Alkohol und Tabletten

Senioren in der Suchtklinik

Eine ältere Frau trinkt Bier
Ein Drittel der betagten Alkoholiker beginnt erst im Alter zu trinken. © picture alliance / Klaus Rose
Von Svenja Pelzel · 16.02.2015
Wein, Baldrian und Schmerztabletten - Hunderttausende Senioren sind suchtkrank. Medikamente sind leicht zu besorgen, die Sucht fällt nicht auf, weil die Menschen nicht mehr zur Arbeit müssen. Zu Besuch bei älteren Patienten einer Suchtklinik.
Jochen ist 71 Jahre alt, groß, sauber gekleidet, glatt rasiert – das ist ihm wichtig.
"Bin eben auch Preuße."
"Was heißt das?"
"Ja ich hatte eine kaisertreue Oma und einen Vater bei der Wehrmacht, also so ein bisschen Disziplin haben die mir beigebracht. Und trotzdem kann ich nebenbei, wenn es schlimm ist, eine große Flasche Schnaps am Tag austrinken."
"Und da schämen sie sich, glaube ich, auch ein bisschen für?"
"Hmm ja, natürlich."
Deshalb möchte Jochen auch nur seinen Vornamen im Radio hören.
Jeder zehnte Patient der Klinik ist über 60 und suchtkrank
Von seiner Alkoholsucht erzählen, möchte er aber unbedingt. Obwohl er gelernter Mechaniker ist, verliert er mit 58 Jahren endgültig seine Arbeit. Er wird depressiv, seine Frau verlässt ihn, Jochen fängt mit dem Trinken an. Alleine. Zuhause. Bis er auf dem Sofa umkippt, erzählt er. Der "Preuße" in ihm bewahrt Jochen vor dem totalen Absturz.
Noch kann er im Chor singen, in der Kirche ehrenamtlich mitarbeiten, Zeitungen austragen. Doch jetzt, mit 71, lässt seine Kraft rasant nach. Deshalb lebt Jochen seit ein paar Wochen in der Psychotherapeutischen Klinik in Bad Liebenwerda.
"Um mir in meinem vorgerückten Alter die Lebensqualität zu erhalten, bin ich also willens, diese nachlassende Lebenskraft nicht durch Alkohol zu schmälern. Das ist also ein Grund, warum ich hier bin, dass ich mir meine Lebensqualität, meine sozialen Anbindungen möglichst lange noch wahrnehmen kann, dass ich meine Eigenständigkeit bewahre, Selbstbestimmtheit, solange wie es irgendwie noch geht."
Jochens neues Zuhause sieht kein bisschen aus, wie ein Krankenhaus, sondern eher wie ein Hotel: Überall farbige Teppichböden und bunte Wände, viel Holz, Licht fällt durch große Fenster. Auch die Stimmung ist entspannt. Chefarzt Konstant Miehe macht an diesem Vormittag einen kurzen Rundgang durchs Haus, grüßt Mitarbeiter und Patienten.
"Einen schönen guten Tag."
"Guten Tag."
Von den 120 Männern und Frauen in Miehes Klinik ist etwa jeder zehnte über 60 und suchtkrank. Die meisten Männer trinken, die Frauen sind abhängig von Schlaf-, Schmerz – und Beruhigungsmittel. Einige haben erst als Senioren mit dem Missbrauch angefangen. Die Gründe sind wie bei jedem psychischen Problem individuell und vielschichtig. Bei älteren Menschen liegen manche Ursachen für Konstant Miehe allerdings auf der Hand.
"Das sind die Dinge, die jeder Mensch in dem Lebensalter hat. Das sind Fragen, wie gehe ich um mit Krankheit, wie gehe ich um mit Verlust, mit Tod von Angehörigen, von Ehepartnern? Und die sind zwar in jedem Alter wichtig, aber kommen in dieser Phase sehr viel näher."
Der Alkohol hilft nicht, denn Sorgen können schwimmen
Zu den psychischen kommen körperliche Gründe: der Stoffwechsel älterer Menschen verändert sich, die Zellen speichern weniger Wasser. Ihr Alkoholpegel steigt deshalb schneller als bei Jüngeren, Medikamente werden langsamer abgebaut. "Meistens bekommen meine Patienten ihre erste Dosis vom Hausarzt verordnet", erzählt Chefarzt Miehe, während er seinen kurzen Rundgang durchs Haus fortsetzt.
"Mahlzeit"
"Mahlzeit."
"Alle schon hungrig."
Weil es einfach auch naheliegender ist, dass ein älterer Mensch wegen eines Problems, wegen Schmerzen, wegen Schlafstörungen ein Medikament verordnet bekommt. Während der Hausarzt bei jüngeren Leuten sagt: ja, da müssen wir jetzt mal durch und schreib ich nicht gleich was auf. Das berichten auch Patienten, die sagen, gerade auch bei Trauer. Da ist es sehr häufig so, dass der Hausarzt dem hinterbliebenen Partner ein Beruhigungsmittel aufschreibt.
Doch gegen Trauer und Sorgen helfen weder Tabletten noch Schnaps. Betroffene erhoffen sich Erleichterung, um mit dem Traumatischen klar zu kommen. Ab wann aus dieser Erleichterung eine Sucht wird, ist schwer zu erkennen. Ist es schon das lieb gewonnene Gläschen Rotwein am Abend, die "Baldrian forte" Packung neben dem Bett, die alles erleichternde Schmerztablette am Morgen?
"Also es gibt da ja viele Kriterien, es gibt auch vieles Plakatives, so ‚ein Glas jeden Tag ist schon zu viel' und das stimmt so nicht. Es ist sicherlich individuell. Und es gibt aber ein Merkmal, was ich für das entscheidende halte und das ist der Kontrollverlust. Also, wenn man immer wieder feststellt, dass es am letzten Abend eigentlich mehr war als man gewollt, gewünscht, geplant hatte, dass man drauf hingewiesen wird von anderen, dass es zu viel ist. Also Kontrollverlust scheint mir das entscheidende Merkmal zu sein."
Kontrollverlust bei Medikamentensüchtigen ist dagegen schwerer zu beschreiben. Wer aber ohne Absprache mit seinem behandelnden Arzt ständig die Dosis an Schmerz-, Schlaf- oder Beruhigungsmitteln erhöht, gilt zumindest als Risikogruppe. Jochen, der 71-jährige Patient von Kontant Miehe, versucht in Bad Liebenwerda mit seiner Sucht umzugehen. "Darüber lächeln kann ich manchmal schon" – sagt er.
"Ich hab hier noch einen Spruch: Wer denkt, er könnte seine Sorgen mit Alkohol ertränken, der sollte wissen, dass die Sorgen schwimmen können."
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