Albig: Steuerpläne sind "Absurdistan"
Der Oberbürgermeisters von Kiel, Torsten Albig (SPD), hat die Regierung aufgefordert, die Kommunen bei der Finanzierung von staatlichen Aufgaben zu bevorzugen. Erst wenn dann noch Mittel übrig seien, sollten "unsinnige Koalitionsvertragswünsche" erfüllt werden.
Hanns Ostermann: Politik ohne Geld – Sie glauben, das geht nicht? Das muss gehen, denn genau darüber reden heute Vertreter von Bund, Ländern und Gemeinden bei einem Kommunalkongress in Weimar. Der soll weit in die Republik hineinstrahlen, denn was hilft ein relativ zufriedener Blick auf früher, wo ja alles besser war, wenn die nächste Zukunft, nein, die Gegenwart düster aussieht? Viele Kommunen pfeifen aus dem letzten Loch, die Lage ist dramatisch. Zu den Mängelverwaltern gehört neben vielen anderen auch Kiels Oberbürgermeister Torsten Albig von der SPD. Er war früher Sprecher von Finanzminister Peer Steinbrück. Guten Morgen, Herr Albig!
Torsten Albig: Guten Morgen aus Kiel!
Ostermann: Wie weit sind Sie an der Förde von griechischen Verhältnissen entfernt?
Albig: Ehrlich gesagt, gar nicht so weit. Wenn Sie gucken, was war denn der Grund dafür, dass jetzt Griechenland, Athen da steht, wo es steht, dann ist es eine Änderung der Marktauffassung über die Zahlungsfähigkeit. Würde sich diese Marktauffassung über meine Zahlungsfähigkeit in Kiel oder die der deutschen Kommunen morgen ändern, hätten wir übermorgen vielleicht nicht genau die, aber sehr ähnliche, nämlich viel höhere Zinsverhältnisse mit dramatischen Folgen für unsere Haushalte.
Ostermann: Ich gehe aber davon aus, dass Sie nicht mit gezinkten Karten gespielt haben oder Ihre Vorgänger.
Albig: Den Teil Griechenlands haben wir nicht, aber den Teil, dass wir abhängen in Bewertungen auch von Finanzmärkten, den haben wir genauso.
Ostermann: Herr Albig, in welchen Bereichen bekommen die Bürger das bei Ihnen ganz besonders zu spüren? Sind es die öffentlichen Gebäude, Sport, Kultur, Jugendarbeit?
Albig: Ja, in der Reihenfolge, Straßen kommen dazu. Wenn Sie nach dem Winter schauen: Wir sind jetzt einmal durch mit dem Flicken nach dem Winter, da reicht jetzt aber schon im nächsten ein ganz normaler Winter, um die Flickdecken und das Flickwerk wieder sichtbar zu machen und die Löcher wieder auftreten zu lassen. Also, wir haben nicht mal mehr die Kraft, grundzusanieren und Straßen wieder in Schuss zu bringen. Übrigens: Der bemerkbarste Posten dieses Winters lag gar nicht an dem Winter, sondern an den Jahren davor, weil wir da nicht genügend Geld in unser Vermögen – sprich, in unsere Straßen – gesteckt haben. Sie sehen das aber für mich noch viel dramatischer und schwerwiegender in unseren Schulgebäuden, in unseren Kita-Gebäuden. Wir schicken junge Menschen in Räumlichkeiten, bei denen die nun alles lernen, aber ganz bestimmt keinen Respekt vor dieser Gesellschaft.
Ostermann: Das heißt, es hat dann letztlich auch Folgen für die Demokratie? Darüber wird in Weimar heute ja bei diesem Kongress auch gesprochen. Besteht da die Gefahr, dass möglicherweise eine Generation heraufwächst, die tief enttäuscht ist von diesem unserem Staate?
