Akustisches Porträt

Von Carola Wiemers · 25.12.2009
Er war ein Spezialist der Performance. Ein Akrobat poetischer Wort- und Lebensbalance-Kunst. Der Lyriker, Essayist, Porträtist Peter Rühmkorf. Zwei Hörbücher erteilen dieser Jahrhundertbegabung, die nicht müde wurde, das "Kolloquiale des Gedichts" zu inszenieren, nun erneut das Wort.
"Soll ich euch mal sagen, was ist. Also von mir aus können wir sofort hier vom Tisch aufstehen und die Welt umwälzen."

Das akustische Porträt "Zwischen Freund Hein und Freund Heine" stellt den rastlosen Schreiber Rühmkorf in seinem künstlerischen wie sozialen Umfeld vor. Die Edition "Jazz & Lyrik" präsentiert seine legendären Auftritte mit dem Pianisten Michael Naura und dem Vibraphonisten Wolfgang Schlüter. Sie enthält die Vertonung seiner Gedichte aus 30 Jahren.

"So webt jeder von uns an seinen überlebensgroßen Heldengemälden und kommt vom Gerüst nicht mehr runter und wälzt sich bis Sonnenuntergang auf der Orgelbank rum."

Für Rühmkorf war die Frage, wozu Lyrik – diese, wie er es nannte "verkannte Tochter der Musen" - von Nutzen ist, stets präsent. Das Gedicht verstand er als Dialog, als eine "Vertrauensinstanz", um die Zerfaserung des Individuums aufzufangen.

"Die Lyrik ist ja die einzige Form gegenüber allen anderen Gattungen, ist die Lyrik ja die Stimme des Einzelwesens, des Einzelmenschen. Wo es nur ein kleines Mundloch gibt, das sich über die Befindlichkeit oder vor allem die Unbefindlichkeit eines ich äußert."

In öffentlichen Vorträgen und zahlreichen Essays, vor allem aber in seinen lyrischen Texten hat Rühmkorf in fünf Jahrzehnten die Existenz des Dichters spitzzüngig karikiert.

"Hochseil/Wir turnen in höchsten Höhen herum,/selbstredend und selbstreimend,/von einem Individuum/aus nichts als Worten träumend."

Obwohl das Porträt "Zwischen Freund Hein und Freund Heine" vor allem die Schallwerkstatt des "Hochseil"-Artisten zu öffnen verspricht, gelingt das nur teilweise. Zeitzeugen, darunter frühe Sandkastenbekanntschaften, Verwandte sowie Dichterkollegen, geben mitunter recht banale Anekdoten aus Rühmkorfs Leben zum Besten. Zu stark wird auf das Biografische gesetzt. So fällt es schwer, die Texte zeitlich und damit werkgeschichtlich zu verorten. Das schlichte Booklet hilft dabei nicht weiter.
Dass sich ein prall gefülltes Dichterleben selbst mitzuteilen versteht, beweist hingegen die von Stephan Opitz verantwortete "Jazz & Lyrik"- Ausgabe.

"Selbstporträt/Wie ich höre, hast du lange nicht von dir selbst gesungen, Onkelchen. Die Menschheit muss ja allmählich denken, sie ist unter sich ... Da schnei ich nun herein, mit lauter letzten Fragen."

Was Rühmkorf mit dem Begriff Schallwerkstatt tatsächlich sagen wollte, wobei er auf das Work in progress Prinzip setzte, wird hier lustvoll und mit grandiosem Klangvolumen vorgeführt. Das informativ aufgebaute Begleitheft von "Jazz & Lyrik", das die Erscheinungsjahre der Texte sorgfältig dokumentiert und die Mitschnitte datiert, wird ergänzt durch eine kluge und sensible Einführung von Thomas Steinfeld, die das sinnliche Vergnügen abrundet.

Selbst der Tod – Rühmkorfs lebenslanger Sparringspartner - wird dabei zum verträglichen Gesellen.

"Über den Grabesrand hinweg, lässt sich ohnehin nur schwer spekulieren. Keine Mörsergranaten ins Brautbett, schon einmal gut. Keine Tretmienen in den Blumenrabatten und auch das – keine Herzattacke ohne den Beistand von deinen Lieblingskardiologen und der Barmer-Ersatzkasse."

Der zuweilen aufkommenden Melancholie trat Rühmkorf bis zum letzten Gedichtband "Paradiesvogelschiß" von 2008 wohltuend offensiv entgegen.

"Bis der letzte Biß und der letzte Schiß in einem Reim zusammenfallen und die Führung endgültig an die Kakerlaken übergeht."