Al-Wazir: Özdemir bringt neuen Schwung

Tarek Al-Wazir im Gespräch mit Christopher Ricke · 14.11.2008
Der Fraktionschef der Grünen im hessischen Landtag, Tarek Al-Wazir, geht davon aus, dass Cem Özdemir und Claudia Roth mit breiter Mehrheit zum neuen Spitzenduo der Partei gewählt werden. Özdemir könne der Partei neuen Schwung geben, Roth verkörpere die "grüne Seele" der Partei, sagte Al-Wazir vor Beginn der Bundesdelegiertenkonferenz.
Christopher Ricke: Ich spreche jetzt mit Tarek Al-Wazir, dem hessischen Grünen-Chef, der um drei Frauen und ein Männerhaar hessischer Umweltminister geworden wäre. Guten Morgen, Herr Al-Wazir.

Tarek Al-Wazir: Guten Morgen.

Ricke: Das Beispiel der gescheiterten Machtübernahme in Hessen dürfte, vermute ich mal, für Ihre Partei in allen Bundesländern und im Bund ein warnendes Beispiel sein. Sind denn da alle Lehren schon gezogen?

Al-Wazir: Na ja, wir sind ja noch in der Analyse dessen, was passiert ist. Was das Ergebnis für die Grünen sein wird, hängt natürlich ein bisschen auch mit unserem Ergebnis bei den Neuwahlen am 18. Januar zusammen. Ich sehe durchaus die Chance, dass wir als Grüne in Hessen gestärkt aus der Situation hervorgehen. Die spannende Frage ist natürlich dann, inwieweit unsere Inhalte umgesetzt werden oder nicht, und wir haben ja in Hessen – das könnte ich der Bundespartei empfehlen und in eine ähnliche Richtung entwickelt es sich ja – im ganzen letzten Jahr immer nur eine Prämisse gehabt, nämlich wir machen das, wo wir die größtmögliche Sicherheit sehen, dass unsere Inhalte nach vorne kommen, also umweltpolitisch, energiepolitisch, bildungspolitisch, sozialpolitisch. Dass das in Hessen jetzt nicht geklappt hat, lag nicht an uns, sondern an der hessischen SPD. Insofern würde ich auch jetzt zu dem Bundestagswahlkampf sagen, die Inhalte entscheiden und man muss ganz klar sagen, wofür man steht, und dann dafür um größtmögliche Zustimmung werben.

Ricke: Um Inhalte geht es auf dem Parteitag, auch um Personen. Da wird es voraussichtlich die Kombination Özdemir und Roth an der Parteispitze geben, dann Künast und Trittin als Spitzenkandidaten. Sind diese Entscheidungen wirklich alle schon in trockenen Tüchern?

Al-Wazir: Bei den Grünen – das ist ja das schöne und gleichzeitig das schwierige an ihnen – ist man vor Parteitagen niemals sicher. Aber ich bin mir eigentlich relativ sicher, dass alle vier Personalentscheidungen große Zustimmung erreichen werden. Cem Özdemir ist jemand, der den Grünen auch neuen Schwung geben kann, der außerhalb der Partei auch in andere Kreise hinein auf große Zustimmung stößt. Claudia Roth verkörpert, wenn Sie so wollen, die grüne Seele und die beiden Spitzenkandidaten sind unsere erfahrensten, sind diejenigen, die in der letzten Regierung auf Bundesebene Bundesminister waren. Also ich sage mal, die FDP wäre froh, wenn sie mehr als einen hätte, und uns wird öfter mal vorgeworfen, dass wir zu viele haben. Ich habe lieber zu viele als zu wenige.

Ricke: Bleiben wir mal bei der grünen Seele. Es wird ja jetzt auf dem Parteitag um Energiepolitik gehen. Da gibt es Ihren Kollegen Fell; der möchte schon 2030 100 Prozent Ökostrom. Das ist eine vielleicht schöne Fantasie, die die Herzen anspricht, aber die Pragmatiker warnen da. Die haben Angst, dass das Ziel zu groß formuliert wird und dass sich die Wähler dann abwenden. Was ist denn Ihre Partei in dieser Frage? Ist es eine Partei mit Fantasie, oder ist es eine Partei, die ausschließlich auf das Machbare setzt?

