Album über Bedford

Johnny Parry vertont seine Heimatstadt

Porträtfoto des Musikers Johnny Parry.
Porträtfoto des Musikers Johnny Parry. © [ps] promotion / Richard Cooper
Von Kerstin Poppendieck · 31.01.2017
Was magst Du an dir? Wer sind Deine Kindheitshelden? Der britischen Musikers Johnny Parry hat den Bewohnern seiner englischen Heimatstadt Bedford insgesamt acht Fragen gestellt - und aus Hunderten Textfragmenten acht Songs für sein Album "An Anthology Of All Things" geformt.
Johnny Parry: "Normalerweise schreibe und singe ich meine Lieder selbst. Aber irgendwann war ich fasziniert von der Idee, Dinge zu sammeln: Listen zum Beispiel oder große Textmengen, und diese dann zu ordnen und strukturieren. Als ich dann von meiner Heimatstadt Bedford den Auftrag bekommen habe, ein Musikstück zu komponieren, hatte ich die Idee, Daten der Bewohner von Bedford zu sammeln und daraus Musik zu machen."
"Eleanor, im Sommer werde ich sie heiraten. Jolene, ich glaube, meine Schwäche für sie lässt sich nicht verbergen. Oh Marie, dreh dich um und sieh mich an." Für wen würdest Du ein Lied schreiben? hat Johnny Parry Bewohner von Bedford gefragt und Teile der Antworten für den Text zum Stück "A Song for Someone" verwendet. Jede Liedzeile besteht aus einem Namen und einer kurzen, fragmentarischen Begründung.
Aus den Antworten zu acht Fragen hat er acht Musikstücke komponiert und so ein musikalisches Bild seiner Heimatstadt Bedford gezeichnet, eine Kleinstadt eine Autostunde von London entfernt. Knapp 90.000 Menschen leben hier. "Sie waren so vorhersehbar" sagt er mit einem Lächeln über die Antworten von Kindergartenkindern, die er nach ihren Helden gefragt hat, um daraus das Stück "Childhood Heroes" zu komponieren.

"Es ging mir mehr um die Begründung"

"Alle Jungs haben Batman oder Superman gesagt, und alle Mädchen sagten Mama oder die besten Freunde. Das habe ich so aber nicht verwendet. Sondern, wenn ein Junge sagte Spiderman, dann haben wir gefragt: Warum? Warum ist er dein Held? Und dann bekamen wir so Antworten wie: weil er Spinnennetze schießen kann und auf Dächern klettert. Das waren dann die Textfragmente, die ich verwendet habe. Es ging mir mehr um die Begründung, als um den Namen des Superhelden, egal, ob das jetzt Spiderman war oder die Mutter."
Johnny Parry ist geboren und aufgewachsen in Bedford. Mit 15 hat er Musik für sich entdeckt und war von Klassik genauso begeistert wie von Folk und Rock. Ganz offensichtlich ist das auch bis heute so geblieben. Denn auch wenn die meisten Stücke eher klassische Musik sind, versetzt der heute Mitte 30-Jährige seine Kompositionen mit Pop-Elementen.
Monatelang hat John Parry Menschen befragt, war in Schulen, Altersheimen, hat spezielle Workshops veranstaltet und ist durch Bedford gelaufen auf der Suche nach immer mehr Antworten auf Fragen wie: Wie war Dein Leben 1942? Welche Liebeserklärung wirst Du nie vergessen? Welcher Film hat dich geprägt? Die Antworten waren teilweise sehr emotional, wenn Menschen von Evakuierungen erzählten, oder wie sie während des Zweiten Weltkrieges Kuchen aus Pappe aßen.
Und dann gibt es Antworten, bei denen man eher mit den Augen rollt, wenn zum Beispiel jemand bei der Frage nach einer Liebeserklärung sagt: Meine Name ist Auto. Lass mich in Deiner Garage parken. Am Ende hatte er eine riesige Datenbank mit Antworten. Wobei das aus musikalischer Sicht nicht das Ende war, sondern erst der Anfang. Aus diesem riesigen Datensatz wollte er ja jetzt ein Musikstück komponieren.

"Es war wie ein Puzzle"

"Ich kann mir nichts vorstellen, dass sich unkreativer anfühlt, als Musik nach einer Excel-Tabelle zu komponieren. Das fühlt sich einfach falsch an. Aber als ich die Daten geordnet und dann die Musik druntergelegt habe, hat es einfach gepasst. Die Musik wurde zu einer Art Reaktion auf den Text. Und je mehr Zeit ich mit den Textfragmenten verbracht habe, um so mehr hab ich ein Gefühl für Text und Musik bekommen. Es war wie ein Puzzle, das beschreibt es ganz gut."
Nachdem die acht Kompositionen des Albums fertig waren, begannen die Proben des Chores. Anstatt mit einem Profi-Chor zu arbeiten, hat Johnny Parry einen Amateurchor zusammengestellt aus Bewohnern Bedfords. Jeder, der Lust hatte, konnte mitsingen. Es gab keine Vorsingen, kein Auswahlverfahren. Kaum einer der Sänger konnte zu Beginn Noten lesen oder hatte jemals öffentlich gesungen. Aber darum ging es Johnny Parry nicht. Er wollte die Menschen Bedfords porträtieren und das so authentisch wie möglich.
Sicher wäre es interessant gewesen, beim Stück über die Kindheitshelden die Kinder selbst singen zu hören, wenn man aber einen gewissen musikalischen Standard haben möchte, ist das wohl unrealistisch. Aber auch so ist es kein leichtes Album geworden, sondern eines, das Aufmerksamkeit erfordert.

Wie durch ein Schlüsselloch spähen

Die Idee hinter dem Projekt ist beeindruckend und außergewöhnlich. Und wenn man die Texte im Booklet liest, bekommt man einen Eindruck von den Menschen in Bedford. Es ist ein bisschen wie durch ein Schlüsselloch spähen. Man sieht einen kleinen Ausschnitt, nicht aber das ganze Bild. Für die Bewohner der britischen Stadt allerdings wird dieses Album und seine Entstehungsgeschichte einzigartig sein.
"Auch wenn das jetzt kitschig klingt, der Gemeinschaftsgedanke hinter diesem Projekt, die Tatsache, dass so viele Menschen zusammen an diesem Projekt gearbeitet haben, all das war etwas ganz Besonders für mich. Ich wurde immer stolzer, je mehr Menschen sich beteiligt haben und auch Beziehungen untereinander aufgebaut haben. In dieser Komposition steckt so viel von so vielen Menschen, dass es eine Menge üben den Zustand der Gesellschaft erzählt."