Album von Pole

Der deutsche Wald übersetzt in elektronische Klänge

Lindenallee am Teutoburger Wald
Die Lindenallee am Teutoburger Wald © picture alliance / dpa / Foto: Thomas Ulrich
Von Andi Hörmann · 01.10.2015
Der weiche Waldboden, das Rascheln der Blätter, das Wiegen der Bäume: In seinem neuen Album "Wald" hat Stefan Betke alias Pole Natur in elektronisch Musik übertragen. Von Mystik und Romantik rund um den deutschen Wald distanziert er sich aber.
"Musik ist dazu da, die Umwelt abzubilden."
"Ich bin aufgewachsen mit der Idee: Alles was Geräusch ist, ist auch irgendwo Klang und Musik. Das weiße Rauschen im Universum ist genauso eine Klangquelle und kann zur Musik werden wie alles, was wir auf der Welt hören."
...Oder eben im Wald hören: Flora und Fauna - Boden, Bäume, Blätter. Das neue Album von Stefan Betke alias Pole trägt den Titel "Wald". Die elektronischen Tracks darauf haben metaphorische Titel wie "Kautz" und "Käfer", "Moos" und "Myzel", "Wipfel" und "Wurzel".
"... oder Erle oder Fichte. Im Idealfall siehst du dann eine Fichte vor dir, wenn du die Musik hörst. Dann ist es mir gelungen, dieses Bild der Fichte oder das, was ich in dem Moment darunter gesehen habe, in die Musik zu übertragen."
Wald als wundersame Inspiration
Der Wald fließt bei Stefan Betke eben nicht direkt über Fieldrecordings in die Musik ein, sondern dient als wundersame Inspiration seiner Geräusch-Kompositionen aus von Dub-Bässen durchzogener Minimal Music.
Stefan Betke ist 1967 in Düsseldorf geboren, spielt als Keyboarder in verschiedenen Bands, bevor er Ende der 1990er-Jahre das fehlerhafte Knacksen eines defekten Waldorf-4-Pole-Filters zum Markenzeichen seiner Musik macht, und sich als Musiker nach diesem Filter benennt: Pole. Eine Studio-Hardware, etwa halb so groß wie ein Laptop, zum filtern von Audio-Signalen.
"Der war heruntergefallen und kaputt und dem habe ich erst mal keine große Beachtung geschenkt. Und dann nach einer gewissen Zeit viel mir auf, dass da immer noch was auf dem Mischpult rum blinkt, und dann habe ich den angemacht und der knackste halt immer noch vor sich hin. Und irgendwie fand ich das Knacksen zu der anderen Musik, die da zufällig über das Mischpult lief, relativ interessant und hab dann dem Fehler mehr Augenschein gegeben als dem eigentlichen programmierten Rhythmus."
Technik auf der einen, Natur auf der anderen Seite
Bei Stefan Betke knispelt und knackst es ganz im Stile von Clicks´n'Cuts, es zischelt und zirpt wie im Musikgenre Glitch. Die Technik auf der einen, die Natur auf der anderen Seite. Erst im Studio werden sie dann zur Musik von Pole, die Eindrücke seiner endlosen Spaziergänge.
"Ich gehe halt sehr viel durch die Welt, wenn ich mir was einfallen lassen will. Im Wald oder auch in Städten. Es muss nicht immer Natur sein. Ich bin jetzt kein Naturbursche. Überhaupt nicht. Ich stehe genauso auf Architektur. Aber ich brauche ein konkretes Bild. Ich brauche etwas, was ich wirklich sehe und mit nach Hause nehmen kann."
Berlin, Prenzlauer Berg, Hinterhofhaus, 3. Stock. Hier lebt und komponiert Stefan Betke. Rechts die Wohnräume, links die Arbeitsräume - akribisch aufgeräumt, konzentrierte Ordnung satt kreatives Chaos. Eine Vinyl-Schnitt-Maschine, ganz viel Computer-Hightech. In einer etwa zehn Quadratmeter kleinen Studiokabine türmen sich um ein riesiges Mischpult analoge Synthesizer aus den letzten Jahrzehnten.
"Das neue Album, das ich jetzt gerade fertig gemacht habe, basiert auf dieser komischen Box hier oben. Das war früher in den 70er-Jahren eine ganz normale Rhythmusmaschine mit diesen vorgefertigten Beats - Bossa Nova, Rumba, Cha-Cha-Cha, wo man einfach eine Taste drückt und dann spielte diese Kiste."
Sieht aus wie eine alte, blecherne Schreibmaschine - mattgrau mit Stecksystemen für kleine, bunte Mini-Klinke-Kabel. Rot, gelb und grün.
Unberechenbarkeit einer fehlerhaften Rhythmusmaschine
"Jetzt steht da eigentlich das, was ich auch gesteckt habe. Irgendwie eine Bassdrum und irgendwie ein Pöng und ein bisschen eine Hi-Hat oben drüber..."
Die Unberechenbarkeit dieser fehlerhaften Rhythmusmaschine lockt für Stefan Betke musikalische Überraschungen beim Komponieren hervor. Und genau hier ist der Link zu seiner Inspirationsquelle für sein neues Album "Wald": Wie bei einem Waldspaziergang mit wundersamen neuen Eindrücken wird das Spielen auf fehlerhaften Musikinstrumenten zum ständigen Erforschen und Staunen.
"Das sind die schönen Momente: Man hat einen Akkord und eine Basslinie und tut einen Effekt hinzu, und auf ein mal fangen die Dinger an zu morphen und sich zu bewegen."
Mit dem Album "Wald" komponiert Pole Bewegung in der Natur. Der weiche Boden, das Rascheln der Blätter, das Wiegen der Bäume - sie werden nicht wirklich hörbar, sondern in elektronische Musik übersetzt. Der Hörer muss dabei den entscheidenden Schritt machen - weg vom Konkreten, hin zum Abstrakten.
Die Musik von Pole kommt nicht zu einem, man muss sie an sich heranlassen. Ganz im Sinne von: So wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch heraus. Denn nur dann hören wir es auch, das Grüne, das Weiche, das Feuchte - wie hier in dem Stück "Moos":
Schnappschüsse - geknipst mit Geknackse
"Das ist nicht mystisch zu sehen oder irgendwie glorifizierend, so deutsch und Deutschtümelei und Wald und so weiter. Die meisten Inspirationen für dieses neue Album kamen nun mal aus Wäldern, deswegen heißt das Album 'Wald'."
Schon die Band Kraftwerk hat auf ihrer Platte "Trans Europa Express" die deutsche Romantik in ihrer elektronischen Popmusik aufgegriffen. Die Begegnung eines deutschen Musikers mit Buche und Eiche kann vielleicht nicht gänzlich unvoreingenommen sein. Doch Stefan Betke alias Pole sucht und findet im Wald nicht die Transzendenz und Weltflucht der Romantiker. Es entstehen akustische Momentaufnahmen aus der Natur, die wirken wie fotografische Schnappschüsse - geknipst mit Geknackse.
Die musikalischen Unschärfen aus fehlerhafter Studiotechnik werden dabei zu einer Brücke zwischen Lebendigem und Abstraktem. Ein abgebrochener Ast, ein schiefer Ton. Und glänzt die Schönheit von Natur und Musik nicht erst durch den kleinen Makel?
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