Akustik

Töne, die in einem sind

Von Peter Kaiser · 08.02.2014
Spezielle Lautsprechersysteme - sogenannte Naturschallwandler - können dreidimensionale Klänge erzeugen, die man im ganzen Körper spürt. Mit solchen akustischen Hologrammen wird unter anderem Tinnitus behandelt.
Anton Stucki, Inhaber der Firma Mundus in Wiesenburg, etwa 100 Kilometer von Berlin entfernt, deutet auf einen Stuhl zwischen zwei Lautsprechern. Ich setze mich. Das Vogelgezwitscher wird nicht lauter, wie ich das von herkömmlichen Lautsprechern kenne und erwartet habe. Vielmehr umgeben mich die Töne, sie sind in mir. Ich schließe die Augen und ich kann nicht orten, woher das Geräusch kommt. Es ist, als wäre ich draußen, und auf einem Baum trällert ein Vogel.
Stucki:"Das bedeutet, dass der Klang räumlich dreidimensional, als sogenanntes akustisches Hologramm wiedergegeben wird."
Ein akustisches Hologramm hat die Tiefen-, Höhen-und Breitenausdehnung eines Schallfeldes. Dadurch, sagt Anton Stucki, ist man mitten im Geschehen:
"Man fühlt die Musik eigentlich in sich, um sich herum, und auch nahezu drucklos wie eine natürliche Welle eben. Es ist klassische Physik, nämlich so wie die Natur einen Schall ausstrahlt."
Natürliche Klänge, Musik und Gesang originalgetreu wieder entstehen zu lassen, ist seit vielen Jahren das Ziel der Entwickler von Hifi-Stereoanlagen, High-End-Lautsprechersystemen und großen Souround-Installationen mit vielen Lautsprechern. Dabei steht das akustische Hologramm, eben die dreidimensionale originalgetreue Klangabbildung eines Naturklangs, am Ende dieses Weges. Naturschallwandler erzeugen dieses Hologramm.
Auf den ersten Blick sieht das Naturschallwandlersystem wie ein herkömmliches HIFI-System aus. Zwei Lautsprecherboxen mit Hoch- und Mitteltönern stehen rechts und links vom Hörer, in Brusthöhe etwa in einem Ständer installiert. Auf dem Boden der Tieftöner, der wie ein kleines Bierfässchen aussieht. Das wesentlich Andere ist: Die Hoch- und Mitteltöner in den zwei Lautsprechern rechts und links strahlen die Schallwellen nicht frontal zum Hörer ab, sondern sind vielmehr über und unter einem Campanoid vertikal gegeneinander gerichtet. Das ist ein Holzkörper, im Aussehen ähnlich einem Kinderkreisel. Der Campanoid hat in etwa die gleiche Funktion, wie wenn jemand einen Stein ins Wasser wirft, und sich die Wellen kugelförmig ausbreiten. Er ist ein virtueller Schallpunkt.
Stucki: "Und da, wo sich diese beiden Kugelschallwellen durchdringen, da entsteht das Hologramm, also ein Abbild der ursprünglichen Situation."
Rosa-Rauschen bei Krebs
Diese Technik – wenn auch jetzt als revolutionär gefeiert – ist nicht ganz neu. Schon in den 1930er-Jahren experimentierte die Firma Telefunken an diesen Systemen, die jedoch noch nicht ausgereift waren. Heute findet der Naturschallwandler nicht nur bei HIFI-Fans immer mehr Anhänger. Denn die nahezu originalgetreuen und überall wahrnehmbaren Naturtöne lassen sich auch medizinisch einsetzen.
"Im diagnostischen Bereich ist es so, wenn im Körper Störfelder bestehen. Das kann eine Entzündung sein, das könnte ein Tumor sein, das eine andere fortgeschrittene organische Belastung sein. Da arbeite ich zum Beispiel mit Rosa Rauschen."
Ina Gutsch ist Heilpraktikerin und Inhaberin des Thuja Gesundheitszentrums in Berlin. Das sogenannte Rosa-Rauschen kommt von einer speziellen CD und ist ein Mix aus sämtlichen Tönen, die im hörbaren Bereich liegen, sagt sie.
"Und wenn alle Frequenzen jetzt gleichzeitig auf den Körper treffen, kann auch der gesamte Körper resonieren. Und das tut er auch. Und da, wo etwas nicht in Ordnung ist, spüren wir das als Schmerz, als Druck, als Ziehen, als Pieken, insbesondere dann, wenn es eine fortgeschrittenere Belastung ist."
Ursache für Tinnitus ungeklärt
Das menschliche Ohr ist zwar anatomisch gut erforscht, sagt Rüdiger Höll, ärztlicher Direktor der Heinrich-Heine-Klinik in Potsdam, doch Vieles ist noch Glaubenssache in der Hörphilosophie und Höranatomie. Besonders was den Tinnitus betrifft.
"Letztlich weiß kein Mensch genau was Tinnitus ist. Ob es eine Entzündung ist, ob es eine Gefäßverengung ist, ob es der Stress ist, der Lebenslärm, da sind sehr viele Thesen."
Darum, meint Rüdiger Höll, sei Vieles im Bereich der Tinnitus-Behandlung auch experimentell. Dazu kommt, dass es verschiedene Tinnitus-Formen gibt.
"Es gibt ja sehr komplexe Krankheitsbilder, wenn ein Hörsturz mit dabei war, das Hören sich verschlechtert hat, ein Hörgerät da ist, und Tinnitus-Ohrgeräusch in hohen Tönen da ist, da muss man sicher anders vorgehen als bei einfachen Formen oder bei kompensierten Tinnitus-Formen."
Auch hier in der Heinrich-Heine-Klinik, einem Zentrum für Psychosomatik und Psychotherapie, werden Naturschallwandler in Kürze eingesetzt.
"Es ist noch ein relativ junges Verfahren im Bereich der Tinnitus-Behandlung, aber ein sehr hoffnungsvolles. Es ist sehr natürlich, es ist einfach im Grunde, es ist angewandte Physik."
Die präzise Tiefenstaffelung der Töne sind wie eine gymnastische Übung für das Gehör, sagt die Therapeutin Ina Gutsch.
"Wo ich den Patienten anleite wie er sich bewegen soll, in welche Richtung er den Kopf neigen soll, was er mir rückmelden soll, was er von wo hört, und aus welcher Richtung sich das ändert. "
Für Gesunde vitalisierend
Für Rolf Kemnitzer, der am Tinnitus litt, war die Behandlung seiner Krankheit mit dem Naturschallwandler ein Erfolg.
"Ich habe bereits nach der dritten Sitzung einer andere Wahrnehmung des Tinnitus. Es ist schwer, diesen Unterschied zu beschreiben, aber auf jeden Fall ist der Tinnitus nicht mehr in der Form störend wie vor der Therapie, ich nehme ihn anders wahr."
Gesunde Menschen empfinden das Erlebnis dieser holografischen Akustik oft als vitalisierend und regenerierend. Denn es ist so, als würde man einen Schall in der Natur hören, meint auch Tonexperte Anton Stucki von der Herstellerfirma Mundus.
"Und man sagt ja auch, die Stimme geht mir durch Mark und Bein, das ist nicht nur ein Satz, das ist physikalische Realität. Ein natürlicher Klang durchdringt Materie."
Mehr zum Thema