Alex von Tunzelmann: „Heldendämmerung“

Denkmalstürze haben Tradition

06:15 Minuten
Auf dem Buchcover ist neben Buchtitel und Autorinnenname ein ein liegender großer Kopf eines Denkmals zu sehen.
© Goldmann Verlag

Alex von Tunzelmann

Aus dem Englischen übersetzt von Kristin Lohmann

Heldendämmerung. Wie moderne Gesellschaften mit umstrittenen Denkmälern umgehenGoldmann, München 2022

382 Seiten

17,00 Euro

Von Marko Martin · 18.07.2022
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Die britische Historikerin Alex von Tunzelmann beschreibt in ihrem Buch „Heldendämmerung“ wie Gesellschaften weltweit mit umstrittenen Denkmälern umgehen – und zeigt, dass die Denkmalstürze selbst eine schon lange verbreitete Kulturtechnik sind.
Als im Sommer vor zwei Jahren im Zuge der weltweiten Proteste gegen die Ermordung des Afroamerikaners George Floyd auch diverse Denkmäler gestürzt wurden, sahen die einen darin Akte der Emanzipation, andere hingegen warnten vor Vandalismus oder riefen gar einen „Kulturkrieg“ aus.
Die 1977 geborene britische Historikerin Alex von Tunzelmann lässt in ihrem Buch „Heldendämmerung“ keinen Zweifel daran, dass sie aufseiten derer steht, die solche Denkmalstürze als progressive Chance wahrnehmen. Ein zum Buch aufgeblasener Twitter-Ausrufezeichen-Kommentar ist ihr reportagehafter Essay gleichwohl nicht – und schon gar keine „Kampfschrift“.
Die Autorin ordnet nämlich ein – historisch, politisch und nicht zuletzt ästhetisch. In zwölf Kapiteln wird die Geschichte vorangegangener Denkmalstürze erzählt, was durchaus erhellend ist: Es heilt vom allgemein verbreiteten Köhlerglauben, das jetzige Tagesgeschehen sei „präzedenzlos“.

Denkmalstürze – kein neues Phänomen

Dabei war das Verschwinden-Lassen von (Herrscher-)Statuen über die Jahrtausende hinweg eine regelrechte Kulturtechnik, auch wenn sich Alex von Tunzelmann hier nun vor allem auf Beispiele aus der Neuzeit beschränkt: Von einem Denkmal des englischen Königs Georg III, das 1776 von amerikanischen Unabhängigkeitskämpfern vom Sockel gerissen wurde, über den Sturz von Stalin- und Lenin-Monumenten bis hin zum – ebenfalls von Amerikanern initiierten – Sturz einer verhassten Saddam-Hussein-Statue im Bagdad des Jahres 2003.
Profund werden die jeweiligen gesellschaftlichen Kontexte angerissen und Entscheidendes in Erinnerung gerufen: Denkmäler sind mitnichten organische Bestandteile einer Stadtlandschaft oder „Kultur“. Da diese doch stets „gemacht“ ist, diversen Interessen folgt und deshalb, falls sich die Möglichkeit eröffnet, sehr wohl verändert werden kann – mitunter auch radikal.

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Ohnehin besteht der eigentliche Skandal darin, dass eine in den USA bereits 2017 gestürzte Statue des Südstaaten-Generals Robert E. Lee bei Weitem nicht die einzige ist, die an den einst militärisch unterlegenen Verteidiger der Sklaverei erinnert. Durchsichtig ist deshalb auch der Vorwurf der Denkmalsbefürworter, hier solle „Geschichte ausgelöscht“ werden.
Im Gegenteil: Es geht um die eminent wichtige Frage, ob es sich eine demokratische Gesellschaft leisten kann, einem derart prominenten Vertreter institutionalisierter Barbarei weiterhin öffentlichen Ehrenraum zu geben.

An lange bewusst "Vergessene" erinnern   

Ebenso detailliert wie scharfzüngig nimmt die Historikerin auch das Pseudo-Argument auseinander, dieser oder jener sei eben „ein Mann seiner Zeit“ gewesen. Ein Relativieren, das sich freilich keineswegs nur bei Rechten findet: Auch westlich-linke Schönredner des kommunistischen Terrors drehen mitunter allerlei verbale Pirouetten, um den Abriss von Lenin- und Stalin-Denkmälern nach 1989 in den Staaten Ost- und Mitteleuropas als „Tabula-rasa-Machen“-zu denunzieren.
Im Fall der 2020 in das Hafenbecken von Bristol geworfenen Statue des Sklavenhändlers Edward Colston, der sich im frühen 18. Jahrhundert mit seinem Blutgeld dann auch als „Philanthrop“ betätigt hatte, klingt die verharmlosende Rede eines „Zu seiner Zeit jedenfalls war er respektiert“ besonders obszön.
Denn von wem wohl wurde er "respektiert"? Die Hunderttausenden angeketteten namenlosen Afrikaner und Afrikanerinnen auf seinen Sklavenschiffen hatte damals gewiss niemand befragt. 19.000 von ihnen waren bereits auf See gestorben und ins Wasser geworfen worden.
Formen des angemessenen Gedenkens
An das Schicksal solcher über die Jahrhunderte hinweg ignorant oder bewusst „Vergessenen“ erinnern übrigens unterseeische Sklavenfiguren vor der Küste der Karibikinsel Grenada – zu besichtigen durch Tauchen oder mit Glasbodenbooten. Aber auch terrestrisch gibt es Möglichkeiten: vonden „Stolpersteinen“ bis zu Porträtplastiken und partizipativen Gedenkräumen.
Auch wenn es etwas harsch klingt, dem anschließenden Urteil der Autorin ist zuzustimmen: „Das Problem sind die Statuen selbst. Sie sind didaktisch, arrogant und ausgrenzend.“
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