Akupunktur für Geigen

Von Susanne Pütz |
Sich Nadeln gegen Rücken-, Kopfschmerzen oder Allergien setzen zu lassen, ist auch in unserem Kulturkreis immer selbstverständlicher geworden. Doch was für Menschen wirksam ist, soll jetzt auch bei Musikinstrumenten wirken. Ralf Schumann, Geigenbaumeister aus dem Münstertal, verändert mit gezielten Nadelstichen den Klang von Streichinstrumenten und trifft damit bei Musikern auf großes Interesse.
Wenn Ralf Schumann in seiner Werkstatt im Münstertal ist, baut er gerade eine neue Geige oder - er experimentiert. Der Geigenbaumeister ist auf der Suche nach dem perfekten Klang. Ralf Schumann akupunktiert Streichinstrumente. Mit gezielten Nadelstichen kann er den Klang verändern.

Schumann: "In dem Moment, wo ich meine ersten eigenen Geigen gebaut habe, da habe ich mich damit beschäftigt und alles mögliche auch ausprobiert, und wobei auch, im Nachhinein betrachtet, auch viel Unsinn dabei war. (Lachen) Aber man muss einfach alles ausprobieren, um raus zu finden, was funktioniert und was nicht."

Die Möglichkeiten im traditionellen Geigenbauhandwerk sind begrenzt. Deshalb probierte der gebürtige Rheinländer schon während seiner Ausbildung in Mittenwald ungewöhnliche Methoden aus.

Schumann: "Ich hab mal eine hohle Schnecke gebaut, 'ne Geigenschnecke von innen ausgehöhlt, also in alle Richtungen Sachen ausprobiert, z.B. einen Hals warm machen mit 'nem Fön, bis er gut durchgewärmt ist und dann massiert, also dass man das Holz in 'ne bestimmte Richtung geknetet hat, was auch 'ne kleine Veränderung gebracht hat, aber auch nicht so sensationell, ja es war eben mal 'ne kleine Verbesserung."

Am Eingang des Hofes zur Geigenbauwerkstatt hängt ein großes Schild. "Kratzbürste" steht darauf. Hier, in einer ehemaligen Bürstenfabrik, hat Ralf Schumann seine Werkstatt. Vor zwei Jahren kam er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern Katja und Kolja aus Hamburg in den Schwarzwald. Eigentlich wollten sie im Münstertal nur Urlaub machen. Jetzt leben sie hier mit fünf anderen Familien und fühlen sich sehr wohl.

Rundherum die Berge, ein kleiner Bach fließt vor dem Haus, Kinder laufen umher und spielen. Arbeiten und wohnen – alles unter einem Dach. Ein Konzept, das den Fünfzigjährigen sofort angesprochen hat:

Schumann: "Eigentlich 'ne wichtige Sache, dass die Kinder auch noch mitkriegen, was die Eltern arbeiten und welche Leute jetzt bei 'nem Geigenbauer ins Haus kommen, Musik machen, Instrumente spielen. Das ist natürlich ziemlich einmalig, dass man die Möglichkeit hatte."

Seine Werkstatt im alten Fachwerkgebäude ist hell und freundlich, Dielen auf dem Boden, in Holzvitrinen hängen zahlreiche Geigen, ein rotes Sofa steht in der Ecke. Es ist gemütlich bei Ralf Schumann. Sympathisch, fast ein bisschen schüchtern geht der Geigenbaumeister auf die Menschen zu. Immer ein Lächeln auf den Lippen.

Ralf Schumann trägt eine blaue Arbeitsschürze, den Kopf hat er leicht nach links geneigt - den Zeigefinger an der Wange. Aufmerksam hört er so jedem Musiker mit seinem Instrument zu.

Schumann: "Über die Hörerfahrung kann ich jetzt relativ gut die Bereiche vom Instrument eingrenzen, wenn bestimmte Töne nicht funktionieren, dann merke ich, ah, wenn es mich in der Schulter juckt, das es dann hier in dem Bereich zu finden ist, oder wenn’s mich in der Nase kitzelt, dann muss es irgendwo hier in dem Kopfbereich, Wirbelkasten, Schnecke liegen. Und da kann sich jetzt jeder vorstellen oder Phantasie spielen lassen, wie halt der Rest vom Instrument zum menschlichen Körper steht."

Ralf Schumann klopft mit einem kleinen Stock aus Holz das Instrument ab. In ganz kleinen Schritten. Millimeterarbeit. Dort, wo ein Ton nicht stimmt, sticht er zu.

Dass seine Methode wirklich funktioniert, haben Messungen an der Uni in Hamburg gezeigt. Rolf Bader, Musikwissenschaftler und Physiker, weiß, wieso die kleinen Nadelstiche eine solche Wirkung haben können:

"Wenn man einen See hat und man wirft 'nen Stein in den See, dann geht eine Kugelwelle von diesem Stein weg und die ist vollkommen homogen. Und wenn irgend ein Stab in diesem See steckt, sieht man, wie diese Welle da gebrochen wird, wie dieses schöne Muster sich aufsplittet und neue Wellen entstehen. Und so ist das eben auch bei Musikinstrumenten. "

Auf die Idee, Instrumente zu akupunktieren und so den Klang zu beeinflussen, kam Ralf Schumann beim Blättern in Geigenbaubüchern.

Schumann: "Auf jeden Fall bin ich auf Fotos gestoßen von Guadaganini-Geigen, die öfter kleine Einstiche aufweisen und zwar in der Schnecke, das kann man jetzt durch die Arbeitstechnik erklären, aber man kann auch nachfragen, was hat es für einen Einfluss auf den Klang, und das hab ich mal ausprobiert an einer Schülergeige, hab da an diese Stelle so mit 'ner Nadel reingepiekst."

Ralf Schumann nimmt eine kleine Nadel, die sortiert auf einem blauen Samttuch liegt. Gezielt setzt er einen Stich. Nur ganz kurz. Kleine Zahnarztbohrer, so spitz wie Nadeln, sind das Werkzeug von Ralf Schumann. Dabei sticht er niemals in den Instrumentenkorpus, sondern immer nur in die externen Bauteile, wie Griffbrett, Wirbel oder Saitenhalter.

Natürlich macht Ralf Schumann aus einer einfachen Schülergeige keine Stradivari. Aber er versucht mit seiner Methode, den Klang von Instrumenten homogener zu gestalten.

Nur noch selten bleibt ihm die Zeit, selbst die Geige in die Hand zu nehmen. Aber wenn er mal spielt, merkt ihm jeder seine Freude dabei an. Und er lächelt - sein ganz eigenes verschmitztes Lächeln.