Albig: Das ist etwas, was ich mit ganz großer Sorge sehe, denn wenn Sie jeden Tag in eine Schule gehen, in der die Toilette kaputt ist, eine Schule gehen, in der die Stühle kaputt sind, eine Schule gehen, in der Sie Angst haben müssen, dass Ihnen die Fenster bei Ostwind auf den Kopf fallen – und das ist nicht einfach so dahergesagt, sondern es sind reale Kieler Situationen –, wie sollen Sie dann den Eindruck entwickeln, dass sich diese Gesellschaft um Sie kümmert, dass Sie ihr etwas wert sind? Wenn Sie dann, nach 16 oder 17 Jahren, ins Nachschulleben gehen, und dann kommen Sie als Oberbürgermeister und sagen, so, junger Mensch, ich erwarte von dir, dass du dich einsetzt für dieses Land, für diese Gesellschaft, dass du mitmachst, dass du nicht dieser Politikverdrossenheit folgst – dann lacht der mich doch aus.
Ostermann: Die Kommunen sind strukturell unterfinanziert, sagen die Fachleute. Nun hat Finanzminister Schäuble eine Kommission berufen, die eine Reform der Gewerbesteuer vorbereiten soll. Schiebt man das Problem damit auf die lange Bank?
Albig: Na ja, unsere Sorge ist: Man wird es eigentlich nur verschlimmern. Zumindest einer der Koalitionspartner, der ja auch beteiligt ist – übrigens anders als die Kommunen, sie sind jedenfalls nicht mit ihren Praktikern in dieser Kommission vertreten, da ist keine Bürgermeisterin und kein Bürgermeister drin –, hat sich zum Ziel gesetzt, die Gewerbesteuer zu schleifen. Das macht nun nicht sehr mutig bei der Überlegung, Herausforderung: Wie verbessere ich denn die strukturelle Finanzierung deutscher Kommunen? Das Beste, was aus so einer Kommission herauskommt, dass sie ... dass nichts herauskommt und wir genauso schlecht dastehen wie heute. Am schlimmsten wäre es, sie setzen ihre Koalitionsverträge auch in dem Punkt durch. Das machen sie ja bei Hoteliers oder an anderer Stelle sehr gerne, immer zu Lasten von Kommunen.
Ostermann: Herr Albig, aber welche Konsequenzen fordern Sie, der Sie jetzt die praktische Erfahrung gesammelt haben? Vorher hatten Sie mehr den Blick aus Berlin heraus auf den Alltag in den Kommunen, jetzt sind Sie selbst Betroffener. Also was fordern Sie von Berlin?
Albig: Ich fordere von Berlin, dass sie das, was die Menschen in unseren Städten schon lange erleben – dass ihre Realität bestimmt wird von der Stadt, in der sie leben, und weniger von dem Staat, in dem sie leben –, dass wir bei der Finanzierung unserer Aufgaben auch in der Reihenfolge an diese Aufgabe herangehen, dass wir erst die Städte, erst die Kommunen berücksichtigen, erst drum kümmern, dass die Straßen ordentlich aussehen, erst drum kümmern, dass die Kindertagesstätten ordentlich aussehen, erst drum kümmern, dass unsere Schulen auch den Namen verdienen. Und wenn wir dann noch Geld übrig haben, dann mag das ja von mir aus gerne zur Erfüllung von unsinnigen Koalitionsvertragswünschen – wie halber Mehrwertsteuersatz für Hoteliers – genutzt werden. Im Augenblick wird es nur andersherum gemacht. Es gibt Länder wie Schweden, die machen das schon immer richtig und beachten in der Verteilung erst Göteborg und dann den Gesamtstaat.
Ostermann: Jetzt hören Sie natürlich auch die Stimmen der FDP: Wir wollen an der Steuersenkung in Höhe von 16 Milliarden festhalten und zwar so schnell wie möglich. Wie bewerten Sie das als Kommunalpolitiker?
Albig: Das ist Absurdistan und es tut schon fast weh, diese groteske Verkennung der Realität immer wieder zu hören. Es tut doppelt weh, weil jeder weiß, dass für eine Volkswirtschaft, die ein Bruttoinlandsprodukt von über zwei Billionen Euro hat, eine Veränderung von 16 Milliarden Euro gar nichts bewirkt, schon mal gar kein Wachstum. Aber die 16 Milliarden kommen in meiner Stadt wieder mit einem bei zweistelligen Millionenbetrag an Steuerausfällen an, und das merken die Menschen sofort. Also, ich bezahle eine Belastung kommunaler Infrastruktur, kommunaler Leistungsfähigkeit mit erkennbar keiner volkswirtschaftlichen Wachstumswirkung. Was für ein Unsinn ist das denn?
