Alexander Kluge über Ostdeutschland

Eigeninitiative statt Gejammer

06:22 Minuten
Alexander Kluge wird am 07.02.2017 in Berlin bei der Preisverleihung "Journalisten des Jahres 2016" der Branchenzeitschrift "medium magazin" für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
Auch große Unternehmen könnten Mut erzeugen und zu mehr Halt der Menschen in Ostdeutschland beitragen, findet Autor und Filmemacher Alexander Kluge. © Britta Pedersen/dpa-Zentralbild
Von Christoph D.Richter · 22.08.2019
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Für den Autor Alexander Kluge hat der Zuspruch zur AfD im Osten Deutschlands damit zu tun, dass die Menschen von ausbleibenden Reformen frustriert sind. Eine Lösung gebe es, wenn Ostdeutsche sich trauten, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
Alexander Kluge ist ein Generalist, denn der Jurist ist auch Autor und Filmemacher und er gilt als Gründer des Neuen Deutschen Films. Weil ihm jetzt der Klopstock-Preis für Literatur des Landes Sachsen-Anhalt in Quedlinburg verliehen wurde, hat sich Deutschlandradio Landeskorrespondent Christoph Richter mit Kluge in dessen nahegelegener Heimatstadt Halberstadt getroffen und über 30 Jahre Friedliche Revolution, das Jahr 1989 und die Lage in Ostdeutschland gesprochen. Alexander Kluge:
"Ach, gucken Sie mal, wenn Sie die ersten 13 Jahre ihres Lebens hier verbracht haben, dann sind die Steine, die Stadt, auch wenn sie zerstört worden sind, dann gehört das zu mir."
Schnell wird klar, Alexander Kluge kennt sich in Halberstadt bestens aus. Allerbestens. Ein Gang durch die Stadt wird mit ihm zu einer Zeitreise. Vorbei an verschlossenen Fensterläden, Sackgassen und Baulücken, überall kann Alexander Kluge Geschichten zu erzählen. Hier hat er seinen Freischwimmer gemacht, dort gab es die schlechteste Suppe, in dieser Fleischerei haben die Eltern ihre Wurst gekauft.
"Mein Vater hatte noch bis 1979 hier gelebt, war noch Arzt hier, der hat sich von seiner Stadt nie getrennt. Dadurch war ich zweimal im Jahr hier. Es gibt etwas, zu dem man gehört und das ändert sich nicht."

Heimat vergisst man nicht

Halberstadt hat den Wahl-Münchner und Schwabing-Bewohner Alexander Kluge nie losgelassen.
"Wie eine Graugans, bin ich geprägt durch meine Heimatstadt Halberstadt."
Beim Rückblick auf 30 Jahre Friedliche Revolution, wenn es um das Jahr 1989 und die Lage in Ostdeutschland, den Aufstieg der AfD geht, die gerade im Osten auf große Resonanz stößt, verknüpft Kluge – der Philosoph des Eigensinns - lokale und globale Geschichten, Vergangenheit und Gegenwart.

Nur extrem wählen ist zu einfach

"Das ist eine Menge Frust. Das geht ja immer eine Generation später los. Der Frust von 1945, das da wirklich keine Reform kam, der ist der Grund für die studentische Protestbewegung. Ob das nach links oder rechts geht, kann man nicht vorhersagen. Der leichtere Weg geht nach rechts."
Wenn der französische Soziologe Didier Eribon von einer "politischen Notwehr der unteren Schichten" spricht, die die Linken aus dem Blick verloren hätten, weshalb gerade die Arbeiterschaft und Arbeitslose nun Rechtspopulisten wählen; dann zitiert Alexander Kluge seinen Hausphilosophen Theodor W. Adorno.
"Das ist psychologisch so leicht. Ich muss nichts tun. Das ist Faulheit der Seele. Ich sage: Die Anderen sind schuld, ich motze und erpresse. Wie ein quäkendes Kind."
Den Rattenfängern aufzusitzen bringt nichts. Einzig die Vernunft hilft, sagt Kluge. Denn die sitzt nämlich im Zwerchfell und lacht. Unabdingbar sei dabei das Zuhören: Der Kartenabreißerin im Kino oder dem Hausmeister von nebenan. Nicht den Schönrednern, nicht dem Geplapper der Eventisierer des 30-Jährigen Mauerfall-Jubiläums anheim fallen.
"Einstampfen. Aber gleichzeitig: Gut zuhören. Nicht den Sonntagsrednern, sondern den Menschen."

