Aktionskünstler zu antisemitischem Relief in Wittenberg

"Diffamierungen haben im öffentlichen Raum nichts verloren"

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Antisemitisches Relief, sogenannte " Judensau-Skulptur" an der evangelischen Stadtkirche in Wittenberg.
Das Oberlandesgericht in Naumburg hat entschieden, das Schmährelief mit dem Namen "Judensau" in Wittenberg darf hängen bleiben - vorerst. © picture alliance / Winfried Rothermel
Wolfram Kastner im Gespräch mit Dieter Kassel · 04.02.2020
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Aus dem öffentlichen Raum sollten antisemitische Reliefs wie das in Wittenberg verbannt werden, sagt Aktionskünstler Wolfram Kastner. Er kämpft seit Jahren gegen solche Darstellungen. Ein Gericht hat nun aber anders entschieden.
Die Stadtkirche zu Wittenberg gehört zum Weltkulturerbe der Unesco. Dort wurde einst die erste Heilige Messe in deutscher Sprache gehalten. Doch an der Außenfassade der Kirche gibt es seit rund 700 Jahren ein antisemitisches Relief, das unter dem Namen "Judensau" firmiert.
Darüber wird seit Jahren juristisch gestritten, zuletzt vor dem Oberlandesgericht in Naumburg. Ein Mitglied einer jüdischen Gemeinde hat geklagt mit dem Ziel, dass die Kirchengemeinde Wittenberg das Sandstein-Relief entfernt wird. Außerdem solle festgestellt werden, "dass die Plastik den objektiven Tatbestand der Beleidigung erfülle." Am heutigen Dienstag hat das Oberlandesgericht in Naumburg entschieden, das Relief darf hängen bleiben. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Eine Revision vor dem Bundesgerichtshof wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Streits zugelassen.

Auch Hakenkreuz von Bauten entfernt

Der Münchner Aktionskünstler Wolfram Kastner beschäftigt sich schon lange mit solchen umstrittenen Darstellungen, die in Deutschland nach seinen Angaben einmalig sind. Es handele sich um eine Diffamierung von Menschen im öffentlichen Raum, kritisiert Kastner das Relief. "Das ist durch kein Gesetz und kein Recht gedeckt", sagte er vor dem Urteil. "Die Dinge müssen weg und dorthin, wo sie hingehören."
Die Künstler Wolfram Kastner (links)  und Günter Wangerin demonstrieren gegen ein umstrittenes Relief an der Cadolzburg im mittelfränkischen Landkreis Fürth.
Die Künstler Wolfram Kastner (links) und Günter Wangerin demonstrieren deutschlandweit gegen antisemitische Abbildungen, wie hier gegen ein Relief an der Cadolzburg in Bayern. © Wolfram Kastner
Wenn deutsche Christen, Kunsthistoriker, Denkmalschützer und Juristen diese "christlichen Sauereien" so wichtig fänden und sie aufarbeiten wollten, dann sollten sie das gerne tun, sagt Kastner. "Aber in ihren Räumen und nicht im öffentlichen Raum." Es gehe nicht an, dass die Reliefs mit ihrer "beleidigenden, kränkenden, herabziehenden, aggressiven Wirkung" im öffentlichen Raum erhalten blieben. Wenn man sich von diesem antisemitischen Geist distanziere, müsse man daraus Konsequenzen ziehen. Das zu verdecken, zu vertuschen oder zu ergänzen durch irgendwelche "halbseidenen Texte" reiche nicht aus. Man habe auch an anderen Bauten das Hakenkreuz entfernt, argumentiert der Künstler.
Stattdessen sollten die Darstellungen in Kirchen und Museen hängen, dort angemessen kontextualisiert und erklärt werden. Im öffentlichen Raum könne dann an der Stelle eine Tafel mit einer Erklärung angebracht werden, die begründe, warum das Relief entfernt sei.

Keine Forschung vorhanden

Leider gebe es zu diesem Thema bisher nur eine einzige wissenschaftliche Publikation, sagte Kastner. Sie sei 1974 auf Englisch und in London erschienen. Darin seien nur einige dieser Skulpturen benannt, er kenne allerdings wesentlich mehr.
Bisher habe sich keine einzige deutsche Universität und kein einziger Wissenschaftler mit diesem Thema systematisch wissenschaftlich befasst, kritisiert Kastner. Es habe keiner erforscht, wo überall in Deutschland solche Darstellungen zu finden seien. "Ich verstehe das nicht, das wäre eine hochinteressante und hochwichtige Forschung." Aber sie sei bisher weder von den Kirchen noch von den Universitäten geleistet worden. Auch die Verdrängungsgeschichte müsste eigentlich mit untersucht werden. "Sie kommen ja nur im deutschen Kulturbereich vor", sagte Kastner über diese umstrittenen Darstellungen. "Das ist typisch deutsch."
(gem)
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