Alexander Liebreich

"Dirigieren ist wie Skifliegen"

34:34 Minuten
Dirigent Alexander Liebreich während seines Auftritts mit dem "Lyon National Orchestra" während des 49. Festivals der zwei Welten in Spoleto, 2006.
Als Dirigent ist er schon viel herum gekommen: Alexander Liebreich. © ANSA/Spoleto Festival / Giulio Marcochi
Alexander Liebreich im Gespräch mit Annette Riedel · 12.09.2018
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Auch wenn er selbst kein Skispringer ist, so fasziniert ihn dieser Sport doch. Denn, sagt der renommierte Dirigent Alexander Liebreich, es gibt viele Parallelen zu seiner Arbeit: Die Hochleistung an sich und das Loslassen im entscheidenden Moment.
Musiker wurde er gegen den Willen seiner Eltern. Alexander Liebreich musste sich sein Studium mühsam erkämpfen. Heute gehört er zu den namenhaftesten Dirigenten Europas. 1968 in Regensburg geboren, hatte er schon als Jugendlicher ein großes Faible für die Musik – und für Osteuropa. Mit Freunden, die wie er Wurzeln in Tschechien, Polen oder Ungarn hatten, reiste er schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs immer wieder dorthin.
"Ich glaube, dass der Kalte Krieg uns buchstäblich abgezwungen hat, uns zu positionieren. Ich glaube, dass dann mit 1989, 1990 eine scheinbare Phase der Sorglosigkeit entstanden ist, die eine Entpolitisierung gebracht hat und eine Art Fun-Generation, die nicht mehr nachgedacht hat. Das haut uns jetzt ins Gesicht."

"Katowice ist eine der spannendsten Städte überhaupt"

Vor gut fünfzehn Jahren fuhr er zum ersten Mal nach Katowice, um die angeblich hässlichste und dreckigste Stadt Polens kennenzulernen. Heute sei sie nicht wiederzuerkennen, sagt Alexander Liebreich, der seit 2012 dort Künstlerischer Leiter und Chefdirigent des Nationalen Symphonieorchesters des Polnischen Rundfunks ist.
"Was sich in den letzten Jahren in Katowice getan hat, ist unglaublich. Ich hatte dort ein Festival mit dem Thema Metamorphosen gegründet, weil es eine Veränderung ist, die man sich nicht vorstellen kann. Katowice hat sich zu einem kulturellen Zentrum entwickelt, es gibt dort Museen, es soll noch ein Opernhaus gebaut werden, eine großartige Musikakademie, drei neue Konzertsäle und eben die Rundfunkphilharmonie. Wie eine Stadt versucht, sich mit der Kultur eine neue Identität zu geben, ist unglaublich. Es ist eine der spannendsten Städte überhaupt."

Kulturaustausch mit Nordkorea

Aber er bleibt nicht mehr lange dort. Seine nächste Station wird ab 2019 das Rundfunk-Symphonie-Orchester in Prag sein. Zuvor hatte er unter anderem das Münchner Kammerorchester geleitet, hatte Lehraufträge an Musikhochschulen und reiste durch die ganze Welt. Zu seinen schönsten Erlebnissen gehörte die Begegnung mit Musikern im nordkoreanischen Pjöngjang.
"Ich war 2002 auf Tournee mit der Jungen Deutschen Philharmonie in Nord- und Südkorea und daraus entstand, vom Goethe-Institut initiiert und vom DAAD übernommen, zum ersten Mal eine Gastprofessur in Nordkorea. Wir haben erstmals Musik aufgeführt, die dort nicht bekannt ist, von Mahler, Strawinsky oder Leonard Bernstein. Ich hatte vollkommene Freiheit, das war mir wichtig. Wir versuchten, den Kulturaustausch zu pflegen, und auch in Deutschland Nord- und Südkoreaner mittels Stipendien zusammenzubringen. Man darf den Kontakt nicht abreißen lassen."

Zum Musizieren in die Berge

Wenn er einen Ausgleich zur Musik sucht, die für ihn sowieso schon eine "buddhistische" Dimension hat, dann geht der gebürtige Bayer gerne in die Berge. Dort, nämlich in Garmisch-Partenkirchen, leitet er neuerdings auch das Strauss-Festival. Für manche Konzerte wandern Musiker und Publikum gemeinsam in die Berge.
"Richard Strauss hat sich nach Garmisch-Patenkirchen zurückgezogen, weil er die Inspiration dort brauchte, nicht nur für seine Alpensymphonie. Wir haben das auch versucht und sind zum Beispiel mit Musikern gewandert und haben gespielt. Die Naturerfahrung ist sehr wichtig, und dabei denkt man an den Urgedanken von Musikinspiration."
Ende September dirigiert Alexander Liebreich die Essener Philharmonikern. Gespielt werden Werke von Arvo Pärt, Kalevi Aho und Modest Mussorgski.
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