Ostermann: Torsten Albig von der SPD, Oberbürgermeister in Kiel. Herr Albig, danke für das Gespräch heute früh.
Albig: Sehr gerne, schönen Tag!
Ostermann: Ihnen auch!
Torsten Albig: Guten Morgen aus Kiel!
Ostermann: Wie weit sind Sie an der Förde von griechischen Verhältnissen entfernt?
Albig: Ehrlich gesagt, gar nicht so weit. Wenn Sie gucken, was war denn der Grund dafür, dass jetzt Griechenland, Athen da steht, wo es steht, dann ist es eine Änderung der Marktauffassung über die Zahlungsfähigkeit. Würde sich diese Marktauffassung über meine Zahlungsfähigkeit in Kiel oder die der deutschen Kommunen morgen ändern, hätten wir übermorgen vielleicht nicht genau die, aber sehr ähnliche, nämlich viel höhere Zinsverhältnisse mit dramatischen Folgen für unsere Haushalte.
Ostermann: Ich gehe aber davon aus, dass Sie nicht mit gezinkten Karten gespielt haben oder Ihre Vorgänger.
Albig: Den Teil Griechenlands haben wir nicht, aber den Teil, dass wir abhängen in Bewertungen auch von Finanzmärkten, den haben wir genauso.
Ostermann: Herr Albig, in welchen Bereichen bekommen die Bürger das bei Ihnen ganz besonders zu spüren? Sind es die öffentlichen Gebäude, Sport, Kultur, Jugendarbeit?
Albig: Ja, in der Reihenfolge, Straßen kommen dazu. Wenn Sie nach dem Winter schauen: Wir sind jetzt einmal durch mit dem Flicken nach dem Winter, da reicht jetzt aber schon im nächsten ein ganz normaler Winter, um die Flickdecken und das Flickwerk wieder sichtbar zu machen und die Löcher wieder auftreten zu lassen. Also, wir haben nicht mal mehr die Kraft, grundzusanieren und Straßen wieder in Schuss zu bringen. Übrigens: Der bemerkbarste Posten dieses Winters lag gar nicht an dem Winter, sondern an den Jahren davor, weil wir da nicht genügend Geld in unser Vermögen – sprich, in unsere Straßen – gesteckt haben. Sie sehen das aber für mich noch viel dramatischer und schwerwiegender in unseren Schulgebäuden, in unseren Kita-Gebäuden. Wir schicken junge Menschen in Räumlichkeiten, bei denen die nun alles lernen, aber ganz bestimmt keinen Respekt vor dieser Gesellschaft.
Ostermann: Das heißt, es hat dann letztlich auch Folgen für die Demokratie? Darüber wird in Weimar heute ja bei diesem Kongress auch gesprochen. Besteht da die Gefahr, dass möglicherweise eine Generation heraufwächst, die tief enttäuscht ist von diesem unserem Staate?
Albig: Das ist etwas, was ich mit ganz großer Sorge sehe, denn wenn Sie jeden Tag in eine Schule gehen, in der die Toilette kaputt ist, eine Schule gehen, in der die Stühle kaputt sind, eine Schule gehen, in der Sie Angst haben müssen, dass Ihnen die Fenster bei Ostwind auf den Kopf fallen – und das ist nicht einfach so dahergesagt, sondern es sind reale Kieler Situationen –, wie sollen Sie dann den Eindruck entwickeln, dass sich diese Gesellschaft um Sie kümmert, dass Sie ihr etwas wert sind? Wenn Sie dann, nach 16 oder 17 Jahren, ins Nachschulleben gehen, und dann kommen Sie als Oberbürgermeister und sagen, so, junger Mensch, ich erwarte von dir, dass du dich einsetzt für dieses Land, für diese Gesellschaft, dass du mitmachst, dass du nicht dieser Politikverdrossenheit folgst – dann lacht der mich doch aus.
