Entrüstung als Kalkül

Mit seinem Vorschlag einer Pauschalabgabe für Autofahrer hat Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) viel Protest geerntet. Katharina Hamberger glaubt, hinter dem Vorschlag steckt der Plan, sich für höhere Ämter zu profilieren.
Mit seinem Vorschlag einer Pauschalabgabe für Autofahrer hat Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) viel Protest geerntet. Katharina Hamberger glaubt, hinter dem Vorschlag steckte trotzdem Kalkül. Nämlich der Plan, sich zu profilieren. Auch für höhere Ämter.
Unbeholfenheit war es sicher nicht, die Torsten Albig zu seinem Schlaglochsoli brachte, glaubt Katharina Hamberger. Hinter dem Vorschlag steckte vielmehr Kalkül. Nämlich der Plan, sich zu profilieren. Auch für höhere Ämter.
Das Rezept ist so einfach, dass es jeder nachkochen kann: Man nehme ein Thema, das man für wichtig hält, überlege sich, wo man Handlungsbedarf sieht, formuliere einen Vorschlag dazu und spitze ihn so zu, dass er auch denjenigen, der in der hintersten Ecke des Stammtisches sitzt, emotional trifft. Das Ganze serviere man zu einer nachrichtenarmen Zeit – dann wenn Redakteure und Korrespondenten besonders hungrig sind. Und schwupps: Hat man die gewünschte Aufmerksamkeit. Frei nach diesem Rezept hat auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig am Osterwochenende wieder gekocht.
Etwa hundert Euro sollte jeder deutsche Autofahrer pro Jahr zahlen. Das Geld käme in einen Fonds, der für den Erhalt der Infrastruktur eingesetzt wird. Soweit, so einfach die Idee des SPD-Politikers. Aber auch so unausgegoren. Es gab gewaltig Gegenwind für Albig, auch aus der eigenen Partei. Eine Mehrbelastung für deutsche Autofahrer war im Koalitionsvertrag ausgeschlossen worden – denn mit wenig macht man sich unbeliebter. Und verärgert waren sicher auch einige, weil das Problem an sich nicht neu ist.
Die Koalition weiß um den Zustand deutscher Straßen, hat aber kein vernünftiges Konzept auf dem Tisch liegen. Durch die Lkw-Maut kommt wohl weniger Geld rein als gedacht. Die von Verkehrsminister Alexander Dobrindt, CSU, geplante Pkw-Maut bringt voraussichtlich so wenig, dass man sie getrost als Tropfen auf den heißen Stein bezeichnen kann.
Albig legt den Finger in eine alte Wunde
Das Geld fehlt, weil in den vergangenen Jahren zu viel neu gebaut und zu wenig repariert worden ist. Schlichte Fehlplanung also. Damit hat Albig den Finger in eine alte Wunde gelegt. Viel Zündstoff: Plötzlich wurde wieder heftig über die Finanzierung der Infrastruktur diskutiert. Auch in Zusammenhang mit dem Überschuss an Steuereinnahmen. Denn was tut man damit: Kalte Progression endlich angehen oder doch besser Straßen sanieren?
Was aber steckt hinter Albigs Vorschlag, für den er eigentlich nur eins auf die Mütze bekommen konnte? Dummheit oder Naivität war es sicher nicht. Denn Albig war vor seiner Zeit als Regierungschef in Kiel Pressesprecher, weiß welches Zahnrad er anschubsen muss, damit die Maschine läuft. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass er das macht. Bei der doppelten Staatsbürgerschaft hat er mehr gefordert, als im Koalitionsvertrag steht. Gut angekommen ist sein Vorstoß nicht – diskutiert wurde trotzdem. So jetzt auch mit seiner Pauschalabgabe für deutsche Autofahrer: Dass das niemand gut finden wird, muss ihm klar gewesen sein. Nun sagt er, er habe ein drängendes Problem angesprochen – und er habe eben einen ersten Vorschlag gemacht.
Da bringt sich jemand in Stellung
Was sicher auch dahinter steckt, obwohl er es nicht zugeben mag: Profilierung seiner selbst. Der Kieler spielt Opposition in der eigenen Partei, nachdem ein großer Teil beschlossen hat, erstmal geschlossen hinter dem Koalitionsvertrag zu stehen. Da bringt sich jemand in Stellung – denn Albig weiß, irgendwann wird auch Parteichef Sigmar Gabriel wackeln. Und dann wird man eher an einen denken, der laut ist, als an einen, der immer leise im Hintergrund gearbeitet hat.
Das Ganze beherrschen übrigens nicht nur die Norddeutschen. Meister der Zuspitzung sitzen auch in der CSU. "Wer betrügt, der fliegt". Mit diesem Satz sorgten die Christsozialen für Unruhe zwischen Weihnachten und Neujahr. Die Folge: eine Diskussion über Zuwanderung. Genau das sei auch die Intention gewesen; man habe doch nur mal ein Thema ansprechen und eine Diskussion anstoßen wollen. Und das funktioniere eben nur über Zuspitzung, geben die Christsozialen anschließend frech zu. Dass es der CSU auch immer um Profilierung geht, wird dezent totgeschwiegen. Gibt ja auch keiner gerne zu. Aber ein Kalkül bei der "Wer betrügt, der fliegt"-Nummer war ohne Zweifel auch, den rechten, konservativen Rand, dem die Union insgesamt zu sehr in die Mitte rückt, zu binden.
Es sind in der Tat wichtige Themen, die Albig, Seehofer und Co. ansprechen. Zuwanderung – natürlich müssen wir darüber sprechen. Aber doch bitte nicht so. Infrastrukturfinanzierung – natürlich braucht es dafür gute Konzepte. Aber doch nicht so unausgegorene. Traurig ist aber: Es funktioniert. Nur wenn jemand polemisch oder populistisch wird, dann wird ein Thema aus der Nische gezerrt. Und leider passiert das nicht nur um des Themas willen – ein Stück Eigennutz ist immer dabei.