Album "6am" von Kutiman aus Israel

Digitaler Soundmixer und politischer Eskapist

Der israelische Musiker, Komponist und Produzent Ophir Kutiel ist als Kutiman bekannt.
Der israelische Musiker, Komponist und Produzent Ophir Kutiel ist als Kutiman bekannt. © Ariel Tagar
Von Martin Risel · 29.06.2016
Berühmt wurde Kutiman als Produzent anderer Musiker - und für Tracks, die er aus Musikschnipseln bei YouTube zusammengebastelt hat. Jetzt präsentiert der Israeli ein Album mit ganz eigenen Songs zwischen Soul, Jazz und 60ies-Sound: "6am" heißt das Werk.
"Ich weiß nicht, ob ich die bewusst einsetze, aber ja: Ich liebe diese Vintage Sounds aus den 60er-, 70er-Jahren, mit so einer mystischen Atmosphäre. Und für viele Leute klingt dieser Song 'Dangerous' nach James Bond. Vielleicht schafft er es ja in so einen Film."
Da schmunzelt er halb schüchtern, halb triumphierend aus seinem wuseligen Backenbart: Kutiman, äußerlich fast ein Typ Che Guevara, aber der 34-jährige Israeli ist ein sanfter, musikalischer, kein politischer Revolutionär.

Rückzug in den Kibbuz in Südisrael

Während der letzten seiner zwölf Jahre in der multikulturellen Metropolenregion von Tel Aviv ist sein neues Album entstanden. Aber die Stadt hat ihn aufgefressen. Er wollte lieber an einem ruhigen Platz in der Natur leben, zog in ein Kibbuz im Süden Israels. Davon erzählt auch dieser Song "Dangerous" – nicht vom gefährlichen Leben in Tel Aviv nach den jüngsten Attentaten:
"Gefährlich nicht in dem Sinne, dass jemand mich töten könnte, sondern dass die Stadt meiner Seele schadet. Aber seit ich aufs Land gezogen bin, bin ich sehr glücklich. (Schmunzelt)
Für dieses Album habe ich immer tagsüber geschlafen und nachts gearbeitet. Früh um sechs hab ich dann draußen eine geraucht und den Sonnenaufgang über dem Hafen angeschaut. - Die Nacht ist sehr inspirierend. Das war gut für meine Musik, aber nicht für die Gesundheit. Inzwischen versuche ich allerdings, normaler zu leben."

Mit "ThruYOU" zu Weltruhm

Und auch seine Kompositionsweise hat sich gewandelt. Nach ersten Veröffentlichungen bei einem Kölner Indie-Label kam Kutiman 2009 zu Weltruhm mit seinem Projekt "ThruYOU". Aus Musikschnipseln bei YouTube hatte er dabei in virtuoser Video- und Audio-Schnitt-Technik lauter neue Songs zusammengebastelt. Eine Art neues Komponieren im 21. Jahrhundert:
"Bei diesem YouTube-Sample-Projekt arbeitete ich ja mit Cut-and-Paste-Technik. Aber für '6am' habe ich normal im Studio mit mir selbst gejammt, ein Instrument nach dem anderen aufgenommen. Und als die Struktur stand, vielleicht noch einen Freund mit Trompete oder Geige dazu geholt. Aber das andere hab ich alles selbst eingespielt."
Mit sechs hat der kleine Ophir Kutiel Klavier gelernt, später Gitarre und Schlagzeug, Studium an der Hochschule für Jazz und zeitgenössische Musik in Tel Aviv.
Jazz-Avantgardist Sun Ra hat ihm die Augen geöffnet für die Freiheit in der Musik. Auch Fela Kuti gehört zu seinen Vorbildern, Kutimans Künstlername geht aber vor allem auf seinen Spitznamen Kuti zurück.
Singen will er nicht selbst. Und hat sich deshalb für sein ausgereiftes Album zwischen Soul, Jazz und 60ies-Sound ein paar talentierte Gastsänger dazu geholt.

Neues Album von zeitloser Qualität

"6am" ist ein Album von zeitloser Qualität geworden, mit schönen Melodien, die ablenken vom Tel Aviver Tanz auf dem Vulkan – dem ausgelassenen Feiern vor dem Hintergrund lauernder Gewalt.
Kutiman lässt sich davon nicht mehr irritieren. Wie die meisten Leute in seinem Kibbuz ist er Atheist. Und entgegen seinen politisch sehr interessierten Eltern flüchtet er in seine kulturelle und persönliche Parallelwelt:
"Ich bin ne Art Eskapist. Mit 18 habe ich aufgehört, Nachrichten zu sehen oder Zeitungen zu lesen. Ich glaube an all das nicht mehr, das ist zu viel für mich. Ich fokussiere mich darauf, liebenswürdig unter meinen Leuten zu sein. Also ich weiß wirklich nicht, was los ist und ich sagen sollte."
In seinen Kopf und Kibbuz lässt er Fragen nach dem Konflikt zwischen Juden und Palästinensern nicht hinein - und weiß einfach keine Antwort zur aktuellen Situation. Nur diese:
"Diese Kriegs-Situation ist offensichtlich nicht gut für die Menschen. Und davon sind zuerst auch die Künstler betroffen: Die Leute gehen nicht mehr in Konzerte, kaufen keine Bilder mehr. – Frieden wäre besser für uns alle. Aber dieser Krieg ist für mich schon immer Realität, das ist nicht neu."
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