Albträume am Beginn einer neuen Zeit

Von Christian Gampert |
Am romantischen Gestus interessiert die Frankfurter Schau nicht zarte Empfindung, erhabene Landschaft, Religiösität oder Innerlichkeit. Sie erzählt das Dämonische, Depressive und auch Destruktive in der Kunst.
Vorhang auf für die düsteren Seiten der Kunstgeschichte! In dieser grandiosen Schau im Frankfurter Städel trifft man auf Füsslis „Nachtmahr” von 1790, auf Goyas „Caprichos“ von 1797, aber man sieht auch das Bild einer Kindsmörderin des in Deutschland eher unbekannten Antoine Wiertz von 1853.

Am Anfang steht natürlich Füsslis „Nachtmahr” von 1790, dieses düstere Gemälde mit hingegossener, weißgewandeter, aber sexuell empfänglicher Jungfrau, die aus dem Dunkel bedrängt wird von animalischen Gestalten, einem katzenartigen, tiermenschlichen Mischwesen mit Hasenohren und von einem Pferdekopf mit glühenden Augen.

Das Bild ist paradigmatisch für den kuratorischen Ansatz. Während manche das Licht der Aufklärung für den Anfang der Moderne halten, ihre Klarheit, die Suche nach wissenschaftlicher Exaktheit, sagt die Gegenfraktion – zum Beispiel der Literaturwissenschaftler Karl Heinz Bohrer – das pure Gegenteil: Nein, die Romantik mit ihren Albträumen und ihrer Hinwendung zum Verdrängten ist der Beginn der neuen Zeit.

Mit diesem Zugang operiert auch die Frankfurter Ausstellung. Am romantischen Gestus interessiert sie nicht Gefühl, zarte Empfindung, erhabene Landschaft, Religiösität oder Innerlichkeit. Der Kurator Felix Krämer zeigt vielmehr die Nachtseite der Romantik – und erzählt das Dämonische, Depressive und auch Destruktive in der Kunst – und in der Gesellschaft – gleich weiter bis in den Symbolismus und Surrealismus hinein. Und zwar nicht als deutsches, sondern als europäisches Phänomen…

„In Deutschland wird oft von der deutschen Romantik gesprochen. Das wird als etwas Besonderes betrachtet – bis zu der Aussage, nur in Deutschland gebe es Romantik. Das sehen die Franzosen, Spanier, Engländer sehr, sehr anders, die reklamieren die Romantik durchaus auch für sich.“

Gerade der Beginn der Ausstellung ist grandios konzipiert: Der erste Saal gehört dem in England berühmt gewordenen Schweizer Füssli – der aber von seinem „Fliehenden Satan“ so fasziniert ist, dass er ihn in voluminöser Untersicht fast im Stil Michelangelos malt. Im nächsten Saal sieht man dann zehn hochkarätige Blätter aus Goyas „Caprichos“ von 1797, darunter natürlich „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“. Weiterhin: Grausamkeiten aus dem Spanischen Krieg, Kannibalismus, Irre im Verlies, sexuelle Monster. Und es fällt auf, dass all diese Werke, auch von Füssli, zeitlich in unmittelbarer Nähe zur Französischen Revolution – und deren Grausamkeiten – entstanden sind.

„Der historische Hintergrund ist wirklich diese Epochenwende: Französische Revolution. Wo einfach eine junge Generation von Künstlern mit großen Hoffnungen an die Sache gegangen ist, und diese Hoffnungen sind in kurzer Zeit enttäuscht worden. Statt zu Befriedung und Demokratisierung führte das ja zu blutigem Terror und zu Unterdrückung.“

Das Besondere aber ist nun, dass der Kurator Felix Krämer all diese Themen verknüpft und weiterführt. Zwischen Füssli und Goya steht nämlich ein schwarzes Kabinett, in dem man den nach Mary Shelleys Roman gedrehten „Frankenstein“-Film von James Whale (von 1931) in Auszügen sehen kann. Wenn Frankensteins Monster den Raum betritt, legt sich die Braut in genau der gleichen Pose aufs Bett wie die Frau in Füsslis Nachtmahr. Und Boris Karloff als Monster trägt eine Maske, die exakt einer Figur aus dem Goya-Zyklus nachempfunden ist. Die schwarze Romantik wird hier also weitergeführt bis in den Horrorfilm – und natürlich in die Literatur.

Denn weite Teile der folgenden Säle – Delacroix‘ Hamlet, Doktor Faust und „Mephisto in den Lüften“ – sind literarisch inspiriert. Und es gibt relativ unbekannte Werke zu entdecken. Von Samuel Colman, aus dem Brooklyn Museum geliehen, sieht man eine Szene „Vor dem Weltuntergang“, eine im Feuer zusammenstürzende Stadt. Da sind wir schon mitten im 19. Jahrhundert, nämlich 1836.

„Kunstgeschichte verengt sich aus dem historischen Abstand immer auf wenige Künstlerpersönlichkeiten. Aber wenn man dann eintauchen will in die Zeit, ist die Kunstgeschichte natürlich viel heterogener.“

Wir sehen zum Beispiel ein sozialkritisches Bild des in Deutschland eher unbekannten Antoine Wiertz: „Hunger, Wahnsinn und Verbrechen“ (1853) – eine Kindsmörderin, die irren Blicks ihr in ein Tuch gewickeltes, gemeucheltes Baby in den Armen hält.

Armut und sogar die Industrialisierung sind also durchaus präsent – und werden sogleich konfrontiert mit deutscher romantischer Innerlichkeit, mit einer nächtlichen Meerlandschaft von Caspar David Friedrich.

„Wenn man einen Schritt zurückgeht und sich Friedrich, das Oeuvre, in der Gänze anschaut, dann ... – natürlich gibt es diese religiöse Komponente, aber es gibt auch eine wahnsinnige Todessehnsucht in den Werken. Immer wieder sind es die einsamen Schluchten, es sind die Friedhöfe, einsame Wälder.“

Caspar David Friedrich wird in Frankfurt zurückgeholt in ein Ensemble aus Horrorbildern, Fledermäusen, Geiern, sexueller Versuchung, aus Mythen und bedrohlichen Märchen. Die Ausstellungs-Teile zu Symbolismus und Surrealismus wirken – in der Breite – deutlich schwächer. Auch hier gibt es großartige Werke – „Brügge, die tote Stadt“ von Fernand Khnopff, eine hingestreckte „Indolente“ von Bonnard, Munchs Eifersuchtsbilder, Kubins Dämonen. Aber die Dichte und Stärke der ersten Säle erreicht man hier nicht mehr.

Der dem Surrealismus gewidmete Teil zeigt dann immerhin das zerschnittene Auge aus dem Film von Bunuel und Dali. Und dass Sehen und Erkennen weh tun kann, das demonstriert auch diese großartige Ausstellung.

Informationen des Städel Museums über die Ausstellung „Schwarze Romantik“