Alban Bergs "Wozzeck" aus Berlin

"Es ist schwer, der seltsamen Vollendung und Einmaligkeit dieses Werks in den Grenzen einer Kritik gerecht zu werden. Kaum je wurde einer Oper ein Buch unterlegt, dessen literarischer Wert so völlig den musikalischen Deutungsmöglichkeiten entsprach wie das geniale Fragment Georg Büchners.
Aus den 25 Szenen des ursprünglichen Wozzek wählte Alban Berg die 15 wesentlichen, komponibelsten Stücke, und das Ergebnis dieser Wahl wurde eine Handlung, die in Sprache, Gedanke, Bild und Aufbau allein schon von packender Wirkung sein könnte. Dass es Berg gelang, zu diesem Buch eine Musik zu schreiben, die seine Weise nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern noch unerhört steigert, die Latentes aufdeckt und geheimste Psychologien enthüllt, ohne sich des Wichtigsten: dramatischer Konzeption und musikalischer Einheit zu begeben, beweist eine Genialität, die ihn unmittelbar neben die bedeutendsten Musikdramatiker der Gegenwart stellt.
Kurz sei die Handlung angedeutet: Wozzeck ist ein armer Teufel, der als Soldat durch Dienste beim Hauptmann und einem verrückten Arzt für seine Geliebte und sein Kind ein paar Groschen über die Löhnung sauer verdient. Schutzlos seinen Gedanken und der Verachtung der Welt preisgegeben, symbolisiert er den Typus des unterdrückten, resignierten Proletariers, der nichts besitzt als die Liebe zu seinem Heim. Marie, die Geliebte, betrügt ihn mit dem Tambourmajor. Wozzeck erfährt es, und nun, da er nichts mehr zu verlieren hat, verdichtet sich in seinem Gehirn der Gedanke, Marie zu töten. Er ersticht sie mit einem Messer. Zum Tatort zurückgekehrt, sucht er die Waffe im Teich und findet dabei den Tod. Das letzte Bild zeigt sein Kind in ahnungslosem, lustigem Spiel auf der Gasse.
Als Schüler Arnold Schönbergs hat Alban Berg eine Anschauung mit auf den Weg bekommen, die es ihm unmöglich machen musste, eine Oper der üblichen Form zu schreiben. Die musikalische Gestaltung des Wozzecks zeigt denn auch eine Strenge des Aufbaus, die in der Opernliteratur ein Unikum darstellt. Obwohl die Gesamtwirkung des Werkes rein dramatisch ist, liegt jedem Akt, ja jeder Szene ein formales Prinzip zugrunde, das völlig konsequent durchgeführt wird. So besteht der erste Akt aus fünf thematisch verbundenen »Charakterstücken«, die einzeln betrachtet, wiederum als Suite, Rhapsodie, Militärmarsch, Passacaglia und Andante komponiert sind. Den zweiten Akt bildet eine Symphonie in fünf Sätzen. Der dritte besteht aus sechs Inventionen: über ein Thema, einen Ton, einen Rhythmus, eine Tonart (Zwischenspiel in d-Moll) und eine gleichmäßige Achtelbewegung. Aus der Fülle der Schönheiten seien nur erwähnt: das zweite und das letzte Zwischenspiel sowie die über alle Begriffe geniale Szene im Wirtshausgarten, wo Mord, Angst, Trunkenheit und geile Gier einen gespenstischen Reigen miteinander tanzen." (H. H. Stuckenschmidt in der Thüringer Allgemeinen Zeitung vom 16. Dezember 1925 über die Uraufführung von Alban Bergs »Wozzeck« in der Staatsoper Berlin, Ausschnitt)
www.staatsoper-berlin.de



Staatsoper im Schillertheater, Berlin
Aufzeichnung vom 21.4.11

Alban Berg
"Wozzeck", Oper in 3 Akten op. 7

Wozzeck - Roman Trekel, Bariton
Tambourmajor - John Daszak, Tenor
Andres - Florian Hoffmann, Tenor
Hauptmann - Graham Clark, Tenor
Doktor - Pavlo Hunka, Bass
Marie - Nadja Michael, Mezzosopran
Margarethe - Katharina Kammerloher, Alt
Ein Narr - Heinz Zednik, Tenor
Kinderchor der Staatsoper Unter den Linden
Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin
Leitung: Daniel Barenboim

nach Opernende ca. 21:00 Uhr Nachrichten