Alarmtelefon

Wie Freiwillige Flüchtlinge in Seenot retten

Ein Schlauchboot mit Schiffbrüchigen treibt am 14.05.2015 im Mittelmeer, bevor die Flüchtlinge von der Fregatte Hessen gerettet werden.
Ein Schlauchboot mit Schiffbrüchigen treibt am 14.05.2015 im Mittelmeer bevor die Flüchtlinge von der Fregate Hessen gerettet werden. © picture alliance / dpa / Christian Kruse
07.12.2015
Seit gut einem Jahr helfen die Freiwilligen von "Watch the Mediterranean Sea" über das Telefon Mittelmeerflüchtlingen. Sie geben ihre Koordinaten an die jeweilige Küstenwache weiter, informieren zivile Akteure und hoffen, dass weniger Menschen ertrinken.
"Einmal angefangen kannst du halt nicht mehr zurück. Du kriegst halt wirklich live mit, was passiert. Und es ist nicht wie du schaust Nachrichten und machst sie aus, gehst weiter im Text oder liest dein Buch weiter und kochst dir was. Sondern du bist live dabei wie wirklich gerade Menschen um ihr Leben kämpfen."
Als Lisa Täger in Marokko war, lernte sie jemanden aus dem Alarmtelefon-Team der Organisation "Watch the Med" kennen. Sie schaute sich seine Arbeit an und ist nun seit einigen Monaten selbst aktives Mitglied. Zwei- bis dreimal pro Woche macht die 27-Jährige eine Schicht am Telefon. Neben Uni und Job. Das heißt: Acht Stunden lang mit Menschen telefonieren, die auf dem Mittelmeer in Not geraten sind. Pro Stunde kommt im Schnitt ein Anruf. Manchmal auch mehrere gleichzeitig. Eine Grenzerfahrung.
"Als ich angefangen habe mit 'Watch the Med' da hatte ich immer einen totalen Adrenalinstoß, wenn dieses Handy los ging und war total aufgeregt und habe auch mal geweint bei der Schicht. Aber man wird irgendwie abgebrühter. Also klar gibt es immer wieder Fälle, die dich richtig beschäftigen. Ich hatte jetzt vor ein paar Tagen einen Fall da hat eine Frau am Telefon auf dem Boot ein Baby bekommen. Das Geschrei war natürlich riesengroß und alle Leute waren aufgeregt und das hat mich schon ganz schön mitgenommen. Und es gibt auch mal Anrufe, die dann abbrechen, wo du nur schreiende Menschen hast und dann bricht der Anruf einfach ab und du hast keine Informationen, um den Menschen zu helfen. Da gibt es dann schon Situationen, wo ich ein bisschen verzweifelt bin."
Lisa Täger will aber weitermachen. Sich wieder diesen extremen Situationen aussetzen, weil sie dadurch helfen kann. Ganz praktisch. Sie beruhigt, fragt, wie viele Menschen an Bord sind und gibt ihre Koordinaten an die jeweilige Küstenwache des Landes weiter, damit die Menschen gerettet werden.
Smartphones helfen bei der Koordinatenübertragung. Doch vor allem in Marokko wird den Leuten vom Militär oft ihr Hab und Gut beschlagnahmt. Deswegen hat ihre Organisation einen Aufruf gestartet, alte Smartphones zu spenden, damit sie sie in Marokko verteilen und die Menschen so in Notlagen einfacher ihre Positionen durchgeben können.
"Ich glaube es ist auch einfach wichtig für die Menschen zu wissen: Es gibt auch in Europa Solidarität ihnen gegenüber, weil sie natürlich durch dieses ganze Grenzregime so niedergeschmettert sind. Ich mein, da werden Rollstühle geschoben auf dem Balkan und vor denen wird Stacheldraht hochgezogen. Was sollen die denn von uns halten? Und deswegen ist es glaube ich auch wichtig für die zu wissen, wir haben auch Solidaritätsbewegungen in Europa von Europäern, Europäerinnen."
Gemeinsame Zukunft Europas
Erst kürzlich erhielt Lisa ein Gruppenfoto per Whatsapp von Syrern, die Grüße ans Alarmtelefon gesendet haben. Ein gutes Gefühl, sagt die 27-Jährige, gerade wenn es darum geht, eine gemeinsame Zukunft in Europa aufzubauen.
Wenn es nach ihr ginge, sollten alle dort hin können, wohin sie wollen, genauso wie sie es auch kann. Auf europäischer Ebene müsse es dann einen solidarischen Finanzausgleich geben, so die Studierende. Den Vorwurf, sie sei naiv, kenne sie natürlich.
"Also es ist nicht so, dass ich sage, das wird alles ne rosige Zukunft. Ich glaub schon, dass Probleme auftreten werden und dass wir die dann auch angehen müssen. Aber ich sage - diese Herausforderung nehme ich an und das ist eine bessere Alternative als Menschen auszusperren. Ich kann doch nicht irgendwie versuchen hier meine goldene Insel aufrecht zu erhalten, während andere Menschen um ihr Leben kämpfen und bei uns anklopfen und wir sagen: Es kommt hier keiner mehr rein. Das geht nicht."
Mittlerweile ist "Watch the Med" sowohl bei den Küstenwachen als auch bei Organisationen wie dem UN-Flüchtlings-Hilfswerk bekannt. Mit den Massen an Daten, die "Watch the Med" im Laufe der Zeit gesammelt hat, wollen sie auch politisch etwas bewegen.
"Dadurch, dass man sagen kann, wir existieren jetzt seit einem Jahr, wir haben ungefähr um die 700 Boote begleitet - das sind Zahlen. Und mittlerweile kennen auch Politiker das 'Watch the Med'-Alarmtelefon, wo wir halt wirklich eine Art Druckmittel haben und nicht die naive linke Zelle irgendwo sind. Sondern diese Zahlen helfen uns, eine politische Stimme zu haben."
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