Ostermann: Die Kommunen sind strukturell unterfinanziert, sagen die Fachleute. Nun hat Finanzminister Schäuble eine Kommission berufen, die eine Reform der Gewerbesteuer vorbereiten soll. Schiebt man das Problem damit auf die lange Bank?
Albig: Na ja, unsere Sorge ist: Man wird es eigentlich nur verschlimmern. Zumindest einer der Koalitionspartner, der ja auch beteiligt ist – übrigens anders als die Kommunen, sie sind jedenfalls nicht mit ihren Praktikern in dieser Kommission vertreten, da ist keine Bürgermeisterin und kein Bürgermeister drin –, hat sich zum Ziel gesetzt, die Gewerbesteuer zu schleifen. Das macht nun nicht sehr mutig bei der Überlegung, Herausforderung: Wie verbessere ich denn die strukturelle Finanzierung deutscher Kommunen? Das Beste, was aus so einer Kommission herauskommt, dass sie ... dass nichts herauskommt und wir genauso schlecht dastehen wie heute. Am schlimmsten wäre es, sie setzen ihre Koalitionsverträge auch in dem Punkt durch. Das machen sie ja bei Hoteliers oder an anderer Stelle sehr gerne, immer zu Lasten von Kommunen.
Ostermann: Herr Albig, aber welche Konsequenzen fordern Sie, der Sie jetzt die praktische Erfahrung gesammelt haben? Vorher hatten Sie mehr den Blick aus Berlin heraus auf den Alltag in den Kommunen, jetzt sind Sie selbst Betroffener. Also was fordern Sie von Berlin?
Albig: Ich fordere von Berlin, dass sie das, was die Menschen in unseren Städten schon lange erleben – dass ihre Realität bestimmt wird von der Stadt, in der sie leben, und weniger von dem Staat, in dem sie leben –, dass wir bei der Finanzierung unserer Aufgaben auch in der Reihenfolge an diese Aufgabe herangehen, dass wir erst die Städte, erst die Kommunen berücksichtigen, erst drum kümmern, dass die Straßen ordentlich aussehen, erst drum kümmern, dass die Kindertagesstätten ordentlich aussehen, erst drum kümmern, dass unsere Schulen auch den Namen verdienen. Und wenn wir dann noch Geld übrig haben, dann mag das ja von mir aus gerne zur Erfüllung von unsinnigen Koalitionsvertragswünschen – wie halber Mehrwertsteuersatz für Hoteliers – genutzt werden. Im Augenblick wird es nur andersherum gemacht. Es gibt Länder wie Schweden, die machen das schon immer richtig und beachten in der Verteilung erst Göteborg und dann den Gesamtstaat.
Ostermann: Jetzt hören Sie natürlich auch die Stimmen der FDP: Wir wollen an der Steuersenkung in Höhe von 16 Milliarden festhalten und zwar so schnell wie möglich. Wie bewerten Sie das als Kommunalpolitiker?
Albig: Das ist Absurdistan und es tut schon fast weh, diese groteske Verkennung der Realität immer wieder zu hören. Es tut doppelt weh, weil jeder weiß, dass für eine Volkswirtschaft, die ein Bruttoinlandsprodukt von über zwei Billionen Euro hat, eine Veränderung von 16 Milliarden Euro gar nichts bewirkt, schon mal gar kein Wachstum. Aber die 16 Milliarden kommen in meiner Stadt wieder mit einem bei zweistelligen Millionenbetrag an Steuerausfällen an, und das merken die Menschen sofort. Also, ich bezahle eine Belastung kommunaler Infrastruktur, kommunaler Leistungsfähigkeit mit erkennbar keiner volkswirtschaftlichen Wachstumswirkung. Was für ein Unsinn ist das denn?
Ostermann: Torsten Albig von der SPD, Oberbürgermeister in Kiel. Herr Albig, danke für das Gespräch heute früh.
Albig: Sehr gerne, schönen Tag!
Ostermann: Ihnen auch!