Lösungen selbst finden

Alexander Kluge mahnt nicht. Er ist kein Alarmist, kein Prophet, sondern Chronist. Traumatisch-schockhafte Erfahrungen hebt Kluge in die gegenwärtige Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts. Mitten rein nach Sachsen-Anhalt, in das Jahr 2019.
"Notausgänge kennen, Auswege finden, etwas machen. Das ist eine reale Erfahrung. Ich weiß, wie 45, als die Stadt zerstört war, da haben wir Auswege gefunden. Meine Mutter hat Auswege gefunden, die Mutter meines besten Freundes hier in Halberstadt – Frau Müller - hat Auswege gefunden. Diese Notzeit hat Antworten gehabt, warum soll denn unsere Zeit keine Notausgänge und Auswege haben."

Verantwortung der Unternehmen

Man müsse wieder Mut erzeugen und republikanischen Geist. Den fordert Kluge insbesondere von den Unternehmen ein, die heute ohne Augenmaß agierten.
"Es gibt große Konzerne, die eigentlich verpflichtet wären, so wie Krupp es früher mit seinen Arbeitern gemacht hat. So wie es jede gute Republik macht, mit denen die da drin arbeiten. Dass sie sagen: Wir sorgen für euer Alter, wir sorgen, dass ihr gesund seid. Wir geben euch im Grunde Halt und Hoffnung. Das ist eine Verpflichtung einer Republik."
Wenn es aber nicht so läuft, dann sei es kein Rezept, schmollend in der Ecke zu sitzen.

Aktiv gegen den Frust

Ganz im Gegenteil: Statt Meckern und Jammern, sollen die Ostdeutschen – 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution – endlich Produzenten und Akteure ihres Alltags werden. Sagt Alexander Kluge. Nicht zuschauen, sondern mitmachen. Agieren. Das Heft in die Hand nehmen. Alles andere sei keine Lösung.
"Als Zuschauer beim Fußballspiel daneben stehen und meckern. Bringt nichts, ändert sich das Spiel nicht. Wenn sie mitspielen, ändert sich das Spiel. So geht die Sache."

Gemeinsam verändern

Die Menschen müssten raus aus ihrer Vereinsamung und Isolierung. Wenn sie etwas verändern wollen, dann geht es nur zusammen. Die Bewohner abgekoppelter Regionen sollten sich Verbündete mit ähnlichen Erfahrungen suchen: Ob in Halberstadt oder Weißenfels, in der Picardie, Sizilien oder Kastilien.
"Subversiv und unterirdisch: Wie die Maulwürfe."
Ein Plädoyer für ein föderalistisches Europa der Regionen, von unten gedacht. Habt Mut zum Neu-Denken, ruft Kluge noch.
Nach zwanzig Minuten muss er weiter. Immer mit Plänen im Kopf. Vorbereitungen treffen für eine neue Ausstellung. Heute hat Alexander Kluge in Quedlinburg aber erstmal den Klopstock-Preis, den Literaturpreis des Landes Sachsen-Anhalt bekommen. Für sein literarisches Gesamtwerk.
"Und ehrlich gesagt, in einem anderen Land hätte ich den Preis nicht angenommen. Aber hier, in meinem Heimatland finde ich das schön, wie die Ehrenbürgerschaft in Halberstadt. Das ehrt mich. Mein Vater wäre stolz und meine Schwester wäre stolz, wenn sie das wüssten."
Eine typische Laudatio gab es nicht, stattdessen ein Gespräch über Mitteldeutschland, das immer schon ein – wie Kluge sagt – "Laboratorium des Neuen" war. Mittendrin – wie im Herzen – ergänzt Kluge noch, liege Sachsen-Anhalt. Diese Kultur ist durch den Kapitalismus und die Treuhand verbuddelt worden und müsse nun wieder – wie ein Schatz - gehoben werden.
(mle)
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