Al-Wazir: Wir sind die Partei, die bewiesen hat, dass man aus Visionen Realität machen kann. Wenn Sie mal sich betrachten, wie wir im Jahre 2000 für verrückt gehalten wurden, als wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz umgesetzt hatten und da die Zielmarke war 12,5 Prozent erneuerbare Energien beim Strom fürs Jahr 2010; wir werden jetzt im Jahre 2008 über 15 Prozent sein. Damals haben viele Leute gesagt, die 12,5 2010 sind nicht erreichbar. Insofern muss man auch darauf hinweisen, dass die 40 Prozent im Jahre 2020 ein sehr ehrgeiziges Ziel sind. – Ich bin immer eher auf der Seite, dass ich sage, lasst uns Ziele formulieren, die sehr, sehr anspruchsvoll sind, die auch schon eine Vision sind, aber im Zweifel übertreffe ich sie lieber in dem Jahr, wo ich mir das Ziel gesetzt habe, als dass ich dann bestimmte Ziele nicht erreiche.

Ricke: Die Castor-Proteste – damit bleiben wir immer noch beim Thema Strom, Atomstrom – in der vergangenen Woche, die waren ja richtig ein Jungbrunnen für Ihre Partei. Die Grünen haben, auch wenn sie sich vielleicht nicht immer als die fantasievollste Oppositionspartei gezeigt haben, noch immer das Image Umwelt, Ökologie, Klimaschutz, Atomausstieg. Werden Sie sich ganz auf diese Themen konzentrieren?

Al-Wazir: Es ist, in der Werbesprache würde man sagen, unser Markenkern, und zwar zu recht. Wenn Sie sich Klimaveränderung anschauen, wenn Sie sich anschauen, wie sich Ressourcen entwickeln, Ressourcenverbrauch entwickelt, wie die Preise an den Rohstoffmärkten hoch und runter springen wie verrückt, dann ist es eigentlich jetzt die Zeit, wo man sagen muss, die Grünen hatten mit ihren Warnungen einerseits und mit ihren Konzepten eines Umbaus der Industriegesellschaft andererseits immer schon Recht. Wir waren sozusagen unserer Zeit voraus. Insofern ist das jetzt die Zeit, wo ich denke, dass wir mit unseren Themen eine breite Masse in der Bevölkerung auch ansprechen können, die sich eben nicht nur nach der medialen Sau richten, die gerade durchs Sechs-Wochen-Dorf getrieben wird, wie das manchmal in der Mediendemokratie, in der elektronischen Mediendemokratie ja der Fall ist. Und ich kann nur sagen, was die Castor-Proteste angeht: Es war immer klar, dass es einen Konsens gibt, dass man die Nutzung der Atomenergie beendet. Natürlich muss man dann auch mit dem Müll irgendwo hin. Nur es ist völlig klar, dass die Grünen auf der Seite des Protestes sein werden, wenn CDU und FDP jetzt darauf spekulieren - und die Energiewirtschaft ja übrigens auch -, dass man eine Mehrheit bei der nächsten Bundestagswahl gewinnt und dann den Atomausstieg rückgängig macht und gar neue Atomkraftwerke baut. Dann werden Sie die Grünen auf der Barrikade finden und die Tatsache, dass viele, viele Menschen mit uns dastehen, zeigt, dass diese Debatte noch nicht ausgestanden ist. Im Gegenteil: Die Anti-Atomkraft-Bewegung wird stärker, weil auf der anderen Seite die Energiekonzerne sich vom Ausstieg verabschiedet haben. Insofern wird auch dieses ein Thema der Bundestagswahl 2009 sein.

Ricke: Vorhin haben Sie angesprochen, wie schön es ist, dass die Grünen so viel Spitzenpersonal haben. Glauben Sie das wirklich, oder bedauern Sie in einer kleinen Kammer Ihres Herzens doch, dass das eine mächtige Zugpferd fehlt, dass man Joschka Fischer nur auf der James Bond Filmpremier sieht, aber nicht mehr im Wahlkampf?

Al-Wazir: Wir haben Joschka Fischer unglaublich viel zu verdanken gehabt. Das ist sicherlich so. Als wir 1990 aus dem Bundestag geflogen sind, war er derjenige, der im Prinzip den Laden gerettet hat und uns 94 wieder zurückführte. Andererseits ist es so, wenn Sie sich mal die%e betrachten, die wir in Umfragen bekommen, und unsere Wahlergebnisse: was wurde der Abgesang auf die Grünen schon oft gehalten. Ich bin jetzt seit 1989 Parteimitglied. Da wurde, glaube ich, fünfmal uns der Tot vorhergesagt und wir kamen immer schöner und stärker wieder aus den Krisen heraus. Insofern habe ich keine Sorge vor der nächsten Wahl in Hessen und auch keine vor der nächsten Bundestagswahl.

Ricke: Vielen Dank, Herr Al-Wazir.

Al-Wazir: Gerne!

Ricke: Sie hören Deutschlandradio Kultur. Sie hörten ein Gespräch mit Tarek Al-Wazir, dem hessischen Grünen-Vorsitzenden.

Das Gespräch mit Tarek Al-Wazir können Sie bis zum 14. April 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio