Alexander Liebreich und das RSO Prag

Konzert für einen Engel

Moderation: Elisabeth Hahn · 06.05.2020
Es war das letzte Konzert des Prager Rundfunksinfonieorchesters vor dem Shutdown. Chefdirigent Alexander Liebreich hatte Brahms' 1. Sinfonie und eine Ouvertüre von Viktor Ullmann programmiert. Leila Josefowicz spielte Alban Bergs Violinkonzert.
Musikalisch gesehen sind Wien und Prag Teil ein- und derselben Welt. Mit dieser Erkenntnis beschäftigt sich das gesamte Programm, das der Tschechische Rundfunk am 9. März im Prager Rudolfinum aufgenommen hat, kurz bevor auch an der Moldau alle Kulturveranstaltungen verboten wurden. Seit zwei Jahren verantwortet der aus Regensburg stammende Dirigent Alexander Liebreich die künstlerischen Geschicke des Rundfunksinfonieorchesters Prag.
Der Dirigent Alexander Liebreich leitet das Prager Radio-Sinfonieorchester am 16.12.19 im Dvorak-Saal des Rudolfinums
Der Dirigent Alexander Liebreich leitet das Prager Radio-Sinfonieorchester 2019 großen Saal des Rudolfinums© Vojtech Brtnický/Český rozhlas
Gern dirigiert Alexander Liebreich in den Abonnementkonzerten des Rundfunksinfonierorchesters Prag Stücke, die in enger Beziehung zur jüngsten tschechischen und mitteleuropäischen Musikgeschichte stehen. Den Abend eröffnet ein Werk von Viktor Ullmann, der aus einer deutschsprachigen Familie jüdischer Herkunft aus dem polnisch-tschechischen, damals habsburgischen Schlesien stammte. Ullmann wird bei den so genannten "Theresienstädter" Komponisten eingereiht. Dabei fand die wichtigste Karriere des Schönberg-Schülers schon lange vor seiner Inhaftierung und Ermordung durch die Deutschen statt. Auch seine Kleist-Oper "Der Zerbrochene Krug" hatte Ullmann noch vor seiner Verhaftung fertig gestellt. Sie ist ein eher humorvoll-spritziger Einakter im modern reduzierten Stil. Erst 1996 konnte sie als Ganzes uraufgeführt werden.

Die Freiheit des Zwölftongesetzes

Ebenso wie Viktor Ullmann war Alban Berg Schüler Arnold Schönbergs in Wien. Allerdings gehörte er einer älteren Generation an. Schon früh hatte sich Berg von einer allzu ideologischen Auslegung der Zwölftontechnik emanzipiert - er sah das Komponieren ohne Grundtonbindung als kreative Herausforderung, nicht als bindendes Gesetz. Diese innere Freiheit ermöglichte ihm auch, eines der populärsten Violinkonzerte des 20. Jahrhunderts zu schreiben. Was als Requiem für die jung verstorbene Manon Gropius (Tochter Alma Mahlers) gedacht war, eine Frau, die auch das Ehepaar Berg innig liebte, geriet zum eigenen Weltenabschied des Komponisten.

Requiem in eigener Sache

Dass Alban Berg wenige Monate nach Vollendung des Violinkonzerts nach einer eher einfachen Verletzung starb, mag ein großer Zufall gewesen sein, dürfte aber auf keinen Fall damit zu tun gehabt haben, dass Berg am Ende des Violinkonzerts einen Choral mit dem Titel "Es ist genug" zitiert. Dieses Zitat mit der Choral-Aussetzung Johann Sebastian Bachs war eine geniale Idee, gerade im Rahmen eines Werkes, das der Zwölftontechnik folgt. War es auch eine Vorhersage mit stark identifikatorischen Zügen? Dieser Mythos haftet dem Werk seitdem an und verzaubert es bis heute...

Erdrückendes Vorbild

Seine erste Sinfonie war eine schwierige Geburt - Johannes Brahms hatte einfach zu viel Respekt vor den Leistungen Ludwig van Beethovens auf diesem Gebiet. So wie viele seiner Kollegen versuchten, eine letzte Sinfonie, eine Neunte zu umgehen, die das Lebensende signalisieren würde, machte Brahms einen großen Umweg um seine 1. Sinfonie. Als sie dann aufgeführt wurde, war die Öffentlichkeit angesteckt von des Meisters eigener Skepsis. Doch am Ende zählte die Qualität des Erstlings: Brahms hatte seinem Grübeln und inneren Kämpfen ein vollgültiges Werk abgerungen, das sich rasch durchsetzte und bewies, dass der originelle Zugang des Hamburger Wahlwieners zur Gattung neue, bleibende Wege eröffnet hatte.
Rudolfinum Prag
Aufzeichung vom 9. März 2020
Viktor Ullmann
Ouvertüre zur Oper "Der Zerbrochene Krug"
Alban Berg
Violinkonzert "Dem Andenken eines Engels"
Johannes Brahms
Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68

Leila Josefowicz, Violine
Rundfunksinfonieorchester Prag
Leitung: Alexander Liebreich

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