kontakt mit der Gruppe Zero.

"Die Zero-Gruppe ist natürlich der Beginn nach dem Krieg vom Nachdenken, ausgehend von einem Nullpunkt aus."

Diesen Ausgangspunkt markiert die Ausstellung als strahlend rote Neon-Arbeit mit dem niederländischen Wörtchen "nul". Auch das Wort "Schwerin" entstand vor zwei Jahren als Neon-Leuchtreklame, wobei Henderikse der Wohlklang des Wortes und nicht die Suche nach einem Sinn inspiriert hat. Bierkasten-Installation übrigens sind ein wiederkehrendes Thema in Henderikses Arbeiten.

"In 1962 habe ich das erste Mal gemacht in Stedelijke Museum, die Brauerei hat da Geld für gegeben, als ich das ausgestellt habe. Da habe ich eine Wand mit Bierkisten gemacht, größer als diese, diese liegt auf dem Boden, und das war aufeinander gestapelt, Holzkästen mit Bier drin, und das war natürlich etwas mit Zero, weil die wollten so gerne Wiederholungen so wie Uecker mit Nagel, also diese Wiederholung war eigentlich typisch Zero. Das Objekt haben die Zero-Künstler nicht gemocht von mir. Das war zu niedrig oder zu populär."

In den Folgejahren löst sich Jan Henderikse mehr und mehr von der Gruppe Zero, lebt auf der niederländischen Antilleninsel Curaçao und in später in New York. Schon am Rheinufer in Köln hatte er damit begonnen, die unappetitlichen Hinterlassenschaften der Touristen aufzusammeln. Tütenweise schleppt er Korken und Plastikabfälle in sein Atelier und ordnet sie zu frühen Material-Assemblagen.

Auf Curaçao, wo riesige Mengen von Strandgut angespült werden, sammelt er bunte Plastikflaschen, Sandalen, Bälle und Teile von kaputtem Spielzeug. Es ist stark beeinflusst von dem französisch-amerikanischen Künstler Marcel Duchamp, der bereits vor dem ersten Weltkrieg die Kunstwelt mit seinen "Ready-Mades" provoziert hatte. Duchamp nahm zum Beispiel eine Schaufel oder ein Urinal und stellte es in die heiligen Hallen eines Museums.

"Also der Künstler als der größte Wähler gewissermaßen. Er wählt aus. Er lässt nicht mehr machen, sondern er wählt. Und Jan Henderikse, wie die Ausstellung es ja zeigt, hat frech gewählt."

Das kann man wohl sagen. Der Pionier der so genannten "Trash Art" hat nicht nur eine Vorliebe für Weggeworfenes und Müll, er zieht auch durch die Läden von New Yorks Chinatown und kauft für ein paar Cents fertige Packungen mit billig-bunten Oberhemden, Krawatten, Armbanduhren - alles aus Papier! In die Einmal-Konfektion steckt man gestorbene Chinesen bevor sie verbrannt werden. Papier-Radios und Papier-Goldbarren werden als Grabbeigaben zusätzlich in den Sarg legt.

Diese Garnituren sind typische "Ready-Mades" in der Nachfolge Duchamps: Der Künstler wählt aus der Galaxis der Warenwelt ein Utensil aus, nobilitiert es mit einem passenden Rahmen - und befördert es ins Museum, wo es sich prompt - so jedenfalls die Theorie - mit neuem Sinn auflädt. Jan Henderikse opfert einem geduldigen Gott der kleinen, billigen Dinge. Er lässt 4000 Baseball-Sammelbildchen zu einem wanddeckenden Album montieren oder schnürt gebrauchte Briefmarken mit Zwirn zu kleinen Stapeln.

"Ich mag gern alles, was Leute geliebt haben oder lieben oder gebraucht haben oder gebrauchen. Alles, was so billig ist, aber was man doch mit Liebe gebraucht, so Briefmarken, Briefmarken ist nicht nur, um die Rechnung zu bezahlen, Briefmarke kann auch ein Brief sein nach Freunde, und all diese Wegschmeißdinge, die sind alle intensiv gebraucht von Leuten, aber weggeschmissen."

Ein besonderes Verhältnis hat Jan Handerikse zum Geld. Cents und österreichische Groschen ordnet er zu Tafelbildern oder prägt sie auf Büttenpapier ab, aus Dollarscheinen faltet er geschickt kleine Hemdchen mit Kragen und kurzen Ärmeln. Manchmal aber klotzt er auch. Dann lässt er sich von der amerikanischen Notenbank Scheine im Wert von 250 Millionen US-Dollar schicken - von einen Schredder in kleinste Streifen zerschnipselt - und erklärt den gefriertruhengroßen Ballen entwerteten Reichtums zum Kunstwerk.

"Meine Arbeit ist überhaupt nicht kritisch. Nicht gesellschaftskritisch."

Behauptet der Künstler. Aber wie soll man das finden, wenn jemand 250 Millionen Dollar geschreddert im Museum abliefert? Birgt die von Duchamp inszenierte Pose des konzeptionellen Künstlers als Zertrümmerer des Kunstbetriebs heute noch die Kraft der Provokation?

Leider stellt das Schweriner Museum den Zeitgenossen Henderikse seinem Inspirator nicht unmittelbar gegenüber - dabei läge das auf der Hand. 1998 hatte das Haus mit Hilfe von Sponsoren eine damals fünf Millionen Mark schwere, umfangreiche Duchamp-Sammlung von einem Antwerpener Sammler erworben und seither wissenschaftlich aufgearbeitet.

Das Bier übrigens soll bei der Finissage am 6. März kistenweise als "Henderikse-Edition" verkauft werden. Sehr billig, wie man hört.


Service:
Die Ausstellung Jan Henderikse ist bis zum 6. Mai 2007 im Staatlichen Museum Schwerin zu sehen.